„Was hilft der ,bezahlbare‘ Azubi, wenn die Ausbildungszeit an jeden Zweiten letztlich verschwendet ist?“

„Lernen ist wie Rudern gegen den Strom. Sobald man aufhört, treibt man zurück.“
Benjamin Britten

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Drum prüfe, wer sich ewig bindet? 2016 haben 146 000 junge Menschen ihre Berufsausbildung abgebrochen. Damit wurde mehr als ein Viertel aller Ausbildungsverträge hinfällig. Lange Zeit des Arbeitens und Lernens blieb ohne den Abschluss, der noch immer die beste Gewähr für dauerhafte Beschäftigung bietet.

Der aktuelle Entwurf des Berufsbildungsberichtes, den das Bildungsministerium jedes Jahr vorlegt, ist insofern alarmierend, als der Anteil der gescheiterten Anläufe steigt. Und es gibt Berufe wie Koch, Friseur oder Restaurantfachkraft, in denen nach dem exklusiven Bericht der „Süddeutschen Zeitung“ sogar jeder Zweite hinwirft. Die Zahlen finden sich auch in der Realität unserer Region wieder, wie unsere Recherchen zeigen. Stellen sie das Ausbildungssystem in Handwerk und Industrie infrage?

Vor Fehlurteilen sei gewarnt. Denn weder der vorurteilsschwangere Vorwurf an eine angeblich orientierungsschwache Jugend hilft weiter, noch trifft die pauschale Unterstellung, Ausbildungsbetriebe würden ihre Azubis durch miserable Arbeitsbedingungen vergrämen. Insgesamt gilt unser System der dualen Ausbildung zurecht als vorbildlich. Die Verbindung von schulischer und betrieblicher Ausbildung ist – nicht zuletzt dank des großen Engagements von Ausbildern und Prüfern – ein Geheimnis der deutschen Erfolge im internationalen Wettbewerb. Der ehrenamtliche Einsatz im Kontext der Handwerks- und Industrie- und Handelskammern kann gar nicht stark genug gewürdigt werden.

Doch offenkundig finden die Erwartungen an den Beruf und die Ausbildungsrealität nicht immer zueinander. Da scheint es an den Informationen und Eindrücken zu fehlen, die dem künftigen Azubi eine belastbare Entscheidung ermöglichen. Und: Der Blick in die Vergütungstabellen gibt deutliche Hinweise, wo Probleme liegen. Man kann sie zum Beispiel beim Bundesinstitut für Berufsbildung nachlesen. Der Elektroniker für Maschinen- und Antriebstechnik verdient über die vier Ausbildungsjahre hinweg in Westdeutschland durchschnittlich 1053 Euro, im Osten sind es 1029 Euro. Vom Bankkaufmann bis zum Binnenschiffer, vom Fertigungs-bis zum Gießereimechaniker liegt die Ausbildungsvergütung ebenfalls jenseits der 1000-Euro-Marke. Der Fleischer bleibt dagegen bei 782 Euro, im Osten Deutschlands sogar nur bei 383 Euro stehen. Friseure können mit 522 Euro rechnen. Der Bäckerlehrling erhält fürs frühe Aufstehen 637 Euro. I diesen Berufen bleibt der Traum vom wirtschaftlich selbstständigen Leben unerfüllt. Und das Gefälle zwischen Ausbildungsvergütung und Handlangerjob zum Mindestlohn wird steil. Bei den besser bezahlten Ausbildungsberufen liegen die Unterschiede häufig nur im Bereich von wenigen Dutzend Euro.

Lehrjahre sind keine Herrenjahre, sagt der Volksmund. Und die Lohn- und Gehaltsniveaus der Branchen sind sehr unterschiedlich. In einigen liegen sie so niedrig, dass sich auch mancher Ausgelernte fragen muss, wie lange er sich diesen Arbeitsplatz leisten kann. Logisch, dass sich dies auch in den Ausbildungsvergütungen wiederfindet. Man ist gut beraten, diese Verhältnisse nicht allzu eilfertig mit einer Profitgier von Unternehmern zu erklären. Viele Branchen sperren sich gegen eine Ausbildungsvergütung auf Mindestlohnniveau, weil der Kostendruck hoch ist und jeder Ausbildungsbetrieb in der Tat einigen Aufwand treiben sollte, um seinen Nachwuchs zu qualifizieren.

Nur: Was hilft der „bezahlbare“ Azubi, wenn die Ausbildungszeit an jeden Zweiten letztlich verschwendet ist? Was hat das Unternehmen von jungen Kräften, die sich bei der ersten sich bietenden Gelegenheit einen besser dotierten Job suchen?

Die Suche nach Fachkräften stellt immer mehr Unternehmen auch in unserer Region vor große Probleme. Bei uns ist die Lage tendenziell sogar schwieriger als in anderen Wirtschaftsräumen – Volkswagen bietet Konditionen, bei denen sehr vielen anderen Unternehmen die Luft wegbleibt.

Es müsste im Interesse jedes Unternehmens und jeder Branche liegen, exzellenten Nachwuchs langfristig an sich zu binden – durch sehr gute Ausbildung und konkurrenzfähige Dotierung. Sollten die Unternehmen sich also freuen, weil Bundesbildungsministerin Anja Karliczek in unserer Zeitung die Einführung einer Mindestausbildungsvergütung ankündigt? Wahrscheinlich ja. Die Äußerungen der Ministerin weisen darauf hin, dass sie nicht an eine Einheitsregelung über die Köpfe der Tarifparteien, der Wirtschaftsverbände und der Länder hinweg denkt. Das lässt auf eine praktikable Lösung hoffen.

Feststeht: Die abgeschlossene Berufsausbildung hat hohen Wert und eröffnet beste Perspektiven. Seit zehn Jahren ist auf dieser Basis sogar ein Studium ohne Abitur möglich – fast 60 000 Frauen und Männer nutzen diese Chance. Dranbleiben lohnt sich!

Diese Wochenkolumne darf nicht schließen ohne ein großes Dankeschön an unsere Leserinnen und Leser. Sie haben im Rahmen der Aktion „Das Goldene Herz“, die unsere Zeitung mit dem Paritätischen Wohlfahrtsverband betreibt, fast 275 000 Euro gespendet. Die Opfer der Flut in Wolfenbüttel und die Krebshilfe-Initiativen aus der gesamten Region verdanken allen Spendern ein Signal der Hilfsbereitschaft und wertschätzenden Solidarität. Es ist ein gutes Zeichen für das menschliche Miteinander in unserer Heimat.