Athen/Ankara. Gut ausgebildete Menschen kehren der Türkei aus politischen Gründen den Rücken. Erdogan droht der Verlust enorm wichtiger Fachkräfte.

Hasan arbeitet als Software-Ingenieur in der türkischen Niederlassung eines ausländischen Konzerns, spricht fließend Englisch und Deutsch. Der 35-Jährige verdient gut für türkische Verhältnisse und muss sich keine Sorgen um seinen Job machen.

Dennoch hat er jetzt gekündigt. Er will die Türkei verlassen. „Ich sehe für mich und meine Kinder hier keine Zukunft“, sagt der zweifache Vater beim Treffen im Café Destan im Istanbuler Stadtteil Ortaköy.

Seinen vollen Namen will Hasan nicht nennen, „um mich und meine Familie nicht in Schwierigkeiten zu bringen“, wie er sagt. Auslöser für den Entschluss das Land zu verlassen, war die Einführung des Präsidialsystems nach den Wahlen vom vergangenen Juni.

Viele Türken drehen Erdogan den Rücken zu

„Mit Demokratie hat das nicht mehr viel zu tun, unsere individuellen Freiheitsräume werden immer kleiner, man muss immer vorsichtig sein mit dem, was man mit Kollegen diskutiert oder in sozialen Netzwerken äußert“, klagt Hasan. „Ich möchte nicht, dass meine Söhne im Polizeistaat aufwachsen müssen.“

Hunderttausende Türken protestieren

Hunderttausende Türken haben sich am Sonntag zum Abschluss eines langen Protestzuges in Istanbul versammelt. Demonstranten schwenkten türkische Fahnen und forderten Gerechtigkeit
Hunderttausende Türken haben sich am Sonntag zum Abschluss eines langen Protestzuges in Istanbul versammelt. Demonstranten schwenkten türkische Fahnen und forderten Gerechtigkeit © dpa | Lefteris Pitarakis
Die Aktion richtete sich gegen die Politik von Präsident Recep Tayyip Erdogan. Der Chef der Oppositionspartei CHP, Kemal Kilicdaroglu, der den Protestmarsch von der türkischen Hauptstadt Ankara nach Istanbul am 15. Juni initiiert hatte, sprach am Abend zu seinen Anhängern
Die Aktion richtete sich gegen die Politik von Präsident Recep Tayyip Erdogan. Der Chef der Oppositionspartei CHP, Kemal Kilicdaroglu, der den Protestmarsch von der türkischen Hauptstadt Ankara nach Istanbul am 15. Juni initiiert hatte, sprach am Abend zu seinen Anhängern © REUTERS | STRINGER
Hintergrund des Protestzugs war die Verurteilung des CHP-Politikers Enis Berberoglu im Juni zu 25 Jahren Haft nach Spionage-Vorwürfen.
Hintergrund des Protestzugs war die Verurteilung des CHP-Politikers Enis Berberoglu im Juni zu 25 Jahren Haft nach Spionage-Vorwürfen. © Getty Images | Chris McGrath
Die Türkei steht im Westen wegen ihres Umgangs mit Menschenrechten in der Kritik, seit ein gescheiterter Putsch gegen Erdogan vor rund einem Jahr eine Verhaftungswelle auslöste.
Die Türkei steht im Westen wegen ihres Umgangs mit Menschenrechten in der Kritik, seit ein gescheiterter Putsch gegen Erdogan vor rund einem Jahr eine Verhaftungswelle auslöste. © Getty Images | Chris McGrath
Der CHP-Abgeordnete Özgür Özel bezifferte die Teilnehmerzahl nach Angaben des Senders CNN Türk auf 1,6 Millionen. Die Veranstaltung fand unter hohen Sicherheitsvorkehrungen statt.
Der CHP-Abgeordnete Özgür Özel bezifferte die Teilnehmerzahl nach Angaben des Senders CNN Türk auf 1,6 Millionen. Die Veranstaltung fand unter hohen Sicherheitsvorkehrungen statt. © Getty Images | Chris McGrath
„Wir wollen, dass alle antidemokratischen Praktiken enden“, sagte Kilicdaroglu, Chef der größten Oppositionspartei CHP.
„Wir wollen, dass alle antidemokratischen Praktiken enden“, sagte Kilicdaroglu, Chef der größten Oppositionspartei CHP. © Getty Images | Chris McGrath
Die Gerichte würden ihre Entscheidungen „auf Anweisung des Palastes treffen“, sagte Kilicdaroglu vor jubelnden Anhängern in Anspielung auf Erdogans Präsidentenpalast. „Wir sind marschiert, für die Gerechtigkeit, die es hier nicht gibt.“ Die Demonstranten skandierten „Recht, Justiz, Gerechtigkeit“ und schwenkten türkische Fahnen.
Die Gerichte würden ihre Entscheidungen „auf Anweisung des Palastes treffen“, sagte Kilicdaroglu vor jubelnden Anhängern in Anspielung auf Erdogans Präsidentenpalast. „Wir sind marschiert, für die Gerechtigkeit, die es hier nicht gibt.“ Die Demonstranten skandierten „Recht, Justiz, Gerechtigkeit“ und schwenkten türkische Fahnen. © Getty Images | Chris McGrath
Der CHP-Chef und seine Unterstützer kritisieren die Politik Erdogans und der islamisch-konservativen AKP-Regierung und vor allem die Maßnahmen nach dem Putschversuch vom 15. Juli 2016. Die türkische Führung macht den in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen für den gescheiterten Putsch verantwortlich.
Der CHP-Chef und seine Unterstützer kritisieren die Politik Erdogans und der islamisch-konservativen AKP-Regierung und vor allem die Maßnahmen nach dem Putschversuch vom 15. Juli 2016. Die türkische Führung macht den in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen für den gescheiterten Putsch verantwortlich. © Getty Images | Chris McGrath
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Viele Türken denken wie Hasan. Belastbare Zahlen zur Auswanderung gibt es nicht. Aber nach einer Studie der Oppositionspartei CHP haben im vergangenen Jahr 113.326 Menschen die Türkei verlassen, 63 Prozent mehr als im Vorjahr.

