Ja, Dialog ist elementar für die Demokratie. Nein, das heißt nicht, dass alles sagbar sein muss.

Joachim Gauck piekst in die Wunde, und das Land jault auf. Die Reaktionen auf Gaucks Forderung nach mehr Toleranz für rechte Positionen zeigen, dass Gesellschaft und Politik verunsichert sind im Umgang mit dem erstarkten Milieu am rechten Rand. Grundlegendes kurz vorab: Ja, der Dialog, der Austausch von Positionen und auch der Kompromiss sind elementar für das Funktionieren einer Demokratie. Nein, das bedeutet nicht, dass in einer Demokratie alles sagbar sein und jedem zugehört werden muss. Niemand würde ernsthaft fordern, dass man im Interesse des Dialogs auch mit der NPD reden müsste. Wir haben uns darauf geeinigt, dass es Positionen gibt, die so menschenverachtend sind, dass darüber nicht diskutiert werden muss, und auch nicht mit denen, die sie verbreiten. Das hat der Demokratie nicht nur nicht geschadet, es hat sie im Gegenteil stärker gemacht.

Wenn also klar ist, dass es durchaus Positionen gibt, die es nicht einmal wert sind, diskutiert zu werden, dann ist die entscheidende Frage die der Grenze: Wo hören unangenehme, aber legitime Positionen auf und fangen systemgefährdende an? Und was heißt das für den Umgang mit der AfD?

Es gibt keinen Grund, so zu tun, als wäre das eine Partei wie alle anderen. Wer 2019 in der AfD ist, vielleicht sogar für sie in Parlamenten sitzt, hat offenbar kein Problem mit Verharmlosung und Relativierung des Holocaust durch einen Parteichef, hat kein Problem mit der Einstellung von Rechtsextremen als Mitarbeitern im Bundestag, hat kein Pro­blem mit Abgeordneten, die in Chats Hakenkreuz-Bildchen verschicken.

Wirft man der Partei dann vor, dem Rechtsextremismus eine Brücke in die Mitte der Gesellschaft zu bauen, verweist die AfD empört darauf, demokratisch gewählt worden zu sein – als wäre das ein Beweis für demokratische Gesinnung. Dabei belegt ihr Handeln das Gegenteil: Sie lassen sich ins Europa-Parlament wählen, weil man „von innen besser was kaputt machen“ kann als von außen, wie Guido Reil – gewählt auf Listenplatz Nummer 2 – vor der Wahl ganz offen gesagt hat. Sie pochen darauf, im öffentlichen Rundfunk gehört zu werden, den sie doch eigentlich abschaffen wollen. Sie nutzen die Möglichkeiten der Demokratie, um diese zu untergraben.

Es ist deshalb nicht nur verständlich, sondern legitim, wenn die Evangelische Kirche die AfD nicht beim Kirchentag dabeihaben will und Eintracht-Frankfurt-Präsident Peter Fischer sie nicht in seinem Verein.

Aber weder die Kirche noch der Bundesligaverein stehen im Herbst in drei ostdeutschen Bundesländern zur Wahl. Die Grenze ziehen – in aller Schärfe und in ihrem eigenen Interesse – muss die Union. Denn CDU und CSU nehmen für sich in Anspruch, dass konservative und rechtspopulistische Positionen gut unterscheidbar sind. Die Wahrheit ist, dass sie das gerade bei der CSU in den letzten Jahren zu häufig nicht waren. Zu viele Flirts mit dem rechten Rand gab es da, zu viele Versuche, der AfD Wähler wieder abzuluchsen, indem man ihren Sound übernimmt. Das hat, vorhersehbarerweise, nicht die Union größer gemacht, sondern die AfD.

Wenn CDU und CSU diesen Trend umkehren wollen, dann sollten sie einen anderen Teil des Gauck-Interviews lesen. Den nämlich, in dem er darüber spricht, dass man zwischen rechts und rechtsradikal, gar -extremistisch, unterscheiden muss. Die Union muss glaubhaft klar machen, dass sie verstanden hat, wo diese Grenze verläuft. Gauck sagt im Interview übrigens auch, dass er sich mit Alexander Gauland nicht auf ein Podium setzen würde. Seine persönliche Toleranzgrenze sei da erreicht.