Ambergs OB Cerny sagt: ,Wir haben einen Rechtsstaat, der funktioniert.’ Aber dieser Rechtsstaat treibt Raubbau an seiner Substanz.

Die Frucht der Gerechtigkeit aber wird gesät in Frieden für die, die Frieden stiften.Bibel, Jakobus 3,18

Der Oberbürgermeister von Amberg ist so etwas wie die Inkarnation der Werte, die seine Partei, die CSU, vor langer Zeit groß gemacht haben. Wahrscheinlich sind Politiker wie Michael Cerny die einzige Versicherung dagegen, dass Zauberkünstler wie Horst Seehofer und Markus Söder die Christsozialen auf das Niveau der Bayern-SPD abwirtschaften. Cerny, 54, ist fest verwurzelt in der katholischen Kirche. In der kirchlichen Jugendarbeit lernte er seine Frau Christiane kennen, mit der er seit mehr als zwei Jahrzehnten verheiratet ist. Die Beiden haben drei Kinder.

Cernys Name findet sich auf den Mitgliederlisten der Katholischen Arbeitnehmerbewegung, des Tierschutzvereins Amberg-Sulzbach, des Kinderschutzbundes, der Amberger Tafel und vieler Vereinigungen mehr, die eine Gesellschaft zusammenhalten. Kommunalpolitik macht Cerny seit Jahrzehnten. Seit 2014 ist der Diplom-Informatiker Oberbürgermeister der Stadt Amberg, einer ausgesprochen hübschen, kreisfreien Stadt von etwas mehr als 42.000 Seelen in der Oberpfalz, 69 Kilometer nordwestlich der Bezirkshauptstadt Regensburg.

Seine Wahl war keine Überraschung. Das liegt an ihm selbst, aber auch daran, dass sich niemand vorstellen konnte, warum die seit 1958 andauernde CSU-Herrschaft zu Ende gehen sollte. Cernys Vorgänger Wolfgang Dandorfer hatte das Amt allein 24 Jahre lang inne. Es gibt Landmassive der Stabilität eben nicht nur in Niedersachsen: Die CSU fährt in Amberg seit Menschengedenken Wahlergebnisse nahe der 50 Prozent ein, die SPD lag bei der Kommunalwahl zuletzt immerhin bei 28,8 Prozent, die anderen Parteien spielten eine nachgeordnete Rolle. Die Arbeitslosenquote lag im Dezember bei 3,8 Prozent.

Dieser Michael Cerny hat in den vergangenen Tagen so viele Interviews gegeben wie Seehofer und Söder zusammen nicht. Vier junge Männer, nach Stand der Ermittlungen ein Iraner, ein Syrer und zwei Afghanen, hatten am Samstag um 18.45 und um 20.45 Uhr wahllos auf Passanten eingeprügelt. Es gab zwölf Verletzte. Die mutmaßlichen Täter wurden um 21 Uhr festgenommen. Cerny berichtet von besorgten, zornigen Reaktionen der Amberger, er ist erleichtert, dass die Opfer nur leicht verletzt wurden. Bei den Übergriffen gebe es nichts zu beschönigen. Und dennoch wundert er sich über die Aufmerksamkeit, die seine Stadt nun ereilt hat. „Aus meiner Sicht ist das alles total überdimensioniert. Auf neuoberpfälzerisch: too much“, sagte er der „Süddeutschen Zeitung“.

Schnell machten Nachrichten die Runde, in Amberg habe sich eine „Bürgerwehr“ formiert. Die Stadt weiß lediglich von vier aus dem fernen Nürnberg angereisten NPD-Aktivisten, die ihre „Patrouille“ per Facebook inszenierten. Cerny sagt ganz nüchtern: „Man muss das einordnen in den Kontext der Straftaten, die täglich in Deutschland passieren. Egal, ob sie von Deutschen oder Asylbewerbern begangen werden: Im Strafrecht sind beide gleich. Einen Unterschied zum deutschen Staatsbürger gibt es nur in den Konsequenzen im Aufenthaltsrecht. Dementsprechend werden auch die Amberger Täter behandelt werden. Wir haben einen Rechtsstaat, der funktioniert.“

Es ist die Reaktion eines Mannes, der besondere Verantwortung für den Ruf seiner Stadt trägt. Er kann kein Interesse an Zerrbildern haben. Die Tatsachen sind auf seiner Seite. Es gibt in Amberg keine Häufung von Randale, aber viele Beispiele gelungener Integration. Im Oktober etwa hatte die „Mittelbayerische Zeitung“ über eine junge Frau berichtet, die 2016 aus Eritrea geflüchtet war und die Berufsschule mit der Glanznote 1,0 abschloss. Cerny hatte ihr eine Auszeichnung überreicht.

Leider lief in den vergangenen Tagen erneut ein politisches Reflexmuster ab, dessen wesentlicher Effekt die Desinformation ist. Innenminister Seehofer hat bei der CSU-Klausur in Kloster Seeon gerade Fehler eingeräumt und macht gleich den nächsten: Wider besseres Wissen schleudert er erneut die Ankündigung eines Gesetzes für schnellere Abschiebung in die Debatte. Die beste Antwort gaben die Anwender des Rechts. Der Geschäftsführer des Deutschen Richterbundes, Sven Rebehn, sagt der Agentur AFP: „Es ist verfehlt, sich jetzt öffentlich mit Forderungen nach schärferen Gesetzen zu überbieten.“ Denn: „Der Ruf nach schärferen Gesetzen löst die Vollzugsdefizite nicht.“ Rebehn kritisiert die Tatsache, dass Verfahren im Strafrecht und im Verwaltungsrecht deutlich zu lange dauern. Staatsanwälte und Richter sind massiv überlastet.

Die Folgen werden auch in Amberg sichtbar. Der Asylantrag eines der Tatverdächtigen war schon 2017 abgelehnt worden, doch das Verwaltungsgerichtsverfahren ist nach seinem Widerspruch noch immer nicht abgeschlossen. Wer solche unhaltbaren Zustände ändern will, kann über Verfahrensverkürzungen nachdenken, solange sie den Maßstäben des Rechtsstaates genügen. Er muss aber vor allem dafür sorgen, dass die Justiz personell in der Lage ist, ihre Arbeit zu machen. So könnte sich der bayerische Ministerpräsident Söder – wie seine Kollegen überall in der Republik – bleibende Verdienste um das Bürgervertrauen erwerben, wenn er mehr Stellen für Polizisten, Staatsanwälte und Richter schaffen würde. Jeder Industriebetrieb baut Kapazitäten aus, wenn die Auftragsbücher voll sind. Um diese simple Logik drücken sich Landespolitiker seit Jahren herum. Oberbürgermeister Cerny sagt: „Wir haben einen Rechtsstaat, der funktioniert.“ Aber dieser Rechtsstaat treibt Raubbau an seiner Substanz. Wer möchte, dass Straftäter schnell verurteilt und abgelehnte Asylbewerber abgeschoben werden, muss in den Rechtsstaat investieren!