„Der intellektuell brillante, kantige, tief in der Parteitradition und in seiner Heimat wurzelnde „Glogo“ ist die personifizierte Mahnung an seine Partei.“

„Die Fantasie der Angst ist jener böse, äffische Kobold, der dem Menschen gerade dann noch auf den Rücken springt, wenn er schon am schwersten zu tragen hat.“
Friedrich Nietzsche

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Was könnten die deutsche Teilung und der 450. Geburtstag der Evangelischen Landeskirche miteinander zu tun haben? Sehr viel, wenn es nach Joachim Gauck geht, dem Seiteneinsteiger ins höchste Staatsamt, der vielleicht gerade deshalb ein ganz besonders populärer Bundespräsident war. Im Dom hielt er diese Woche seine bedächtigste, aber vielleicht nachhaltigste Braunschweiger Rede. Viele von uns haben fast 30 Jahre nach der Wiedervereinigung ja schon vergessen, wie das war. Die Kirchen waren in der DDR Inkubatoren der Freiheitsliebe – nicht etwa weil dies in ihrem Wesen läge, sondern weil unter ihrem Dach ein wenig Freiraum blieb. Nur hier stieß der totalitäre Anspruch der kommunistischen Herren auf gewisse Grenzen. Und weil die braunschweigische Kirche über die deutsch- deutsche Grenze reichte, war sie eine Brücke zwischen Ost und West, ein Garant für einen oft nur konspirativ zu organisierenden Austausch, der vielen ostdeutschen Christen wichtig war.

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Wie fast immer bei diesem großen Redner steckte in der Erinnerung eine Mahnung: Nehmt die Freiheit nicht selbstverständlich, denn sie ist es nicht. Christen in der DDR bezahlten ihr kirchliches Engagement häufig mit beruflichen Nachteilen und gesellschaftlicher Drangsal. Gauck nannte dies die Erfahrung, dass das Christentum etwas kosten kann. Man muss die Gedanken nicht allzu weit schweifen lassen, um festzustellen: Die Botschaft trifft nicht nur Christen. Die Haltung manches Zeitgenossen, der sich zu schade ist für politisches Engagement, der das Haar in der Suppe wichtiger nimmt als die Mahlzeit, der den Kampf uns Gemeinwohl für eine skurrile Freizeitbeschäftigung irgendwelcher Wichtigtuer hält, wird vor diesem Hintergrund als unzulässige, fahrlässige Bequemlichkeit bloßgestellt.

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Purer, aber schöner Zufall, dass wenige Tage später über einen anderen großen Mann zu reden war, der seine Freiheit stets zu nutzen wusste, der in Politik und Gesellschaft tiefe Spuren hinterlassen hat und hinterlässt. Gerhard Glogowski, ehemaliger Ministerpräsident, Innenminister, Braunschweiger Oberbürgermeister und Ehrenbürger, war zeitlebens einer, der nicht quatschte und klagte, sondern machte und tat. Deshalb hatten die Laudatoren beim Empfang anlässlich seines 75. Geburtstages keine Mühe, lange Redebeiträge sinnvoll und arm an Übertreibungen zu gestalten. Minister- präsident und SPD-Chef Stephan Weil, der frühere Magdeburger OB Willi Polte und der Braunschweiger Oberbürgermeister Ulrich Markurth bekamen das Lebenswerk dieses Mannes mit vereinten Kräften gerade so in den Griff. Denn Glogowski hat sich, das darf auch ein Journalist bei aller Pflicht zur kritischen Distanz feststellen, vielfach ausgezeichnet. Die Belege reichen vom Eintracht-Stadion bis zur Einrichtung der hauptamtlichen Oberbürgermeister in Niedersachsen, von der bis heute starken Aufstellung der braunschweigischen SPD bis zum Braunschweiger Karneval, der am Sonntag pünktlich zu „Glogos“ Geburtstag 200 000 Jecken zum Schoduvel lockte. Und passend zu Gaucks Erinnerung und Mahnung war Glogowski auch einer, der zwischen Braunschweig und Magdeburg Brücken baute.

Was immer er tat, es geschah mit radikalem Einsatz für die Interessen unserer Region. Auch deshalb war er vielen unbequem, in seiner Partei, vor allem aber in Hannover.

Weniger bekannt ist, dass Glogowski es wörtlich meint, wenn er sagt, Politiker müssten nicht bei, sondern mit den Menschen sein. Glogowski ist einer, dessen Vorstellung vom Glück sich nicht auf Grand Hotel, sondern auf Schrebergarten reimt. Er ist ansprechbar. Und wer es tut, macht eine aufregende Erfahrung: „Glogo“ kümmert sich, da bleibt es nicht beim üblichen Alibi-Brief. Man mag die Laudatoren dafür kritisieren, dass sie den Brüchen im Leben und in der Karriere Glogowskis auswichen. Er selbst war es, der sie ansprach. Vielleicht war es gut so. Nein, das ist kein Säulenheiliger. Kein teflonbeschichteter Politik-Avatar von der Art, wie sie uns heute in zahlreichen überflüssigen Talkshows begegnet. Man könnte ihn einen Arbeiter am Gemeinwohl nennen.

Wenn man so will, ist der intellektuell brillante, kantige, tief in der Parteitradition und in seiner Heimat wurzelnde „Glogo“ die personifizierte Mahnung an eine Partei, die sich namentlich in Berlin vom Alltag und vom Empfinden der Bürger entfernt hat. Nur ein Beispiel: 54 Prozent der Deutschen wollen, dass Sigmar Gabriel Außenminister bleibt. Nur 13 Prozent bevorzugen Heiko Maas und gerade noch sieben Katarina Barley. Dem Teil des SPD-Spitzenpersonals, der gegenwärtig die Fäden zieht, scheint das herzlich egal zu sein.

Wer mag sich da noch über die Sechzehn-Prozent-Umfrage wundern? Es ist kein Vergnügen, zuzusehen, wie eine Volkspartei gegen die Wand gefahren wird. Und wieder. Und wieder.