„Niemand sollte den Sprüchen von Erdogan auf den Leim gehen. Sie sind der Nährboden fürExtremisten.“

Der türkische Präsident
Recep Tayyip Erdogan sucht in diesen Tagen die große Bühne, den rhetorischen Schlagabtausch und die Konfrontation. Beim Krisentreffen der Organisation für Islamische Kooperation (OIC) in Istanbul schoss er erneut verbale Breitseiten gegen Israel. Das Land sei ein „Terrorstaat“ und ein „Staat der Kindermörder“, polterte er mit Blick auf die Siedlungspolitik und den Umgang mit den Palästinensern.

Die völlig überzogene Sprache und die polemische Schärfe erinnern an Erdogans Ausfälle gegen Angela Merkel im März. Der Bundeskanzlerin warf er „Nazi-Methoden“ vor, weil türkische Spitzenpolitiker vor dem Verfassungsreferendum im April nicht in Deutschland auftreten durften. Erdogans Auftritte sollen vor dem heimischen Publikum als die große Muskel-Show des unbestrittenen Anführers aussehen. In Wahrheit zeugen sie von Schwäche. Der EU-Beitritt der Türkei wurde im Zuge der innenpolitischen Säuberungswelle nach dem Putschversuch 2016 de facto auf den Sankt-Nimmerleinstag verschoben. Trotz der polizeistaatlichen Methoden, trotz der gnadenlosen Ausschaltung von Kritikern hat Erdogan keineswegs gewonnen. Das Land ist tief gespalten zwischen dem islamisch-konservativen und dem proeuropäisch-modernen Flügel. Nur wenn Erdogan die Präsidentschaftswahlen 2019 für sich entscheidet, kann er auf die weitreichenden Vollmachten aus dem Verfassungsreferendum zurückgreifen.

Erdogan ist ein Gigant auf tönernen Füßen. Um seine Zerbrechlichkeit zu kaschieren, zündelt er – dieses Mal gegen Israel. Man kann die Politik von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu mit guten Argumenten kritisieren. Aber niemand sollte Erdogans Sprüchen auf den Leim gehen. Sie sind der Nährboden für Extremisten. Wer Israel mit derart emotional aufgeladenen Formulierungen an den Pranger stellt, stachelt zum Hass an und erntet Gewalt.