„Der Bahn wird in ihrer angespannten Lage jedoch kaum eine andere Möglichkeit bleiben, als sich der Gewerkschaft zu nähern.“

Erinnern Sie sich an das Jahr 2015? Bahnkunden litten unter dem erbitterten Tarifkonflikt zwischen der Deutschen Bahn und der Lokführergewerkschaft GDL . Gewerkschaftschef Claus Weselsky rief seine 20.000 Mitglieder bei der Bahn zu insgesamt 420 Stunden Streik auf. Damals ging es „nur“ um die Interessen des Zugpersonals. Was passiert, wenn die ungleich größere Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG bei den Tarifverhandlungen für rund 160.000 Beschäftigte für nur vier Stunden zum Sturm bläst, das hat Deutschland am Montag eindrucksvoll erlebt . Alle Fernzüge standen still. In manchen Bundesländern ging gar nichts mehr.

Die EVG, die anders als die konkurrierende Lokführergewerkschaft bislang wenig kämpferisch auftrat, hat der Deutschen Bahn ihre Macht demonstriert. Von der Wucht des Warnstreiks zeigte sich die Führung der Gewerkschaft, die seit Jahren mit Mitgliederschwund kämpft, offiziell wenig überrascht. Sie verwies darauf, dass die Mitglieder die Aktionen weitgehend selbst gesteuert hätten. Dabei dürfte die große Bereitschaft zur Teilnahme am Warnstreik noch einen anderen Grund haben, als ein Signal im Tarifkonflikt zu senden: Die Eisenbahner arbeiten wegen Personalmangel und jahrelanger Sparpolitik an der Belastungsgrenze. Besserung ist nicht in Sicht. Der Frust bei den Mitarbeitern sitzt mindestens genauso tief wie bei den Kunden.

Anders sieht es bei den konkreten Tarifverhandlungen aus. Die EVG ist sehr nah dran an einer Einigung. 5,1 Prozent mehr Geld in etwas mehr als zwei Jahren bietet die Bahn: Das ist ein gutes Verhandlungsergebnis. Der Konzern spricht von einer „völlig überflüssigen Eskalation“ – und hat recht. Der Bahn wird in ihrer angespannten Lage jedoch kaum eine andere Möglichkeit bleiben, als sich der Gewerkschaft zu nähern. Sonst riskiert sie eine Eskalation mitten in der Weihnachtszeit.