“Joachim Hempels Verständnis des Auftrages eines Geistlichen: nicht wegducken, Stellung beziehen, Reibungsflächen bieten, greifbar sein.“

Eure Rede aber sei: Ja! Ja! Nein! Nein! Was darüber ist, das ist vom Übel.
Jesus Christus

Ein Kirchenmann. Das ist wohl einer, der Theologie versteht und für die Kirche arbeitet. Wir haben außerdem gelernt, dass damit bestimmte Eigenschaften einhergehen. Die Stimme sanft, der Gestus bedächtig, der Tonfall irgendwo zwischen Trost, Hoffnung und Trübsal. Und dann kommt DER! Ein Gewitter von einem Kerl, brausend wie der Sturm und manchmal auch so laut, klar und grell wie der Blitz. Was er sagt, hallt mindestens so lange nach wie der Donner über Salzdahlum.

Wie dieser Schreiberling wieder übertreibt, werden Sie vielleicht denken. Dann gehören Sie zu denen, die Joachim Hempel noch nie auf der Kanzel erlebt haben, die seine Predigten am Sonntag nicht kennen und auch keine seiner 17-Uhr-Andachten im Dom besuchten. Heute feiert Joachim Hempel mit einer Andacht im Braunschweiger Dom um 12 Uhr seinen 70. Geburtstag.

Hempel ist Braunschweiger. Und zwar von der seltener werdenden Sorte, die nicht nur die Laute der braunschweigischen Mundart beherrscht und weiß, warum es nicht „Gasse“, sondern „Twete“ heißen muss. Er ist einer, der seine Stadt versteht. Dazu gehört der Blick auf die Menschen. Mit ganzen Familien ist er den Weg von der Wiege bis zur Bahre gegangen. Dazu gehört aber auch das Wissen um die Wurzeln der Löwenstadt. Kaum einer – Eckhard Schimpf ausgenommen! – vermag so profunden Einblick in die Geschichte Braunschweigs zu geben. Und wenn er über Heinrich den Löwen und seine Mathilde spricht, die im Dom St. Blasii begraben liegen, werden sie für uns lebendig.

Hempel, das macht auch die 80 Studien- und Pilgerreisen unter seiner Leitung legendär, ist ein Freund überraschender Details, die große Zusammenhänge in neuem Licht schimmern lassen. Von Heinrich, dem schlachtenhungrigen, seine Möglichkeiten überschätzenden Fürsten erzählen alle. Joachim Hempel kennt auch die andere Seite – die eines Menschen, der sich für andere Kulturen interessierte und, so deutet es Hempel, Pionier des interreligiösen Dialogs war.

Als Pfarrer wie als Domprediger hat Hempel vieles anders gemacht als viele andere. Er, der Meisterprediger, verstand den Dom natürlich als Ort der Verkündigung – aber auch als einen Ort des Dialoges. Noch entschlossener als seine Vorgänger machte er ihn zu einem Mittelpunkt des geistigen Austauschs in unserer Region. Es hat mit seinem lutherischen Verständnis des Auftrages eines Geistlichen zu tun: nicht wegducken, Stellung beziehen, Reibungsflächen bieten, greifbar sein. Als nach den Anschlägen auf das World Trade Center verstörte Menschen in den Dom strömten, fanden sie hier Trost und Einordnung, fühlten sich beschützt. Ingeborg Obi-Preuß schrieb in der „Neuen Braunschweiger“: „Er kann die große Bühne – Bundespräsidenten, Botschafter, Minister und Könige pflastern geradezu seinen Weg – ,aber ich bin immer auch ein Gemeindepfarrer geblieben’, sagt er.“

Joachim Hempel
Joachim Hempel © Florian Kleinschmidt/BestPixels.de | Florian Kleinschmidt/BestPixels.de

Hempels Liebe zur streitbaren Verständigung endet nicht an den Grenzen der evangelischen Landeskirche. Mit Hingabe pflegte er das Gespräch mit den Vertretern der anderen Religionen und Konfessionen, mit dem Rat der Muslime, der jüdischen Gemeinde und den katholischen Mitchristen. Vieles, was trotz einiger Abkühlung heute wie selbstverständliches Miteinander wirkt, wäre ohne Hempel nicht denkbar.

Die Relevanz einer Kirche hat sehr oft mit charismatischen Köpfen zu tun; für die Landeskirche war es ein Glück, mit Joachim Hempel und Landesbischof Friedrich Weber über gleich zwei Persönlichkeiten zu verfügen, die sich im besten Sinne ihrer Kirche bemerkbar machten und, in einer der Skepsis zuneigenden Region, Menschen für sich einnahmen. Man mag bedauern, dass manche Kollegen diese Ausstrahlung nicht als Segen erkannten. Kleines Karo wird mitunter auch im Dienst einer großen Sache getragen. Hempel hat es nicht bekümmert. Das Bundesverdienstkreuz, die Friedensmedaille der Stadt Bethlehem – sie sind Ausdruck einer Wertschätzung weit über die Kirche hinaus.

Niemand kommt als Meister auf die Welt. Aber Hempel war Entscheidendes in die Wiege gelegt. Das Temperament, welches den Streit nicht sucht, ihn aber verträgt. Der blitzgescheite Intellekt. Die Freude am Wort, die den Sohn eines Druck-Unternehmers beseelt. Und ganz sicher die Neugier auf andere Menschen, auf ihre Weltsicht und ihre Widersprüche.

Hinterm Horizont geht’s weiter. Das ist zwar eine Zeile von Udo Lindenberg, aber sie passt auch zu diesem ganz anders gelagerten, Braunschweiger Achtundsechziger. Sein Vikariat wollte Hempel nicht in der Sicherheit einer deutschen Gemeinde, sondern in Äthiopien absolvieren. Diese Erfahrung hat ihn geprägt, für die Deutsche Schule in Addis Abeba setzt er sich bis heute ein. Als junger Pfarrer lernte er, sich zwischen dem Stadtadel und der Arbeiterschaft von Riddagshausen und Gliesmarode zu bewegen, wurde später Pressesprecher der Landeskirche. Seine wahre Bestimmung fand er am Braunschweiger Dom.

Vor fünf Jahren dann der Ruhestand, Cornelia Götz wurde Dompredigerin. Seine Pläne? „Ich gebe meine Ämter ab und mache nichts“, sagte Hempel. So recht konnte das niemand glauben, wohl auch seine Frau Gisela nicht, die mit ihm durch dick und dünn geht. Hempel blieb ein wacher, unbequemer Geist der Landeskirche, er wurde als Ombudsmann unserer Zeitung hoch engagierter Anwalt der Leser. Und dann wieder Äthiopien, denn die deutsche Gemeinde war in Not. Ein halbes Jahr rackerte Hempel, als hätte er nicht auf sein Herz zu achten – und verließ die Evangelische Gemeinde und die Kirchenschule von Addis mit guter Perspektive.

Und jetzt „ich mache nichts“? Man mag es nicht glauben und will es nicht hoffen. Auch ein Hempel, der kürzer tritt, bleibt kreativer Unruheherd und Verbinder, wie ihn diese Region und ihre Landeskirche brauchen. Mögen ihm Glück und Gesundheit treu bleiben!