Andere Schätzungen gehen in eine Größenordnung von 250.000. In diesem Jahr dürfte die Zahl weiter angestiegen sein, als Reaktion auf Erdogans Wahlsieg im Juni und den wirtschaftlichen Abschwung, der im Sommer einsetzte.

Viele stört die Islamisierung des Bildungssystems

Der typische türkische Auswanderer ist zwischen 20 und 35 Jahre alt. Die Mehrheit kommt aus den Ballungsräumen Istanbul, Ankara und Izmir. Fast die Hälfte sind Frauen, so die Studie der CHP. Die Auswanderer sind überwiegend gut ausgebildete Fachkräfte, vor allem aus der IT-Branche, aber auch Ärzte und Akademiker.

Die meisten verlassen das Land nicht aus wirtschaftlichen Gründen, sondern weil sie und ihre Familien sich mit dem System Erdogan nicht anfreunden können.

Eine große Rolle spielt dabei die Islamisierung des türkischen Bildungswesens. So darf die Evolutionstheorie an türkischen Schulen nicht mehr gelehrt werden. Während die Naturwissenschaften im Lehrplan vernachlässigt werden, nimmt der islamische Religionsunterricht eine immer größere Rolle ein.

Immer werden normale Schulen werden zu Religionsschulen

Wenige Tage vor der Wahl im Juni versprach Erdogan auf einer Massenkundgebung in Istanbul, sein Ziel sei es, „eine fromme Generation von Muslimen heranzuziehen“. Seit Erdogans erstem Wahlsieg 2002 hat sich die Zahl der Imam-Hatip-Schulen, der Religionsgymnasien, von 450 auf 4500 verzehnfacht.

Immer mehr reguläre Schulen werden in Religionsschulen umgewandelt. Aus dem Etat des Erziehungsministeriums bekommen sie durchschnittlich doppelt so viel Geld wie säkulare Gymnasien.

Viele Auswanderer gehen auch unter dem Druck unmittelbarer Verfolgung. Nach dem Putschversuch vom Juli 2016 ließ Erdogan per Dekret über 6000 Professoren und 20.000 Lehrer feuern.

