„Die Selbstgefälligkeit, mit der der Premier die Anschuldigungen vom Tisch wischte, hat viele Israelis vor den Kopf gestoßen.“

Noch hat Israels Präsident nicht den Regierungsauftrag erteilt: Aber vieles deutet darauf hin, dass Premierminister Benjamin Netanjahu eine fünfte Amtszeit bekommt. Der Block aus seiner Likud-Partei und den rechten und religiösen Parteien hat rechnerisch die Mehrheit.

Aber es ist kein strahlender Sieg, den Netanjahu bei der israelischen Parlamentswahl eingefahren hat. Der Likud und das Blau-Weiß-Bündnis seines Herausforderers Benjamin Gantz liegen gleichauf. Das darf man getrost als Denkzettel für den Ministerpräsidenten auffassen.

Selbstgefälligkeit Netanjahus hat viele vor den Kopf gestoßen

Die Korruptionsvorwürfe gegen Netanjahu wiegen schwer. Der Generalstaatsanwalt hat eine Anklage wenige Wochen vor der Wahl in drei Fällen angekündigt. Die Selbstgefälligkeit, mit der der Premier die Anschuldigungen vom Tisch wischte, hat viele Israelis vor den Kopf gestoßen.

Darüber hinaus hatte er mit dem ehemaligen Armeechef Benjamin Gantz einen ganz starken Herausforderer. Der 58-jährige Spitzenmilitär kam unspektakulär, aber integer herüber. Er profilierte sich als moralischer Saubermann und Anti-Netanjahu. In der Sicherheitspolitik unterscheiden sich die beiden indessen kaum. Gantz strebt zwar eine Friedensregelung mit den Palästinensern an, hat also eine versöhnlichere Tonlage. Aber an den großen Siedlungsblöcken im Westjordanland will auch er festhalten. Der Sicherheits-Bonus, den Netanjahu lange Zeit innehatte, wurde dadurch neutralisiert. Netanjahu und Gantz unterschieden sich vor allem in Stilfragen, weniger in politischen Inhalten.

Dennoch: Das knappe Wahlergebnis überrascht. Denn Netanjahu gilt als ein begnadeter Redner und Wahlkämpfer, als charismatischer Vollblut-Politiker, der auf dem Papier eine Reihe von Vorteilen aufweisen kann. Er hat es geschafft, sich in der politisch unruhigen Region Nahost als großer internationaler Spieler zu positionieren: Er hat einen ganz engen Draht zu US-Präsident Donald Trump, der ihm kurz vor der Wahl im Alleingang – und am Völkerrecht vorbei – die Souveränität über die Golanhöhen zugesprochen hat.

Netanjahu wird knallharten Kurs fortsetzen

Gleichzeitig zelebriert Netanjahu den Schulterschluss mit Russlands Präsident Wladimir Putin. Und er hat eine informelle Allianz mit den arabischen Golfstaaten gegen den Iran geschmiedet. So viel Wendigkeit und taktisches Geschick muss man erst einmal auf die Waagschale bringen.

Ein neues Kabinett Netanjahu dürfte die scharfkantige Außenpolitik fortsetzen. Eine Wiederauflage der Koalition mit rechten und religiösen Parteien bedeutet: An der Seite Trumps wird Netanjahu seinen knallharten Kurs gegen den Iran fortsetzen und weitere Siedlungen bauen. Der Bundesregierung und der EU dürfte das nicht schmecken.

Gleichwohl trifft Netanjahu mit diesem Kurs der Unversöhnlichkeit den Nerv der Mehrheit. Die israelische Gesellschaft hat sich die Friedens-Illusionen der 90er- Jahre abgeschminkt. Sie ist nach rechts gerückt und will vor allem Sicherheit. 63 Prozent der Israelis bezeichnen sich heute als rechts, nur 15 Prozent als links und 18 Prozent als der Mitte zugehörig. Das ist der wesentliche Grund, warum es Netanjahu noch einmal geschafft hat.