“Als provinziell haben viele Nicht-Bayern die CSU sicher auch schon früher wahrgenommen.“

„Lassen Sie links und rechts die Leute krakeelen, die Karawane der Union zieht weiter.“
Helmut Kohl beim CSU-Parteitag 1994

Sind Sie im WM-Fieber? Reißt Sie diese Fußball-Weltmeisterschaft in Russland mit? Mich nicht. Vielleicht liegt es an den durch die Zeitverschiebung sehr frühen Anstoßzeiten, vielleicht an den vielen äußerst mittelprächtigen Vorrundenspielen.

Auch die enttäuschende 0:1-Niederlage der deutschen Mannschaft gegen Mexiko ist eine Stimmungsbremse. Auf dem Platz und in den anschließenden Interviews präsentierten sich Löws Auswahlspieler eher als meckernde Individualisten denn als „die Mannschaft“, jenes legendäre Team, das 2014 den Titel holte. Die „Sport-Bild“ berichtete jüngst von einem „tiefen Riss zwischen Bayern-Block und Legionären“, also zwischen Spielern des FC Bayern München und Kickern, die im Ausland ihre Millionen verdienen.

Die Bundespolitik wird gerade ebenfalls von einem Bayern-Block aufgemischt, die Union gibt in diesen Tagen ein ähnlich zerrissenes Bild wie die Nationalmannschaft ab. Der Asylstreit zwischen Kanzlerin Merkel und Innenminister Seehofer, zwischen CDU und CSU entzweit die Schwesterparteien. Rolf-Dieter Krause, in Braunschweig aufgewachsener ehemaliger Studioleiter der ARD in Brüssel, schimpfte in Sandra Maischbergers Talkshow: „Die CSU ist eine Provinzpartei, die inzwischen auch provinziell denkt.“

Als provinziell haben viele Nicht-Bayern die CSU sicher auch schon früher wahrgenommen. Zwar untermauerte Franz Josef Strauß beispielsweise mit seinem verwegenen Flug durch den Schneesturm nach Moskau 1987 weltpolitische Ambitionen, doch seine Attacken in Bierzelten gegen Linksintellektuelle oder seinen ewigen CDU-Rivalen Helmut Kohl erinnerten bisweilen an einen Schwank aus dem Komödienstadl. 1976 entschloss sich die CSU überraschend, die Fraktionsgemeinschaft mit der CDU im Bundestag aufzukündigen. Strauß polterte gegen „die politischen Pygmäen der CDU“, diese „Reclam-Ausgabe von Politikern“. Der Kreuther Trennungsbeschluss hatte ganze 24 Tage bestand, dann ruderte Strauß zurück. Kohl hatte gedroht, mit der CDU und eigenen Kandidaten in Bayern einzumarschieren ­-- damals ein zu hohes Risiko für die Christsozialen.

Wäre das Risiko bei einem Bruch der Schwestern heute anders verteilt? Ebenfalls bei Maischberger lobte der Publizist Gabor Steingart die CSU für ihre Position in der aktuellen Asyldebatte: Endlich „ermanne“ sich eine Partei, folge dem Willen der Mehrheit und führe eine Trendwende in der Asylpolitik herbei. Steingart zählt offenbar zu denen, die sich freuen würden, wenn die Union am Asylstreit zerbräche und es die CSU als deutschlandweite konservative Alternative gäbe. Laut aktueller Insa-Umfrage käme die CSU bundesweit auf 18 Prozent der Stimmen, die CDU läge dann bei 22 Prozent. Gemeinsam hingegen rangierten CDU/CSU in Umfragen zuletzt bei schwachen 29 Prozent. Getrennt marschieren, vereint schlagen ­-- diese Strategie des preußischen Generalstabschefs Moltke könnte auch für CDU und CSU eine Erwägung wert sein. Allerdings ist sie sicher mit einer Kanzlerin und Parteivorsitzenden Angela Merkel nicht umzusetzen.

Goslars Oberbürgermeister Oliver Junk, bis 2014 selbst CSU-Mitglied, warnte im Gespräch mit unserer Zeitung vor dem immensen Schaden, den die Union durch den Schwesternstreit nehme. Er sieht das Gepolter aus München im Kontext der bayerischen Landtagswahl am 14. Oktober: Die CSU erreichte in den jüngsten Umfragen nur 40 Prozent, war also weit entfernt von der absoluten Mehrheit. Die AfD hingegen wäre auch in Bayern mit mindestens zwölf Prozent vertreten. Den Aufstieg der Partei rechts der CSU verhindern also weder Horst Seehofer, wenn er sich mit Merkel duelliert, noch Markus Söder, wenn er die Kampfbegriffe der AfD übernimmt und „Asyltourismus“ geißelt. Überhaupt scheint es der Neu-Ministerpräsident zu sein, der im Streit der Unionsparteien die Strippen zieht. In Anlehnung an sein politisches Idol Franz Josef Strauß suchte er am Mittwoch auf der europapolitischen Bühne den Schulterschluss mit Österreichs Kanzler Kurz – wohl wissend, dass Bayern allein die Weichen in der Asylpolitik kaum anders stellen kann. Doch politische Inhalte scheinen ohnehin zweitrangig – wie ist sonst zu erklären, dass sich die Union wegen eines Papiers zur Asylpolitik zerfleischt, das im Detail niemand kennt? Seehofers „Masterplan Migration“ existiert bislang wohl nur im Kopf des Innenministers.

Selbstverständlich schmälert jede von Flüchtlingen begangene Straftat, schmälert jeder Skandal im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) die Bereitschaft der Bürger, Migranten aufzunehmen. Der Bundesinnenminister sollte den Bundesgrenzschutz stärken und bei seinen Kollegen in den Ländern für mehr Polizisten streiten ­-- und das Bamf grundlegend neu organisieren. Der Führungswechsel an der Bamf-Spitze ist ein erster konkreter Schritt. Rätselhaft bleibt hingegen Seehofers Forderung, bereits in einem anderen EU-Land registrierte Asylsuchende an den deutschen Grenzen zurückzuweisen: Wie soll das praktisch funktionieren?

Der UN-Flüchtlingsrat hat diese Woche seine Jahresbilanz vorgelegt. Demnach waren 2017 weltweit fast 70 Millionen Menschen auf der Flucht. Die Zahl zeigt: Migration ist ein globales Problem. Angela Merkels Versuch, doch noch eine europäische Linie zu finden, ist angesichts der Herausforderung der einzig richtige Weg. Die Verhandlungsposition der Kanzlerin ist allerdings denkbar schlecht: 2015 hatte sie im Alleingang entschieden, einer Million Flüchtlinge die Einreise nach Deutschland zu ermöglichen. Jetzt braucht sie die europäischen Partner – und ist innenpolitisch durch den Zoff mit Seehofer geschwächt.

Geschlossenheit ist das Gebot der Stunde, in der EU wie bei CDU/CSU und in der Nationalelf. Bayern-Block und Legionäre können heute Abend gegen Schweden Einigkeit demonstrieren. Dann geht es nur um Fußball – und nicht um Asylpolitik, die Einfluss auf menschliche Schicksale nimmt.