Die Karriere von Recep Tayyip Erdogan

Recep Tayyip Erdogan wurde am 26. Juni 2018 zum zweiten Mal in Folge zum Staatspräsidenten der Türkei gewählt. Zwei Wochen später hat er seinen Amtseid abgelegt und ist auf dem Höhepunkt seiner Macht angekommen. Bilder seiner Karriere.
Recep Tayyip Erdogan wurde am 26. Juni 2018 zum zweiten Mal in Folge zum Staatspräsidenten der Türkei gewählt. Zwei Wochen später hat er seinen Amtseid abgelegt und ist auf dem Höhepunkt seiner Macht angekommen. Bilder seiner Karriere. © dpa | Lefteris Pitarakis
Der Mann, der die Geschicke der Türkei bereits seit fast 16 Jahren bestimmt, ist nun nicht mehr nur Staats-, sondern auch Regierungschef. Seine Vereidigung besiegelte den Umbau des Staates vom parlamentarischen in ein Präsidialsystem. Darauf hatte er jahrelang hingearbeitet. Er kann unter anderem per Dekret regieren, viele Posten im Justizsystem besetzen und seine Vizepräsidenten allein bestimmten. Auch sein Kabinett konnte er ohne Zustimmung des Parlaments ernennen.
Der Mann, der die Geschicke der Türkei bereits seit fast 16 Jahren bestimmt, ist nun nicht mehr nur Staats-, sondern auch Regierungschef. Seine Vereidigung besiegelte den Umbau des Staates vom parlamentarischen in ein Präsidialsystem. Darauf hatte er jahrelang hingearbeitet. Er kann unter anderem per Dekret regieren, viele Posten im Justizsystem besetzen und seine Vizepräsidenten allein bestimmten. Auch sein Kabinett konnte er ohne Zustimmung des Parlaments ernennen. © dpa | Uncredited
Erdogan und seine Ehefrau Emine beim Gebet während der pompösen Zeremonie im Präsidentenpalast nach der Vereidigung am 9. Juli 2018.
Erdogan und seine Ehefrau Emine beim Gebet während der pompösen Zeremonie im Präsidentenpalast nach der Vereidigung am 9. Juli 2018. © REUTERS | UMIT BEKTAS
Im Oktober 2004 ehrte der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD, r.) einen besonderen Gast: „Ihr Eintreten für mehr Freiheit, einen besseren Schutz der Menschenrechte und weniger staatliche Bevormundung ist für Sie, Herr Ministerpräsident, aber kein Zugeständnis an Europa, sondern es ist Konsequenz Ihrer politischen Überzeugung.“ Die Laudatio galt dem türkischen Regierungschef, der in Berlin zum „Europäer des Jahres“ in der Kategorie „Brücken des Respekts“ gekürt wurde.
Im Oktober 2004 ehrte der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD, r.) einen besonderen Gast: „Ihr Eintreten für mehr Freiheit, einen besseren Schutz der Menschenrechte und weniger staatliche Bevormundung ist für Sie, Herr Ministerpräsident, aber kein Zugeständnis an Europa, sondern es ist Konsequenz Ihrer politischen Überzeugung.“ Die Laudatio galt dem türkischen Regierungschef, der in Berlin zum „Europäer des Jahres“ in der Kategorie „Brücken des Respekts“ gekürt wurde. © picture alliance / Eventpress | dpa Picture-Alliance / Eventpress Herrmann
Warme Worte, die wohl niemand in der EU mehr mit dem heutigen türkischen Staatspräsidenten verbinden würde. Im Gegensatz zu ihrem Vorgänger scheint Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU, l.) kein Lächeln mehr für Erdogan übrig zu haben. Erdogan griff am 13. März 2017 bei einer Veranstaltung in Ankara erneut Bundeskanzlerin Angela Merkel an, die sich im Streit um Auftrittsverbote hinter die Regierung in Den Haag gestellt hatte.
Warme Worte, die wohl niemand in der EU mehr mit dem heutigen türkischen Staatspräsidenten verbinden würde. Im Gegensatz zu ihrem Vorgänger scheint Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU, l.) kein Lächeln mehr für Erdogan übrig zu haben. Erdogan griff am 13. März 2017 bei einer Veranstaltung in Ankara erneut Bundeskanzlerin Angela Merkel an, die sich im Streit um Auftrittsverbote hinter die Regierung in Den Haag gestellt hatte. © dpa | Lefteris Pitarakis
