Die Rente wird nur für Versicherte aufgebessert, die mindestens 35 Jahre Grundrentenzeiten vorweisen können.

Na sowas, der nette Herr Heil erweist sich als Rampensau. Mit seinem Frühstart zur „Grundrente“ hat der Sozialminister viele überrumpelt. Das größte Manko sind die hohen Kosten. Man wüsste gern, was der Finanzminister Olaf Scholz denkt, aber nie offen aussprechen wird, weil es in der (sozialdemokratischen) Familie bleiben muss.

Wenn Hubertus Heil die Reform durchsetzt, kommt er in die Ahnengalerie der Sozialpolitiker. Wenn nicht, haben wir einen Scheinriesen mehr kommen – und wieder gehen sehen.

Viele haben sich am Werkstück versucht, Ursula von der Leyen (CDU) mit der „Zuschussrente“, Andrea Nahles (SPD) mit der „solidarischen Lebensleistungsrente“. Es leuchtet ein, dass jemand, der sein lang gearbeitet und 35 Jahre in die Sozialkassen eingezahlt hat, im Alter besser dastehen muss als einer, der nicht gearbeitet hat (oder konnte) und erst Sozialhilfe und im Alter Grundsicherung bezieht.

Grundrente schafft Anreiz, auch Mindestlohn-Jobs anzunehmen

Das werden alle ungern hören, die unverschuldet beschäftigungslos sind. Bloß: Es geht hier nicht um Schuld. Es geht darum, einer lebenslangen Arbeitsleistung gerecht zu werden. Nebenbei gesagt, wäre eine Grundrente ein Anreiz, auch zum Mindestlohn zu malochen.

Es gibt genug Leute, die dazu nicht bereit sind. Sie halten sich mit Sozialhilfe über Wasser und verdienen sich mit „Schwarzarbeit“ ein Zubrot; und stehen am Ende ihres Lebens mit der Grundsicherung im Alter nicht schlechter da als einer der 35 Jahre lang geschuftet hat. Das ist nicht in Ordnung.

Wer 34 statt 35 Jahre eingezahlt hat, wird sich ärgern

Die lupenrein gerechte Lösung gibt es selten. Der Haken in Heils Modell ist die Abbruchkante: Die Rente wird nur für Versicherte aufgebessert, die mindestens 35 Jahre Grundrentenzeiten vorweisen können. Wer 34 Jahre eingezahlt hat, schiebt Frust.

Das Problem hat man bei vielen Leistungsgesetzen, wenn eine Grenze eingezogen wird. Heil war nicht herzlos, sondern realistisch. Selbst mit der Abbruchkante bei 35 Jahren ist die Grundrente ein „finanzieller Kraftakt“, wie er sagt. Eine noch großzügigere Regelung ist nicht drin.

Heils Zugeständnis: Keine Bedürftigkeitsprüfung

Die Finanzierung ist das Wagnis. Zurecht weist die Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt darauf hin, dass die Koalition mit der Mütterrente II bereits eine teure Verpflichtung eingegangen ist. Umso seltsamer ist es, dass Heil die Grundrente ohne eine Bedürftigkeitsprüfung auszahlen wird.

Respekt ist ein großes Wort, aber warum sollte das Altersruhegeld eines Kleinrentners aufgebessert werden, wenn er nur statistisch arm dran ist, in Wahrheit aber höhere Einkünfte hat?

Der Sozialstaat muss sich nicht naiv stellen. Vermutlich ist der Verzicht auf die Bedürftigkeitsregelung eine klassische Sollbruch-Stelle in der großen Polit-Maschine: Sie kann brechen, ohne das System zu gefährden. An dem Punkt kann Heil Zugeständnisse machen.

Heils Vorstoß ist ein Alleingang

Sein Vorstoß wird für Diskussionen sorgen. Der letzte Minister, der mit einem Coup dieser Art durchkam, war von der Leyen im Jahr 2007 mit der Forderung nach dem massiven Ausbau der Krippenplätze.

Heil hat anders als damals von der Leyen immerhin einen Auftrag der großen Koalition. Aber natürlich treibt er seinen Koalitionspartner zur Weißglut. Er hätte seinen Vorstoß abstimmen müssen.

Die Chancen, dass Heil damit durchkommt, stehen gut

Zur Wahrheit gehört aber auch: Wäre er den Normalweg gegangen, wären seine Pläne zerredet und ihm ausgeredet worden.

Der SPD bleibt nichts anderes übrig, als ihrem Minister zu folgen. Sie kann sich keinen Rohrkrepierer auf einem Feld leisten, das gemeinhin als ihre Kernkompetenz gilt. Letzthin stehen die Chancen nicht schlecht, dass Heil viel von dem Plan retten wird. Große Koalitionen sind freigiebig.