„Honoriert unser System die außergewöhnliche Leistung? Oder ist am Ende jener Lehrer der Dumme, der sich besondere Mühe macht?

„Also lautet ein Beschluss:
Dass der Mensch was lernen muss. Nicht allein das Abc
Bringt den Menschen in die Höh‘,
Nicht allein im Schreiben, Lesen
Übt sich ein vernünftig Wesen;
Nicht allein in Rechnungssachen
Soll der Mensch sich Mühe machen;
Sondern auch der Weisheit Lehren
Muss man mit Vergnügen hören.
Dass dies mit Verstand geschah,
War Herr Lehrer Lämpel da.”


Wilhelm Busch

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A. Passchier
A. Passchier

Glück und Verderben des Lehrerstandes ist, dass aber auch wirklich jeder Zeitgenosse einen reichen Erfahrungsschatz in die Debatte wirft. Wir alle sind ja beschult und belehrt worden. Vom ersten Schultag bis zur Abschlussprüfung, vom Lateinunterricht bis zum Sport reihen sich segensreiche Impulse („So, jetzt haben wir gelacht, jetzt machen wir Chemie!“) und Momente der Anfechtung aneinander. Fast jeder von uns trägt an der wärmsten Stelle des Gemüts seine Erinnerung an Lehrer, die uns verstanden, geholfen, gefordert und beflügelt haben. Und nicht wenige spüren noch den Zorn auf Pädagogen, die wir als ungerecht oder zum Sterben langweilig empfanden. Ob unseren Lehrern bewusst ist, wie wichtig sie für unser ganzes weiteres Leben waren, mit ihren Stärken und Schwächen, ihren Fehlern und Spitzenleistungen?

Jens Krohn
Jens Krohn

Aus Schülern werden Eltern. Was wären unsere Arbeitspausen, Mittagstische und geselligen Zusammenkünfte ohne die Berichte aus dem Schulalltag unserer Kinder? Gelegentlich wachsen sie sich zu Moritaten über himmelschreiende Missetaten zum Schaden unserer Leibesfrüchtchen aus. Da gewinnen Tatbestände wie der Punktabzug in der Klassenarbeit mehr Düsternis als der Durchschnitt der letzten zwölf Tatort-Sendungen in der ARD – und das will etwas heißen.

Dennoch wissen wir in der Tiefe unseres Herzens, dass der Lehrerberuf einer der wichtigsten und sicher nichts für schwache Nerven ist. Dabei geht es nicht nur um die Herausforderung, Wissen klar, anregend, anschaulich in die Köpfe der Kinder zu bringen. Nicht immer stehen dafür anregende Räume und zeitgemäße Ausstattungen zur Verfügung. Mindestens so anspruchsvoll ist es, an jedem Tag, in jeder Stunde zwei, drei Dutzend Individuen gerecht zu werden. Der Blick aus erwartungsvollen Augen (oder solchen, die stumpf geworden sind) muss eine ganz besondere Herausforderung sein.

Im Grunde wissen wir: Der allfällige Spott über dauerurlaubende, unablässig krankfeiernde, jahrzehntealte Unterrichtskonzepte recycelnde Mitglieder einer Langweiler-Kaste erfüllt sämtliche Anforderungen moderner Blödsinnsmaximierung. Gute Lehrer sind ein Gottesgeschenk für jedes Kind und damit auch für dessen Eltern. Unsere Zeitung erlebt bei unseren medienpädagogischen Projekten Lehrerinnen und Lehrer, die jeden Spielraum nutzen, um ihre Schüler gut für Leben und Beruf zu rüsten.

Die Frage ist: Zeigen wir den Aktivposten unseres Bildungssystems genug Dankbarkeit? Was mag in den Sprechstunden häufiger zur Sprache kommen – Kritik oder Anerkennung? Der „Deutsche Lehrerpreis“ des Philologenverbandes ist ein schöner Beitrag zu einer Kultur der Wertschätzung. 21 Pädagogen und Projekte erhielten diese Woche Auszeichnungen, weil sie den Unterricht mit neuen Ansätzen und hohem persönlichen Engagement beleben. Aus Niedersachsen gehörten Andrea Passchier, Lehrerin für Sozialpädagogik und Sport an der berufsbildenden Max-Eyth-Schule aus Schiffdorf und Jens Krohn, Lehrer für Biologie und Deutsch an der Integrierten Gesamtschule Roderbruch in Hannover zu den Geehrten. Ohne Zweifel gibt es in Niedersachsen viele weitere Lehrerinnen und Lehrer, die die Auszeichnung verdient hätten. Solche Preise sind immer ein wenig ungerecht. Aber sie tragen zur Wertschätzung der Arbeit an unseren Schulen bei, wie es in unserer Region auch die Initiativen „Ideen machen Schule“ der Braunschweiger PSD-Bank oder auch Projekte der United Kids Foundation mit Unterstützung der Volksbank Brawo tun. Sie sind umso bedeutender, als die Öffentliche Hand nach wie vor deutlich zu wenig in die Bildung unserer Kinder investiert.

Unsere Schulen brauchen beides: Wertschätzung und materielle Hilfe. Doch honoriert unser System die außergewöhnliche Leistung? Oder ist am Ende jener Lehrer der Dumme, der sich besondere Mühe mit seiner Unterrichtsvorbereitung macht, der im Unterricht intensiver auf seine Schüler eingeht und sie unter eigenen Schmerzen in die Lage versetzt, mehr zu erkennen und zu verstehen?

Es gibt darauf keine einfache Antwort. Viel hängt von der Fähigkeit der Schulleiter und -behörden ab, Talent und Engagement zu erkennen und durch Feedback zu stärken. Andere Möglichkeiten zur Honorierung hoher Leistung oder Druckmittel zur Besserung haben sie kaum. Es könnte sein, dass der dienstrechtliche Rahmen unseres Schulsystems der Exzellenz nicht förderlich ist. Der beamtete Lehrer hat durch seine Unkündbarkeit, seine wirtschaftliche Sicherheit die innere Freiheit, die gute Pädagogik braucht. Aber diese Freiheit ist missbrauchsanfällig.

Vielleicht ist die Streikrechtsklage vor dem Bundesverfassungsgericht ein geeigneter Anlass, über dieses Konstruktionsmerkmal des deutschen Schulsystems nachzudenken. Wir müssen ja nicht gleich alle Lehrer zu Angestellten machen. Warum sollte es nicht möglich sein, mehr Leistungselemente in das hergebrachte System zu integrieren? Den vielen hochengagierten Lehrerinnen und Lehrern könnte es dienen.