Nicht nur die Schröder-Laudatio zeigt, was für einen Wandel Erdogan in seiner Karriere durchlaufen hat. Seit Republikgründer Mustafa Kemal Atatürk hat kein Politiker die Türkei stärker geprägt als der heute 64-Jährige – der bislang aus allen Krisen gestärkt hervorging. In die Wiege gelegt wurde Erdogan der Erfolg nicht. Seine Familie stammt von der Schwarzmeerküste. Erdogan wuchs in einfachen Verhältnissen im Istanbuler Arbeiterviertel Kasimpasa auf.
Nicht nur die Schröder-Laudatio zeigt, was für einen Wandel Erdogan in seiner Karriere durchlaufen hat. Seit Republikgründer Mustafa Kemal Atatürk hat kein Politiker die Türkei stärker geprägt als der heute 64-Jährige – der bislang aus allen Krisen gestärkt hervorging. In die Wiege gelegt wurde Erdogan der Erfolg nicht. Seine Familie stammt von der Schwarzmeerküste. Erdogan wuchs in einfachen Verhältnissen im Istanbuler Arbeiterviertel Kasimpasa auf. © REUTERS | REUTERS / UMIT BEKTAS
Der Film „Reis“ („Anführer“) zeichnet das frühe Leben Erdogans – verkörpert von dem türkischen Schauspieler Reha Beyoglu – nach. Zwar soll das Präsidialamt keinen Einfluss auf den sentimental-kitschigen Streifen genommen haben. Das Image Erdogans, das der Film transportiert, ist aber eines, das auch seine Anhänger pflegen: das eines ebenso gerechten wie gläubigen Menschen, der sich aufopfert, um Benachteiligten zu helfen.
Der Film „Reis“ („Anführer“) zeichnet das frühe Leben Erdogans – verkörpert von dem türkischen Schauspieler Reha Beyoglu – nach. Zwar soll das Präsidialamt keinen Einfluss auf den sentimental-kitschigen Streifen genommen haben. Das Image Erdogans, das der Film transportiert, ist aber eines, das auch seine Anhänger pflegen: das eines ebenso gerechten wie gläubigen Menschen, der sich aufopfert, um Benachteiligten zu helfen. © REUTERS | REUTERS / MURAD SEZER
Erst in Kasimpasa, dann von 1994 an als Oberbürgermeister in ganz Istanbul. Diese Aufnahme zeigt Erdogan (Mitte) am 22. April 1998 gemeinsam mit Melih Gokcek (l.) – Bürgermeister von Ankara – und dem türkischen AKP-Politiker Ismail Kahraman in Istanbul.
Erst in Kasimpasa, dann von 1994 an als Oberbürgermeister in ganz Istanbul. Diese Aufnahme zeigt Erdogan (Mitte) am 22. April 1998 gemeinsam mit Melih Gokcek (l.) – Bürgermeister von Ankara – und dem türkischen AKP-Politiker Ismail Kahraman in Istanbul. © picture alliance/ASSOCIATED PRESS | AP Content
Der Film endet 1999 mit Erdogans Verhaftung wegen einer flammenden Rede, in der er ein Gedicht mit dem Vers „Die Minarette sind unsere Bajonette“ zitierte. Nach vier Monaten wurde Erdogan wieder aus der Haft entlassen.
Der Film endet 1999 mit Erdogans Verhaftung wegen einer flammenden Rede, in der er ein Gedicht mit dem Vers „Die Minarette sind unsere Bajonette“ zitierte. Nach vier Monaten wurde Erdogan wieder aus der Haft entlassen. © REUTERS | REUTERS / Stringer Turkey
2002 führte der vierfache Familienvater die von ihm mitbegründete islamisch-konservative AKP an die Macht.
2002 führte der vierfache Familienvater die von ihm mitbegründete islamisch-konservative AKP an die Macht. © REUTERS | REUTERS / Fatih Saribas
Shaking Hands: Erdogan trifft im Dezember 2002 den damaligen US-Präsidenten George W. Bush im Weißen Haus.
Shaking Hands: Erdogan trifft im Dezember 2002 den damaligen US-Präsidenten George W. Bush im Weißen Haus. © REUTERS | REUTERS / Kevin Lamarque
