„Die Menschen sehnen sich irgendwie nach Sinn, nach einer diffusen Spiritualität.“

Wer im Mittelalter die Göttlichkeit Jesu geleugnet hätte, wäre als Ungeheuer erschienen. Die für das christliche Abendland so prägende Glaubensgewissheit ist heute weitgehend Makulatur. Die Menschen sehnen sich teilweise irgendwie nach Sinn, nach einer diffusen Spiritualität, spintisieren über eine wie immer geartete kosmische Kraft. Andere finden sich einfach damit ab, dass mit dem Tod Schluss ist. Die Vorstellung jedenfalls, dass ein personaler Gott an einem bestimmten Punkt im ewigen Kontinuum der Zeit seinen Sohn auf einem Staubkorn am Rand einer von Milliarden Galaxien hat leben, sterben und auferstehen lassen, um die dortigen Bewohner irgendwie zu erlösen, ist heute nur noch schwer zu vermitteln. Es ist verdammt lange her. Unser Weltbild hat sich vollständig gewandelt. Wir wissen, dass der Mensch, die Erde, sogar die Sonne nur universale Episoden sind. Und mit der Menschheit ist es ja auch nicht besser geworden seit Jesus.

Die Kirchen, welche die Göttlichkeit Jesu predigen, verlieren zumindest hierzulande an Gewicht. Die Mitgliederzahlen gehen seit langem zurück. Und bei vielen Getauften ist nach der Konfirmation Schluss mit praktizierter Religion.

So erscheinen die Versuche, mit allerlei „Öffnungen“ ins Profane an Attraktivität zu gewinnen, eher hilflos. Die Botschaft muss zünden, dann ist es egal, wo.

Die schwindende gesellschaftliche Relevanz von Kirchen muss man nicht schlimm finden – dazu muss man nur in die USA schauen. Doch betrachtet man das vergangene Jahrhundert mit den verheerenden Bilanzen zweier gottloser Ideologien, gerät man schon ins Grübeln. Religion, richtig verstanden, schützt uns vor Selbstüberhebung, macht uns demütig. „Dein ist das Reich“, heißt es im „Vater unser“. Die Kirchen, so klein sie auch werden mögen, haben gerade in Zeiten großkotziger Machtpolitiker und menschenverachtender Shitstorms etwas Wichtiges gegen den Zeitgeist zu setzen, und zwar ohne modischen Schnickschnack: Jesus ist ein sehr guter Lehrer in Demut und Nächstenliebe. Wenn wir von ihm nichts mehr wissen, wird er uns fehlen.