„Die Kommunalwahlen in der Türkei sind auch eine neuerliche Chance, unser Bild über die Türkei zu überdenken.“

Es ist ein Zeichen an die freie Welt: Die Türkei lebt, und der demokratische Geist weht noch in ihr. Die Kommunalwahlen haben das sehr eindrucksvoll gezeigt.

Die Türkei ist mitnichten ein schon gleichgeschalteter Staat. Das Land ist zutiefst gespalten. Auch das ist eine Erkenntnis aus der Abstimmung, die in den ersten Reaktionen als „Denkzettel“-Wahl für Präsident Erdogan beschrieben wird. Von einer Abwahl ist dieser allerdings auch noch meilenweit entfernt. Es gibt immer noch große Unterstützung für den Präsidenten. Landesweit erhielt seine AKP rund 45 Prozent. Verglichen mit der Unterstützung für andere Volksparteien in Europa ist dieser Wert enorm. Und vergessen wir auch nicht: es waren Kommunalwahlen!

Hoffnung macht die wachsende Zahl der Menschen – nicht nur in den großen Städten, aber vorwiegend dort –, die mit Erdogans Kurs unzufrieden sind. Sie sind verärgert über die wirtschaftliche Entwicklung und halten es für gefährlich, wenn die Türkei sich militärisch und wirtschaftlich zu weit aus dem Fenster lehnt. Das Prinzip, das ihr Präsident zu verfolgen scheint, nämlich lieber mit den großen Bösewichtern dieser Welt in einem Atemzug genannt (oder auf einem Zeitschriftencover gezeigt), als gar nicht politisch wahrgenommen zu werden, ist ihnen zuwider. Die Kommunalwahlen in der Türkei sind auch eine neuerliche Chance, unser Bild von der Türkei zu überdenken. Gerade, weil hier so viele Türken seit Jahrzehnten leben und auch gerade weil viele von ihnen Erdogans Politik unterstützen, muss jede Bundesregierung eine vermittelnde Rolle einnehmen. Nach dem Wahlabend werden viele Türkeistämmige erkennen, dass sich die Heimat wandelt, wieder hin zu mehr politischer Vielfalt.

Erdogan wird weiter die Geschicke des Landes bestimmen. Dafür hat er schon längst selbst gesorgt. Doch das Regieren wird unbequemer. Das ist eine gute Nachricht.