Es könnte sein, dass Mohrs, Radeck und Markurth in Gang bringen, was die Landesregierung nicht unternehmen mag: Die Bündelung der Stärken der Region.

„Vereint wirkt also dieses Paar, was einzeln keinem möglich war.“ (Christian Fürchtegott Gellert)

Für den Wolfsburger Oberbürgermeister Klaus Mohrs muss es ein Moment der Genugtuung gewesen sein: Politische Gegner hatten ihm unterstellt, er habe neue Fusionspläne mit Helmstedt nur vorgeschoben, um die Verlängerung seiner Amtszeit zu legitimieren. Helmstedt wolle ja gar keine Verhandlungen. Jetzt hat sich der Helmstedter Kreistag für eben diese Gespräche ausgesprochen. Mit knappem Ergebnis, ergebnisoffen selbstredend, und mit dem Vorbehalt einer Entscheidung der Bürger. Aber der Auftrag an Landrat Gerhard Radeck ist da.

Mohrs war es von Anfang ernst mit der Vereinigung, auch schon beim ersten Anlauf mit dem damaligen Helmstedter Landrat Matthias Wunderling-Weilbier, der an mangelnder Einbindung Braunschweigs und fehlendem Mut des Innenministeriums scheiterte. Damals war Mohrs (wie Wunderling) frisch im Amt – so ziemlich der schlagendste Beweis, das es ihm nicht um Amtszeitschinderei ging.

Er hat andere Gründe: Es sind existenzielle Entwicklungsfragen seiner Stadt. Wolfsburg platzt aus allen Nähten. Entwicklungsmöglichkeiten für den Giganten Volkswagen und für die vielen anderen Unternehmen werden immer rarer. Und Raum fürs neue Einfamilienhaus mit Garten findet sich nur noch im Einzelfall; in seinen großen Neubauprojekten hat sich Wolfsburg für verdichtete Bauweise entschieden, um kostbaren Stadtraum zu schonen.

Der Stadt droht der Entwicklungsstopp mangels Masse, die Betonierung des Status Quo. Etwas Gefährlicheres ist für das Zentrum eines dynamischen, im technologischen und ökonomischen Umbruch befindlichen Weltkonzerns kaum vorstellbar. Die Häutung des Auto-Riesen ist nicht ohne Risiko – und wer die Kommune aus der Abhängigkeit von VW lösen will, muss anderen die Chance zur Ansiedlung und zur Entwicklung geben.

In der Verbindung mit Helmstedt könnte es zu einer sinnvollen Arbeitsteilung zwischen Stadt und ländlichem Raum kommen. Flächenintensive Wirtschaftsbetriebe, der Logistik etwa, fänden im Landkreis Helmstedt ebenso Platz wie Eigenheimer mit dem Anspruch an viel Grün vor der Haustür.

Helmstedt wiederum könnte an der Entwicklung Wolfsburgs teilhaben, seine strukturelle Finanzschwäche überwinden und endlich durch Investition in die Infrastruktur von der Kita bis zum eng getakteten Öffentlichen Personennahverkehr seine zahlreichen Vorteile ausspielen: Intaktes Sozialgefüge mit aktiven Organisationen nicht zuletzt im Sport, lebenswerte Städte und Gemeinden, landschaftlichen Reiz, die reiche Kulturtradition zwischen Kaiserdom und Marienberg bis hin zum potenziellen Welterbe der Schöninger Speere – um nur wenige Stärken zu nennen.

Mohrs will die Gespräche nun zügig führen. Das ist gut so. Denn an seiner Person hängt viel: Er ist der glaubwürdigste Vertreter höherer Einsicht. Das je nach VW-Konjunktur meist sehr reiche Wolfsburg würde seinen Wohlstand ein Stück weit mit seinem wirtschaftlich schwächeren Nachbarn teilen, um gemeinsam neue Perspektive zu gewinnen. Für Kräfte, die sich gewissermaßen „Wolfsburg first“ aufs Panier geschrieben haben, ist das eine schwer erträgliche Zumutung. Dem Druck, den sie entwickeln, kann nur ein erfahrener, respektierter Oberbürgermeister standhalten.

Und der Kreis Helmstedt kann sich nur dann auf die Fusionsidee einlassen, wenn die Gefahr eines Scheiterns kalkulierbar bleibt. Landrat Radeck hat das Kunststück fertiggebracht, dem Kreis Helmstedt und seiner Verwaltung etwas von ihrem traditionellen Selbstbewusstsein zurückzugeben.

Vor allem die 110 Millionen Euro schwere Entschuldungshilfe des Landes aus dem Jahr 2016 für den Kreis Helmstedt und die Kommunen Schöningen, Königslutter und Büddenstedt hatte dem ehemaligen Braunkohlerevier Auftrieb gegeben. Radeck, im September desselben Jahres ins Kreishaus einzogen, gab dieser Chance Gestalt. Wer wollte ihm verdenken, dass er kein glühender Verfechter der Fusionsidee ist? Sein Handeln scheint in dieser Frage weniger aus dem Herzen gesteuert. Wenn eine Vereinigung vernünftig und zum Nutzen der Region Helmstedt möglich ist, dürfte er sie aber durchaus vertreten.

Heimlich, still und leise hat unterdessen auch Braunschweig das diplomatische Parkett betreten. Vieles, was für Wolfsburg gilt, lässt sich auch über Braunschweig sagen. OB Ulrich Markurth mag seine Stadt so, wie sie ist. Er kann aber heute schon größere Betriebsansiedlungen nicht mehr darstellen, weil es an Platz fehlt. Auch er sendet kluge Signale der Gesprächsbereitschaft. Es könnte sein, dass Mohrs, Radeck und Markurth gemeinsam in Gang bringen, was die Landesregierung nicht unternehmen mag: Die Bündelung der Stärken unserer Region.

Womit wir bei einer kleinen, aber symbolkräftigen Neuigkeit dieser Woche wären: Die Braunschweigische Stiftung und die Allianz für die Region haben eine App publiziert, mit dem jedes Smartphone zum Wegweiser durch unsere Heimat wird. Von Jobchancen bis zu sage und schreibe 533 Rad- und Wandertouren sind hier viele anregende Informationen komfortabel abrufbar – sehr empfehlenswert für Alteingesessene wie für solche, die über den Wechsel in die Region Braunschweig-Wolfsburg nachdenken. Auf zur Entdeckungsreise!

Zum Schluss noch ein Wort in eigener Sache. Der Festakt zum 16. Gemeinsam-Preis im Braunschweiger Dom St. Blasii hat uns diese Woche einmal mehr gezeigt, welches Glück es ist, Zeitung machen zu dürfen. Denn es gibt uns nicht allein die Chance, für Sie, unsere Leserinnen und Leser, wichtige Informationen zusammenzutragen, zu überprüfen und zu kommentieren. Wir können Menschen zusammenbringen und würdigen, die das Leben in unserer Region besser machen. Die Ehrenamtlichen sind scheinbar unermüdlich und ganz sicher unersetzlich. Die Festrede des niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil war ein sehr überzeugender Ausdruck des Dankes, den wir alle diesen Menschen schulden.