„Sexismus ist in der Kulturbranche nicht ausgeprägter als anderswo. Aber ihre Strukturen begünstigen Machtspiele jeder Art.“

Seit dieser Woche hat auch Braunschweig seinen #MeToo-Skandal. Der Fall des früheren Operndirektors Philipp Kochheim ist auch deshalb so frappierend, weil Theater sich weit mehr als die Filmbranche als Gralshüter humanistischer Werke und Werte verstehen, als Foren, in denen gesellschaftliche Fragen sensibel ausgeleuchtet und ausgehandelt werden. Schiller sprach von der „moralischen Anstalt“. Da ist es umso verstörender, wenn hinter den Kulissen dieselben Machtspiele hemmungslos ausgelebt werden, die man auf der Bühne problematisiert.

Schaut man auf die internen Strukturen, ist es aber naheliegend. Denn persönliche Abhängigkeiten sind in der Theater-, aber auch Filmbranche weit ausgeprägter als in anderen Berufen. Fast alle Darsteller haben kurzfristige Verträge – oder sie werden überhaupt nur für ein Stück oder einen Film verpflichtet. Über Haupt-, Neben- oder überhaupt eine Rolle – also die berufliche Existenz – entscheiden Regisseure und Produzenten, die damit eine enorme Macht bekommen. Wer heute überzeugt und/oder sich wohlverhält, bekommt morgen wieder eine Chance, vielleicht sogar eine größere. Auf die sind Bühnenkünstler umso angewiesener, weil die meisten von ihnen wenig verdienen. Das führt in einer scheinbar lockeren Branche zu einer wenig solidarischen Einzelkämpfer-Mentalität und fördert die Versuchung, sich anzubiedern. Oder macht es noch schwieriger, unmoralischen Angeboten zu widerstehen. Was wiederum den Narzissmus mancher Regisseure bis hin zum Realitätsverlust oder zur völligen Aufgabe des Anstands zu steigern scheint.

So wird ausgerechnet die Kulturbranche zum Hauptkampfplatz von #MeToo. Nicht weil der Sexismus dort ausgeprägter ist als anderswo, sondern weil ihre Strukturen ihn begünstigen. Trotz ihrer Aufgeregtheit fördert die Debatte die Sensibilisierung dafür, und darum ist sie richtig. Damit das falsche Spiel nicht weiterläuft, müssen die Akteure aufhören mitzuspielen. Der Punkt sollte erreicht sein. Das Argument jedenfalls, Frauen in der Kulturbranche schwiegen über Missstände aus Angst, niemand glaube ihnen, dürfte sich erledigt haben.