Michael Jacksons Werk ist – wie bei vielen Künstlern – größer als der Mensch.

Bewiesen ist nichts. Wir spielen das gängige Spiel der medialen Verurteilung und Verdammung nicht mit. Doch wenn Vorwürfe wie gegen den toten Superstar Michael Jackson von mehreren Leuten über Jahre vorgebracht werden, wenn der Beschuldigte sich einmal sogar freigekauft hat, dann fällt es auch nicht ganz leicht, an seine völlige Unschuld zu glauben.

Was lässt sich nun also in Ermangelung eines sicheren Urteils über den Fall Jackson sagen? Der Ort der vermeintlichen Verbrechen weist den Weg: Neverland. Das ist im Märchen die Insel des Peter Pan. Der Held entführt dorthin Kinder, um sie vor dem Erwachsenwerden zu bewahren und mit ihnen Abenteuer zu bestehen. Während diese Kinder irgendwann ins normale Leben zurückkehren, bleibt Peter Pan der ewige Junge.

Die Parallele ist gespenstisch. War der Superstar in Wahrheit so infantil und regressiv, dass er sich eine endlose Kindheit jenseits der Erwachsenen-Moral erschuf gegen die Zumutungen der Welt? Und dorthin auch Kinder mitnahm, um mit ihnen zu spielen?

Sicher, diese psychologische Überlegung macht das Verbrechen, wenn es denn stattgefunden hat, um kein Jota weniger schlimm. Sie soll nichts entschuldigen, sondern nur zu dem Gedanken führen, den Georg Büchner einst formulierte: „Jeder Mensch ist ein Abgrund.“

Michael Jackson war ein begnadeter Künstler, auch wenn er sich schuldig gemacht haben sollte. Über ihn Gericht zu halten, ist zu spät. Es ist moralisch billig, statt dessen seine Musik zum Verstummen zu verurteilen. Das Werk ist – wie bei vielen Künstlern – größer als er. Das müssen wir – wie bei vielen Künstlern – aushalten. Wenn man seine eruptiven, inbrünstigen Lieder jetzt anders hört, nämlich auch als Ausdruck einer kranken Seele, als Botschaften aus dem Abgrund eines ewig unreifen Jungen, dann relativiert man doch in keiner Weise das Verbrechen des sexuellen Missbrauchs, oder?