Zerbröselt der Kitt zwischen Schwarz und Rot, kursiert schon ein Datum einer möglichen Neuwahl.

Die Delle bei den Steuereinnahmen ist kein Drama, sie verschärft aber die schwarz-roten Konflikte. So Korrespondent Tim Braune.Der gute, alte Kitt besteht zu 85 Prozent aus Schlämmkreide und zu 15 Prozent aus Leinöl. Der einstige Kanzler Gerhard Schröder erzählte einmal über seine ostwestfälische Kindheit in bitterer Armut, er habe jahrelang Fensterkitt fressen müssen.Ganz so schlimm kommt es für die heutigen Akteure an der Spitze der Koalition nach der neuesten Steuerschätzung nicht. Doch der Kitt (also die Moneten), der das schwarz-rote Fenster im politischen Rahmen hält, bröckelt.

Deutschland nimmt bis 2023 124,3 Milliarden Euro weniger ein. Viele Bruchstellen wurden bislang mit Milliarden einfach zugekleistert. Als der Koalitionsvertrag nach langem Ringen von CDU, CSU und SPD unterschrieben wurde, nahmen die Parteien mit 46 Milliarden Euro an vorrangigen Maßnahmen für Investitionen, Entlastungen und Sozialmaßnahmen einen tiefen Schluck aus der Steuerpulle.

Regierung muss jetzt Haushalt und Land zusammenzuhalten

Familien, Alleinerziehende und Kommunen zählen zu den Gewinnern. Die Koalitionäre leisteten sich dabei auch schwere Fehltritte. Das Baukindergeld der CSU wird laut Prognosen bis zu zehn Milliarden Euro verschlingen. Werden Familien damit entlastet, boomt der Neubau? Von wegen. Das meiste davon landet über die Grunderwerbsteuer in den Kassen der Finanzminister der Länder. Diese Wünsch-dir-was-Zeiten sind jetzt vorbei.Angesichts der sich abkühlenden Konjunktur muss die Regierung zeigen, was in ihr steckt. In fetten Jahren mit Überschüssen ordentlich zu regieren, ist leicht. In schwierigen Zeiten Haushalt und Land zusammenzuhalten, ist eine Kunst. So profitieren Bürger von Steuerplänen der Regierung.

Steuereinnahmen: Politische Spielräume sind jetzt enger

Das bewiesen Angela Merkel und der damalige SPD-Finanzminister Peer Steinbrück in den dramatischen Zeiten der Finanzkrise 2008/09. Olaf Scholz lief als Arbeitsminister zur Hochform auf, rettete mit dem Kurzarbeitergeld viele Facharbeiterjobs. Davon ist Deutschland derzeit noch weit entfernt.Die Delle bei den Steuereinnahmen, die sich unverändert auf Rekordniveau bewegen, ist keine Katastrophe. Aber sie engt politische Spielräume ein. Viele rufen schon danach, die schwarze Null zu beerdigen. Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel ist ganz vorne mit dabei. Seit 2009 ist die Schuldenbremse im Grundgesetz verankert. Die Verfassung und ein ausgeglichener Haushalt sind kein Spielmaterial für Politiker, die nach Geld suchen.

Die Nullzins-Ära ist verlockend, um günstig Schulden zu machen. Aber wäre die Republik mit einem 500-Milliarden-Haushalt wirklich gerechter als mit einem 360-Milliarden-Etat? Das meiste Geld würde in der Wirtschaft und bei der Bundeswehr landen, um der Zwei-Prozent-Knute von Donald Trump zu entgehen.

Europawahl und Ost-Wahlen stehen an

Sind CDU, CSU und SPD stattdessen mutig genug, sich von liebgewonnenen Forderungen zu trennen? Der von der SPD geplante Griff in die Rentenkasse, um die Grundrente zu bezahlen, wäre ein Sündenfall, den künftige Generationen teuer bezahlen müssten. Um was es geht, nennt man in der Filmbranche übrigens „kill your darlings“. Beliebte Serienhelden werden geopfert, um die Story zu retten.Genau das spukt kurz vor der Europawahl und den Ost-Wahlen in den Köpfen der Parteistrategen herum und überlagert, was ökonomisch geboten wäre. Wird die CDU ihren „evergreen“ Angela Merkel nach der Europawahl opfern, damit Annegret Kramp-Karrenbauer die Hauptrolle im Kanzleramt spielen darf?Wann erwischt es bei der SPD Andrea Nahles, deren Einschaltquote nach der Sozialismus-Attacke von Kevin Kühnert noch einmal abgesackt sind? Die Wähler dürfen gespannt sein, wie lange diese Koalition noch auf Sendung ist. Zerbröselt der Kitt zwischen Schwarz und Rot endgültig, kursiert in Berlin schon ein Datum einer möglichen Neuwahl. Es wäre der 27. Oktober. Dann wird in Thüringen ohnehin gewählt.