“Die EU wäre gut beraten, die Türkei nicht abzuschreiben.“

Der dramatische Verfall der Lira zeigt, dass sich der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan mit seiner Ich-gegen-den-Rest-der-Welt-Kampagne in die eigene Tasche lügt. Er hat den Unternehmen seines Landes jahrelang milliardenschwere öffentliche Aufträge verschafft. Schmiermittel war eine Politik des billigen Geldes der Zentralbank. Diese müsste jetzt eigentlich einschreiten, um die mit einer überhitzten Konjunktur einhergehende Inflation mit höheren Leitzinsen zu dämpfen. Doch Erdogan blockiert.

Das löst einen fatalen Dominoeffekt aus. Die internationalen Investoren ziehen ihr Kapital aus der Türkei ab und legen es in harten Währungen an. Die Lira bricht ein. Türkische Betriebe, die ausländische Kredite bedienen müssen, stehen blank da. Vor allem für südeuropäische Banken, die viele Milliarden Euro an das Land am Bosporus ausgeliehen haben, ist das ein Risiko. Da deutsche Geldhäuser in Südeuropa sehr stark engagiert sind, hängen sie mit drin. All dies ist jedoch kein Grund zur Schadenfreude. Die Türkei hat sich zu einem ertragsstarken Schwellenland entwickelt. Floriert es, ist es gut für Europa. Erdogan hat als Ministerpräsident in den Jahren ab 2003 vieles richtig gemacht. Er hat die Wirtschaft entbürokratisiert und die Voraussetzungen für einen langen Aufschwung geschaffen.In der aktuellen Finanzkrise hat er sich hingegen verrannt.

Die EU wäre gut beraten, die Türkei nicht abzuschreiben; es gibt auch eine Zeit nach Erdogan. Was nottut, ist strategische Geduld. Die Europäer und die Nato müssen mit dem Türken im Gespräch bleiben. Auch, was dessen Kuschelkurs mit „neuen Freunden und Verbündeten“ im Osten betrifft. Wenn Erdogan am 28. und 29. September nach Deutschland kommt, geht es um die Kunst des Dialogs hinter den Kulissen. Öffentliche Schelte bringt billigen Beifall auf der innenpolitischen Galerie, führt aber zu nichts.