„Die Männerdominanz ist die am schwersten wiegende Unwucht der deutschen Demokratie“.

Frauen sind für zwei Drittel der geleisteten Arbeit verantwortlich, trotzdem verdienen sie nur 10 Prozent des Gesamteinkommens und besitzen nur ein Prozent vom gesamten Eigentum. Sind wir also gleich? Bis die Antwort Ja heißt, dürfen wir nicht aufhören zu fragen. (Daniel Craig, Bond-Darsteller)

Bei der Gleichstellung von Mann und Frau gibt es in Deutschland noch viel zu tun. Auch im Parlament, wie Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble bei der Feierstunde diese Woche im Reichstagsgebäude sagte. Anlass seiner Rede: Vor genau 100 Jahren durften Frauen in Deutschland zum ersten Mal wählen. Für dieses Recht hatten sie hart gekämpft. Noch bei der Wahl zur Nationalversammlung 1848 in der Frankfurter Paulskirche waren, wie selbstverständlich, nur Männer abstimmungsberechtigt gewesen. Louise Dittmer, eine Kämpferin für die Frauenrechte, kommentierte damals: „Wohl spricht man viel von Freiheit für alle, aber man ist gewöhnt, unter dem Wort ‚alle’ nur die Männer zu verstehen.“

Zu diesen finsteren Verhältnissen haben wir erfreulichen Abstand gewonnen. Das Wahlrecht für Frauen und viele andere ist heute unumstritten. Es könnte sich auch niemand mehr vorstellen, dass Frauen ihren Mann fragen müssen, ob sie zum Beispiel berufstätig sein dürfen. Und dennoch bleibt viel Luft nach oben, im alltäglichen Miteinander von Männern und Frauen wie in der Wirtschaft und in der Politik. Schäuble weiß: Der Anteil der Frauen an den Volksvertretern ist zurückgegangen, gegenwärtig liegt er bei nicht einmal 31 Prozent. Dieser Wert war zuletzt 1998 ähnlich schlecht gewesen. Die Grünen und die Linken sind die einzigen Fraktionen mit weiblicher Mehrheit. Bei der SPD sind immerhin noch etwas mehr als 40 Prozent Frauen. Das komplette bürgerliche Lager aber hat angesichts drastisch in Richtung der Männer verschobener Mehrheitsverhältnisse allen Anlass zur Selbstverbesserung. Unrühmlicher Ausreißer nach unten: Bei der AfD treffen wir nur zehn Frauen, aber 82 Männer an.

Die Männerdominanz ist die am schwersten wiegende Unwucht der deutschen Demokratie, schwerer noch als die groteske Überrepräsentation von Angehörigen des Öffentlichen Dienstes. Kein Teil der Gesellschaft hat eine parlamentarische Lobby, die es an Stärke mit den Staatsdienern aufnehmen könnte. Die selbstkritische Betrachtung des bisher Erreichten ist, ganz besonders im Fall der Gleichberechtigung, der beste Schutz vor Selbstzufriedenheit. Und Schäuble hatte Recht mit seinem Hinweis, dass die Gleichberechtigung von Mann und Frau verteidigt werden muss. Sie ist einer der Grundwerte, deren Respektierung auch von denen verlangt werden muss, die in diesem Land, dieser Gesellschaft Heimat finden wollen. Da darf es keinen „Kulturrabatt“ geben.

Wie gelingt es 100 Jahre nach der Einführung des Frauenwahlrechts, die Hälfte der deutschen Bevölkerung fair zu repräsentieren, im Europaparlament, im Bundestag, in den Landtagen, in den Kommunalparlamenten? Dort fallen Entscheidungen, die über die Lebensrealität entscheiden, auch bei der Gleichberechtigung.

Die Forderung nach einer Frauenquote steht im Raum. Mit der Listenaufstellung entscheiden die Parteien mit, wie groß die Chance einer Kandidatin oder eines Kandidaten auf den Mandatsgewinn ist. Falls CDU, CSU, FDP und AfD nicht zu Selbstverpflichtungen kommen, die Geschlechterverteilung endlich ernst zu nehmen, wäre eine verbindliche Regelung die nächstliegende Option.

Wenn Parteiverantwortliche sich nun vor Sorge nächtens schlaflos wälzen, weil man starke Kandidaten ja nicht so leicht findet wie Fichten im Harz, hilft ihnen ein bewährtes Hausmittel: Einfach mal anfangen. Die Vorsitzende des Internationalen Freundeskreises Wolfsburg (IFK), Elisabeth Pötsch, hat diese Woche einen eindringlichen Appell formuliert, sich nicht in Wehklagen über alle möglichen Missstände zu erschöpfen, sondern mutig das zu tun, was möglich ist. Recht hat sie.

Und vielleicht kann ja auch hier künstliche Intelligenz helfen. Jörg Dräger, Vorstandsmitglied der Bertelsmann-Stiftung, stellte am Donnerstag in einem bemerkenswerten Vortrag vor dem IFK dar, wie Algorithmen das reale Leben erleichtern. In der Metropole New York, wo etwas mehr Menschen leben als in ganz Niedersachsen, verschaffen komplexe Rechenvorgänge deutlich mehr Schülern den Besuch ihrer Wunschschule. Sie helfen Richtern, aus Häftlingen freie Bürger zu machen, wenn die Rückfallgefahr gering ist. Und sie schicken Polizisten dorthin, wo Verbrechen mit hoher Wahrscheinlichkeit geschehen werden. In New York sank die Zahl der Verbrechen in Verbindung mit einer Null-Toleranz-Politik daraufhin dramatisch. In Niedersachsen wird das „predictive policing“ (vorhersagende Polizeiarbeit) erprobt, unter anderem in Braunschweig, Wolfsburg/Helmstedt, Salzgitter/Peine/Wolfenbüttel und in Hildesheim.

New York sichert, wie Dräger berichtete, per Gesetz größtmögliche Transparenz. Die Bürger wissen, nach welchen Kriterium der Computer seine Empfehlungen errechnet. Auch in dieser Hinsicht ist der Big Apple vorbildlich.

A propos vorhersagende Arbeit: Man kann gelegentlich den Eindruck gewinnen, dass nicht alle Akteure des öffentlichen Lebens vom regelmäßigen Konsum seriöser Nachrichtenmedien profitieren. So verrät die aktuelle Stahl-Tarifforderung ausgerechnet der in unserer Region so klug agierenden IG Metall einen Optimismus, der mit der Nachrichtenlage kaum zu vereinbaren ist. Das Gesamtpaket der Forderungen summiert sich auf rund zehn Prozent. Kaum vorstellbar, dass die deutsche Stahlindustrie diese dauerhafte (!) Belastung ohne massive Rationalisierung schultern könnte. Bei uns gelten Umweltauflagen, die sehr viel schärfer und teurer sind als bei den internationalen Wettbewerbern. China zermürbt den Stahlmarkt mit seiner Überproduktion. Trump führt einen Handelskrieg. Und die Konjunkturaussichten sind im Zeichen des Brexit vernebelt wie lange nicht. Ist die Forderung nur dem üblichen Säbelrasseln im Rahmen von Tarifauseinandersetzungen zuzuschreiben? Man muss es hoffen. Falls sie ernst gemeint wäre, gerieten auch hier bei uns viele Arbeitsplätze in Gefahr. Vielleicht bedarf die Frankfurter Zentrale eines guten Rates aus Niedersachsen.