Nur wenige Minuten vermochte sich der Regierungschef im Sattel zu halten, als er bei der Eröffnung eines Stadtparks im Istanbuler Bezirk Bayrampasa am 30. Juli 2003 einen kleinen Ausritt wagte. Das zuvor bereits bockige Pferd warf ihn kurzerhand ab. Erdogan kam ungeschoren davon. Sein Programm habe er nach dem Sturz normal fortgesetzt.
Nur wenige Minuten vermochte sich der Regierungschef im Sattel zu halten, als er bei der Eröffnung eines Stadtparks im Istanbuler Bezirk Bayrampasa am 30. Juli 2003 einen kleinen Ausritt wagte. Das zuvor bereits bockige Pferd warf ihn kurzerhand ab. Erdogan kam ungeschoren davon. Sein Programm habe er nach dem Sturz normal fortgesetzt. © picture-alliance / dpa/dpaweb | dpa Picture-Alliance / epa
Im Jahr 2003 übernahm Erdogan das Amt des Ministerpräsidenten. Die Aufnahme zeigt Erdogans Teilnahme an der Zeremonie zum 67. Todestag von Mustafa Kemal Atatürk in Ankara.
Im Jahr 2003 übernahm Erdogan das Amt des Ministerpräsidenten. Die Aufnahme zeigt Erdogans Teilnahme an der Zeremonie zum 67. Todestag von Mustafa Kemal Atatürk in Ankara. © REUTERS | Umit Bektas
Rote Nelken gab es im Mai 2014 in Köln während einer Veranstaltung zum zehnjährigen Jubiläum der UETD, der Union Europäisch-Türkischer Demokraten.
Rote Nelken gab es im Mai 2014 in Köln während einer Veranstaltung zum zehnjährigen Jubiläum der UETD, der Union Europäisch-Türkischer Demokraten. © Getty Images | Sascha Schuermann
2014 wurde Erdogan der erste direkt vom Volk gewählte Staatspräsident der Republik. Am 28. August 2014 wurde er vereidigt. Die Aufnahme zeigt den vierfachen Familienvater mit seiner Ehefrau Emine (3.v.l.), Schwiegersohn Berat Albayrak (l.), Tochter Esra Erdogan Albayrak (2.v.l.), Sohn Necmeddin Bilal (2.v.r.) und Tochter Sümeyye.
2014 wurde Erdogan der erste direkt vom Volk gewählte Staatspräsident der Republik. Am 28. August 2014 wurde er vereidigt. Die Aufnahme zeigt den vierfachen Familienvater mit seiner Ehefrau Emine (3.v.l.), Schwiegersohn Berat Albayrak (l.), Tochter Esra Erdogan Albayrak (2.v.l.), Sohn Necmeddin Bilal (2.v.r.) und Tochter Sümeyye. © REUTERS | REUTERS / UMIT BEKTAS
Seit dem Putschversuch vom Juli 2016 treibt Erdogan sein Ziel eines Präsidialsystems für die Türkei mit Riesenschritten voran. Diese Aufnahme zeigt Soldaten vor dem Denkmal der Republik am Taksim-Platz in Istanbul. Der Aufstand mit etwa 300 Toten scheitert. Ankara macht Anhänger des Predigers Fethullah Gülen verantwortlich.
Seit dem Putschversuch vom Juli 2016 treibt Erdogan sein Ziel eines Präsidialsystems für die Türkei mit Riesenschritten voran. Diese Aufnahme zeigt Soldaten vor dem Denkmal der Republik am Taksim-Platz in Istanbul. Der Aufstand mit etwa 300 Toten scheitert. Ankara macht Anhänger des Predigers Fethullah Gülen verantwortlich. © REUTERS | REUTERS / MURAD SEZER
Tausende Beamten, Polizisten und Richter werden entlassen und verhaftet. Erdogan spricht von „Säuberungen“.
Tausende Beamten, Polizisten und Richter werden entlassen und verhaftet. Erdogan spricht von „Säuberungen“. © REUTERS | REUTERS / UMIT BEKTAS
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan gab am 16. April in einem Wahllokal in Istanbul seine Stimme zum Referendum ab. Das Volk entschied zugunsten des Staatschefs. Das Präsidialsystem, für dessen Einführung bei dem Verfassungs-Referendum eine knappe Mehrheit votierte, wird Erdogan deutlich mehr Macht verleihen.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan gab am 16. April in einem Wahllokal in Istanbul seine Stimme zum Referendum ab. Das Volk entschied zugunsten des Staatschefs. Das Präsidialsystem, für dessen Einführung bei dem Verfassungs-Referendum eine knappe Mehrheit votierte, wird Erdogan deutlich mehr Macht verleihen. © dpa | Lefteris Pitarakis
