Not my President“ stand auf den Schildern vieler Demonstranten, die in den USA gegen die Wahl Donald Trumps protestierten. Nicht mein Präsident – das dachten auch viele Studenten am Historischen Seminar der TU Braunschweig, als sie Ende 2004 erfuhren, dass mit Jürgen Hesselbach ein Maschinenbau-
Ingenieur den Physiker Jochen Litterst an der Spitze der Hochschule ablösen würde. Ich war einer von ihnen.

Als Geisteswissenschaftler fühlt man sich an einer TU als das berühmte Einhorn. Wir sind die kleine, exotische Minderheit, die sich mit Symbolen in der Barocklyrik oder der Verbindung von Heraklidensage und Dorischer Wanderung beschäftigt, statt bessere Motoren zu entwickeln. Daran änderten auch meine paar Semester Chemie nichts. Nach wiederholten Sparrunden blickten wir 2005 in einem zerbröselnden Seminargebäude und einer Klaustrophobie auslösenden und völlig überfüllten Bibliothek dem Ende des Seminars oder zumindest dem Umzug in die kaum einladendere ehemalige Kaserne des Bundesgrenzschutzes (vornehm: „Campus Nord“) entgegen. Hesselbachs Beteuerungen, dass er die Geisteswissenschaften schätze und erhalten wolle, glaubte ich nicht. Stand nicht selbst die Physik vor der Schließung? Befeuert wurde das Misstrauen dadurch, dass der Präsident den Sozialwissenschaftlern ganz offen einen „Dienstleistungscharakter“ für die anderen Wissenschaftler zuschrieb. Damit bekam das Feindbild allerdings schon erste Risse, denn diese Aussage machte er nicht etwa in einer Senatssitzung, sondern in einem Interview mit der frisch gegründeten Braunschweiger Uni-Zeitung (BUZe).

Unsere erste Ausgabe hatten wir mit einer kompletten Blödsinnsgeschichte über die angeblich geplante Rodung des Garnisonsfriedhofs aufgemacht. Die Redaktion bestand neben mir vor allem aus Mitgliedern und Sympathisanten des AStA, der damals wieder einmal mit der Planung der Weltrevolution beschäftigt war und sich gern in Fundamentalopposition übte. Trotzdem nahm Hesselbach sich zwei Stunden Zeit für ein ausführliches Interview, das in der zweiten Ausgabe der BUZe erschien. (Die Titelseite dominierte allerdings die Fortsetzung unserer Albernheit von Ausgabe 1). Das beeindruckte mich: Der TU-Präsident nahm uns ernst, bevor ich selbst es tat.

Und er setzte sich für die Belange der Geistes- und Sozialwissenschaften ein, ohne sich anzubiedern oder seine klare Schwerpunktsetzung auf die Ingenieur- und Naturwissenschaften zu verbergen. Die Einrichtung des Masterstudiengangs „Kultur der technisch-
wissenschaftlichen Welt“ (KTW) löste zwar keine Jubelstürme unter Philosophen, Historikern und Germanisten aus, aber mit einigem Zähneknirschen musste man doch eingestehen, dass diese Ausrichtung an einer Technischen Universität durchaus mehr Sinn ergab als meine Suche nach Gemeinsamkeiten in der Moralphilosophie von Friedrich Nietzsche und Hannah Ahrendt. Darüber hinaus sicherte der KTW die Zukunft der Geisteswissenschaften an der TU. Erst kürzlich erhielt auch das Uni-Archiv zusätzliche Mittel. Ja, irgendwie war dieser Maschinenbauer doch auch mein Präsident.

Die BUZe gibt es längst nicht mehr. Geblieben ist Hesselbachs Offenheit für die Medien. Für uns Journalisten war der TU-Präsident der ideale Partner: immer erreichbar (selbst im Urlaub), immer – auch spontan – ansprechbar, immer prägnant. Eine knackige Zitat-Überschrift zu einem Hesselbach-Interview zu finden, war nie ein Problem. „Hört mit diesem Unsinn auf“, so sein Kommentar zu Labormessungen von Abgasen und Spritverbrauch im Kontext des Dieselskandals. Reporterherz, was willst du mehr? Natürlich vertrat Hesselbach mit dieser Mediennähe handfest seine Interessen und die der TU. Doch das tun alle unsere Gesprächspartner, die meisten nur weniger offen und eindeutig.