Solange ich auch wartete, Erklärungen durch Fachleute tauchten einfach nicht auf. Stattdessen wurde verharmlost und getäuscht.

Der japanische Journalist, Autor und Anti-Atomkraft-Aktivist Toshiya Morita besuchte auf Einladung des landeskirchlichen Arbeitskreises Japan die Region. In einem Gastbeitrag für unsere Zeitung beschreibt er, wie er persönlich den Umgang der japanischen Regierung mit der Atom-Katastrophe von Fukushima empfindet:

Als im März 2011 der Unfall von Fukushima geschah, habe ich sofort damit angefangen, der Bevölkerung im Nordosten Japans mitzuteilen, dass sie sich in Sicherheit bringen sollen. Dass sie von dort flüchten sollen. Ich war schon davor der Ansicht, dass sich im Falle eines AKW-Unfalls die japanische Regierung nicht ordentlich um die Sicherheit und Evakuierung der Bewohner vor Ort kümmern würde.

Allerdings war ich fest davon ausgegangen, dass die notwendigen Erklärungen über die Gefahr der radioaktiven Strahlung von Fachleuten übernommen werden würden. Ich war mir bewusst, wie gefährlich der Normalbetrieb von AKW aus konstruktionstechnischen Gründen ist, war jedoch kein Wissenschaftler für Strahlenphysik, kein Fachmann für die gesundheitlichen Folgen von Atomstrahlung. Daher hatte ich angenommen, diese Arbeit könne man den Fachleuten überlassen. Aber solange ich auch wartete, Erklärungen durch Fachleute tauchten einfach nicht auf. Stattdessen wurde verharmlost und getäuscht.

Obwohl es viele Regionen gab und gibt, in denen der Grenzwert für den öffentlichen Raum (1 Millisievert pro Jahr) um das Zehnfache oder auch weit mehr als Hundertfache überschritten wird, bringt die Regierung immer noch nicht die Bevölkerung in Sicherheit. Und kaum ein Wissenschaftler kritisiert dies. Darüber bin ich höchst verblüfft.

Ein Wissenschaftler von der Universität Nagasaki, Shunichi Yamashita, der als führender Experte für radioaktive Strahlung etabliert ist, kam nach Fukushima und begann damit, systematisch unwahre Tatsachen zu verbreiten. Er sagte beispielsweise: „Durch Fukushima ist weniger als ein Tausendstel der Strahlung von Tschernobyl ausgetreten, daher braucht man sich keine Sorgen zu machen. Es ist auch nicht nötig, eine Maske zu tragen.“ Oder: „Man braucht radioaktives Caesium nur mit abgekochten heißen Wasser zu begießen, dann verdampft es, also ist das gar kein Problem.“

Es gibt natürlich in Japan auch viele Leute, denen klar ist, dass es sich dabei um Lügen handelt. Allerdings gibt es auch sehr viele Leute, die so gerne glauben möchten, dass es in Fukushima sicher ist, dass man noch nicht mal zum Schutz eine Maske braucht. Dies führt zu vielen Konflikten und auch innerhalb von einzelnen Familien.

Um diesen Zustand zu verändern, habe ich selber angefangen, mich intensiv mit der Forschung über die Auswirkungen der radioaktiven Strahlung auseinanderzusetzen. Dabei wollte ich insbesondere der Frage auf den Grund gehen, wie es möglich ist, dass man solche Unwahrheiten verbreiten kann.

Was ich inzwischen herausgefunden habe, ist, dass die extreme Bagatellisierung der gesundheitlichen Gefahren der radioaktiven Strahlung ihren Anfang bereits nach dem Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki hatte. Damals wurde vonseiten der USA systematisch die Gefahr vertuscht und kleingeredet, was sich bis heute fortsetzt. Zwar ließen direkt nach dem Atombombenabwurf Wissenschaftler aus Europa die Ansicht verlautbaren, dass die von den Amerikanern verwendete Waffe unmenschlich sei, da sie auch die nächste Generation schädigen würde. Aus diesem Grund sei sie schleunigst abzuschaffen. Die USA wollten für den Erhalt ihrer atomaren Strategie diese Sicht der Dinge jedoch nicht zulassen. Daher nahmen sie die gesamten Gesundheitsuntersuchungen und das Sammeln von Daten an sich.

Ich persönlich bin davon überzeugt, dass sie alle Dokumente nach Hiroshima für sich beanspruchten, um Informationen geheim zu halten und die gesundheitlichen Folgen als gering darzustellen.

Dabei wurden die von den Strahlen betroffenen Menschen, in Japan Hibakusha genannt, in Wirklichkeit am meisten hinter das Licht geführt. Eine große Zahl von ihnen wurde krank, und viele verloren frühzeitig ihr Leben. Den meisten von ihnen wurde gesagt, ihre Krankheit hätte nichts mit der radioaktiven Strahlung zu tun. Die Folge: sie erhielten keine Form der Unterstützung.

Das Gleiche ist bei vielen Atomwaffentests und nach Unfällen in Atomkraftwerken passiert. Obwohl viele Menschen ernsthafte Schäden davongetragen haben, wurden sie ignoriert. Dies beginnt sogar ohne das eine Atombombe überhaupt abgeworfen wird. Während des Uran-Abbaus sind viele Arbeiter verstrahlt worden und auch die Umgebung wurde belastet. Auch dies wurde kaum wahrgenommen. Überall auf der Erde wurde immer wieder behauptet, es sei „schädlicher für die Gesundheit, sich zu viele Gedanken um die radioaktive Strahlung zu machen.“

Ich schäme mich zuzugeben, dass ich, obwohl ich seit Jahren politisch aktiv bin, auch diesen Unwahrheiten eine Zeit lang auf den Leim gegangen bin und die Lügen nicht genügend entlarven konnte. Dies führte dazu, dass ich nach dem Unglück von Fukushima noch die Erwartung hatte, dass Wissenschaftler dafür sorgen würden, die Bevölkerung fachlich korrekt über die Risiken aufzuklären. Auch ich konnte die Gefahren der Strahlung nicht genau erkennen. Dies bereue ich nun aus tiefsten Herzen und kämpfe jetzt mit aller Kraft dafür, die Bevölkerung so gut es geht zu schützen.

Der Text wurde von Frauke Arndt-Kunimoto aus dem Japanischen übersetzt.