„Hartz IV heißt das unbewältigte Trauma, das die Genossen seit 15 Jahren mit sich herumschleppen.“

Irgendwann gibt es einen Punkt, an dem die Schatten der Vergangenheit übermächtig werden, unbehandelte Wunden das Handeln lähmen, der Blick in den Spiegel grausam ist. Was hilft dann? Eine Therapie. Auf die Couch haben sich jetzt die leidenden Volksparteien CDU und SPD gelegt. Ihre Beziehung zu vielen Wählern ist gestört. Ihr über Jahrzehnte gewachsener natürlicher Machtanspruch steht infrage.

Die CDU mit der neuen Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer will jene Identitätskrise aufarbeiten, die sie seit dem Flüchtlingsjahr 2015 mit voller Wucht erfasst hat. Wenn es Kramp-Karrenbauer im Schulterschluss mit dem frischgebackenen CSU-Vorsitzenden Markus Söder gelingt, die Union wieder zur ersten Adresse bei „law and order“ zu machen, Chancen und Risiken von Zuwanderung ehrlich zu erklären, dann könnte der eine Satz, der vom Schall-und-Rauch-Comeback eines Friedrich Merz übrig blieb, die AfD nämlich halbieren zu wollen, in einigen Jahren in Erfüllung gehen.

Beim Patienten SPD fällt die Anamnese noch leichter. Hartz IV heißt das unbewältigte Trauma, das die Genossen seit 15 Jahren mit sich herumschleppen. Was die Partei an Reformideen für einen neuen Sozialstaat zusammengetragen haben, kann sich sehen lassen. Nicht alles, was die SPD bei Grundrente, Bürgergeld statt Hartz IV und Kindergrundsicherung verspricht, ist bezahlbar und gerecht. Die Vorschläge aber haben das Potenzial, dass die SPD sich zumindest mit einem Teil ihrer Kernklientel versöhnen kann, die nach den Hartz-Reformen verstört das Weite gesucht hatte.

Dass die Union nun Zeter und Mordio schreit, hilft sowohl der Nahles-SPD als auch der Kramp-Karrenbauer-CDU und der Söder-CSU, wieder sichtbarer zu werden. Eine linkere SPD und eine rechtere Union sind nicht das Schlechteste, was Deutschland gerade passieren kann.