Erdogan hat weitere unbestreitbare Erfolge vorzuweisen. Unter seiner Ägide hat die Türkei eine gigantische wirtschaftliche Entwicklung durchlaufen. Erdogan war es auch, der die Türkei Richtung Europa führte. Als er Ministerpräsident war, wurde 2004 die Todesstrafe abgeschafft.
Erdogan hat weitere unbestreitbare Erfolge vorzuweisen. Unter seiner Ägide hat die Türkei eine gigantische wirtschaftliche Entwicklung durchlaufen. Erdogan war es auch, der die Türkei Richtung Europa führte. Als er Ministerpräsident war, wurde 2004 die Todesstrafe abgeschafft. © REUTERS | REUTERS / OSMAN ORSAL
2005 nahm die Türkei Beitrittsverhandlungen mit der EU auf. Während weite Teile des Nahen Ostens im Chaos versanken, schien Erdogan zu beweisen, dass Islam und Demokratie kein Widerspruch in sich sein müssen. Erdogan war es auch, der einen Friedensprozess mit der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK in die Wege leitete.
2005 nahm die Türkei Beitrittsverhandlungen mit der EU auf. Während weite Teile des Nahen Ostens im Chaos versanken, schien Erdogan zu beweisen, dass Islam und Demokratie kein Widerspruch in sich sein müssen. Erdogan war es auch, der einen Friedensprozess mit der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK in die Wege leitete. © REUTERS | REUTERS / YAGIZ KARAHAN
Der Friedensprozess mit der PKK ist gescheitert, seit Mitte 2015 eskaliert die Gewalt. Als die AKP im Juni 2015 erstmals die absolute Mehrheit bei der Parlamentswahl verlor, veranlasste Erdogan eine Neuwahl, um den Makel auszubügeln. Nach der Niederschlagung des Putsches verhängte der Präsident den Ausnahmezustand und ließ Zehntausende Menschen inhaftieren, darunter auch regierungskritische Journalisten. Rund 100.000 Staatsbedienstete wurden entlassen.
Der Friedensprozess mit der PKK ist gescheitert, seit Mitte 2015 eskaliert die Gewalt. Als die AKP im Juni 2015 erstmals die absolute Mehrheit bei der Parlamentswahl verlor, veranlasste Erdogan eine Neuwahl, um den Makel auszubügeln. Nach der Niederschlagung des Putsches verhängte der Präsident den Ausnahmezustand und ließ Zehntausende Menschen inhaftieren, darunter auch regierungskritische Journalisten. Rund 100.000 Staatsbedienstete wurden entlassen. © dpa | Kayhan Ozer
Je stärker die EU-Kritik an dem im Westen als zunehmend autoritär empfundenen Führungsstil Erdogans wuchs, desto mehr wendete sich dieser von Europa ab. Erdogan nannte die EU erst kürzlich eine „Kreuzritter-Allianz“.
Je stärker die EU-Kritik an dem im Westen als zunehmend autoritär empfundenen Führungsstil Erdogans wuchs, desto mehr wendete sich dieser von Europa ab. Erdogan nannte die EU erst kürzlich eine „Kreuzritter-Allianz“. © REUTERS | REUTERS / MURAD SEZER
Bei seinem Amtsantritt als Präsident 2014 hatte Erdogan eine „neue Türkei“ versprochen und an die Adresse seiner Gegner versöhnliche Signale ausgesandt.
Bei seinem Amtsantritt als Präsident 2014 hatte Erdogan eine „neue Türkei“ versprochen und an die Adresse seiner Gegner versöhnliche Signale ausgesandt. © REUTERS | Murad Sezer
„Lasst uns die alten Auseinandersetzungen in der alten Türkei zurücklassen“, sagte er damals. Stattdessen sind die Gräben in der Bevölkerung tiefer denn je.
„Lasst uns die alten Auseinandersetzungen in der alten Türkei zurücklassen“, sagte er damals. Stattdessen sind die Gräben in der Bevölkerung tiefer denn je. © REUTERS | HANDOUT
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Auch zweieinhalb Jahre später gehen die Säuberungen mit unverminderter Härte weiter. Keine Woche vergeht ohne neue Festnahmen mutmaßlicher Anhänger des Exil-Predigers Fethullah Gülen, den Erdogan als Drahtzieher hinter dem Umsturzversuch vermutet.

Zensur in der Türkei

Schon ein unbedachtes Wort bei Facebook oder Twitter kann schlimme Folgen in der Türkei haben: Im vergangenen Jahr leitete die Justiz 20.539 Ermittlungsverfahren wegen „Präsidentenbeleidigung“ ein. Darauf stehen bis zu vier Jahre Haft. Seit Erdogans Amtsantritt 2014 kamen 9234 solcher Fälle vor Gericht. Davon endeten 5964 mit einer Verurteilung.

Viele versuchen, sich durch Auswanderung einer drohenden Verfolgung zu entziehen. Seit März hat sich die Zahl der Asylsuchenden aus der Türkei in Nordrhein-Westfalen mehr als vervierfacht. Nachdem im ersten Quartal 2018 560 politische Flüchtlinge aus der Türkei in NRW registriert wurden, waren es im dritten Quartal bereits 2494.

Abwanderung könnte zum Problem für die Türkei werden

Der Grund für den Anstieg sei „klar und traurig zugleich“, sagte NRW-Integrationsminister Joachim Stamp dem „Kölner Stadt-Anzeiger“: „Ursachen sind die Politik Erdogans, das Zurückdrängen demokratischer Kräfte, die Beschneidung der Pressefreiheit, die Verhaftung Tausender Menschen und die Entlassung von Zehntausenden vermeintlichen Anhängern der Gülen-Bewegung.“

Dass es viele der besten Talente sind, die jetzt auswandern, könnte für das Land jetzt, wo ein wirtschaftlicher Abschwung eingesetzt hat, zum Problem werden. Der Türkei droht ein Braindrain. Es gebe „eine spürbare Migration“ von Fachkräften ins Ausland, heißt es beim Verband der türkischen Software-Industrie.

Akademiker sollen in die Türkei zurückkommen

In jüngster Zeit sei eine große Zahl junger Software-Entwickler ins Ausland gegangen, und der Trend halte an, so der Verband. Inoffiziell heißt es in der Branche, bereits zehn Prozent der Software-Entwickler hätten das Land verlassen – nicht, weil sie in der Türkei keine Arbeit fänden, sondern „weil sie mehr Freiheit und eine bessere Lebensqualität suchen“, wie ein Branchenexperte sagt.

Staatschef Erdogan appelliert an Akademiker, in die Türkei zurückzukehren. „Ich lade alle ein, mit uns an der Entwicklung der Wissenschaft und der Technologie zu arbeiten“, sagte er im September auf einer Technologie-Konferenz. Rückkehrern versprach er ein Monatsgehalt von umgerechnet 4000 Euro – viel Geld für türkische Verhältnisse.

Viele Festnahmen nach Putschversuch

Dass viele dem Ruf folgen werden, ist nicht zu erwarten. Wenige Wochen nach dem Appell ließ die türkische Justiz 13 prominente Akademiker verhaften. Ihnen wird vorgeworfen, zu den Massenprotesten vom Sommer 2013 angestiftet zu haben.

Unter den Beschuldigten sind der Dekan der Istanbuler Bilgi-Universität, Turgut Tarhanli, und die bekannte Mathematik-Professorin Betül Tanbay. Ihnen werden „staatsfeindliche“ und „terroristische Aktivitäten“ vorgeworfen. Zwar kamen die meisten inzwischen wieder auf freien Fuß, aber die Verhaftungen waren das falsche Signal an mögliche Rückkehrer.