„Die Nachricht von meinem Tod ist stark übertrieben.“ Mark Twain

Es sind Zeiten des Wandels, auch da, wo wir ihn nicht erwartet hätten. Staaten gehen beinahe pleite, der Euro wackelt, die Energiewende auch. Die Risiken für Deutschland sind enorm, und die Bürgerinnen und Bürger spüren es.

In diese Stimmungslage hageln Nachrichten über die Schieflage einiger deutscher Zeitungen. Seit einer mächtigen Fusionswelle vor 40 Jahren stand diese Branche so unverrückbar in der Wirtschaftslandschaft wie der Montblanc. Nun ist sie Gegenstand einer hochtourigen Debatte, die aufzugreifen sich lohnt, auch wenn der Autor dieser Kolumne sich dem Eindruck aussetzt, er schreibe pro domo.

Diese Woche gab es einige sinnvolle Aussagen über die Notwendigkeit, kompetent zu wirtschaften, auf- und anregend zu publizieren, jünger zu werden und attraktiver im Onlinemarkt. Es wurde aber auch eine Menge Unfug geredet, vom „Zeitungssterben“ schwadroniert, was impliziert, dass „Frankfurter Rundschau“, Nürnberger „Abendzeitung“ und „Financial Times Deutschland“ nur der Anfang seien. Hatte irgendjemand vom „Fernsehsterben“ gesprochen, als Pro 7 vor einigen Jahren vor der Pleite stand?

Selbst eine gut gemeinte Titelgeschichte in der „Zeit“, in der viel Kluges über Qualität und Verantwortung zu lesen ist, war überschrieben: „Wie guter Journalismus überleben kann“. Diese Schlagzeile transportiert ein Bild, das in seiner pathetischen Schwarzfärbung vom Hang des linksliberalen Intellektuellen zur Schwermut zeugt.

Was war geschehen?

• Die Frankfurter Rundschau war einmal eine kraftvolle publizistische Stimme, ohne die wichtige Debatten über globale soziale Gerechtigkeit und ökologische Nachhaltigkeit viel zu wenig Widerhall gefunden hätten. Aber sie leistete sich eine unwirtschaftliche Druckerei und fand keine Antwort auf die Frage, wie man mit einer Auflage unter 200 000 Exemplaren als nationaler Titel rentabel bleiben kann. Der Versuch, die Zeitung durch die Halbierung des Formats zu retten, beschleunigte den Abstieg. Die Idee stammte aus einer Zeit, in der viele glaubten: Klein und „magazinig“ sei besser als groß und nachrichtlich. Die Leser sahen darin offenbar eher einen inhaltlichen Formatverlust – die Abkehr von der Nachricht ist ja auch anderen nicht gut bekommen, wie das Beispiel des US-Magazins Newsweek zeigt. Mit der Halbierung des Formats hatte der Verlag auch die Anzeigenumsätze dezimiert. Denn eine Seite blieb für die Inserenten eine Seite, auch wenn sie halb so groß war und halb so viel kostete. Radikale Sparbemühungen zermalmten das publizistische Profil –es war der letzte Sargnagel.

• Die „FTD“ war ein Kind des Börsenbooms. Alle Welt glaubte an „Volksaktien“, und der Verlag träumte von einer riesigen Zielgruppe, die es, wie Jens Schröder auf „meedia.de“ schreibt, in Wirklichkeit nicht gab. Die Zeitung ist wunderschön gestaltet, sie hat die Wirtschaftspresse verändert – aber sie blieb ein Fachblatt, das ökonomisch nie Flughöhe erreichte.

• Die Nürnberger Abendzeitung bewegte sich als gemäßigtes Boulevardblatt in einem engen lokalen Markt, der mit zwei Abo-Zeitungen und einem großen Boulevardblatt dicht besetzt war. Als Stiefkind eines Münchner Verlages magerte sie von Jahr zu Jahr ab, der Eigentümerwechsel brachte keine Rettung mehr.

Wer aus diesen sehr unterschiedlichen Geschichten eine einzige macht, die auch noch Gültigkeit für alle Zeitungen beansprucht, der bewegt sich im Niveau zwischen Nostradamus und Radio Eriwan. Einige Medienwissenschaftler, hochgebildete Intellektuelle, sprachen über eine Realität, die sie mangels praktischer Erfahrung nur aus zweiter Hand kennen. Experten, deren Geschäftsmodell auf der These beruht, die Verlage machten ohne sie alles falsch, rezensierten vom Turme herab. Die Fortschritte vieler Zeitungen bei Bildsprache, Erzählqualität, Leserdialog und Multimedialität spielten bei ihrem Sirenengesang keine Rolle. Dass die allermeisten Verlage grundsolide dastehen, sagte kaum einer. Es hätte ja auch schlecht ins Untergangsszenario gepasst.

Und dann gab es noch Politiker, die die These vertraten, Tageszeitungen seien „ja nicht mehr so wichtig“. Das würde denen so passen.

Die Zeitungsverlage und ihre Produkte gehören zu den wichtigen Faktoren des öffentlichen Lebens. Nirgendwo sonst in Europa gibt vergleichbare Vielfalt. Deutschland spiegelt sich in seinen Zeitungen: Dieses große Land ist nicht zuletzt deshalb so stark, weil es kein zentralistisches Gebilde nach französischem Muster ist, sondern sich aus einer Vielzahl kleiner, selbstbewusster Kraftzentren zusammensetzt. Unsere Region ist das beste Beispiel.

47 Millionen Menschen lesen in Deutschland täglich Zeitung. Mitten in einer Zeit, in der wir angeblich alle nur noch zwischen Freizeitvergnügen herumdelirieren, beschäftigen sie sich mit einem Medium, das zwar auch unterhalten kann, vor allem aber gewichtige Informationen vermittelt. In keinem anderen findet sich so umfangreiche, aufwendig gesammelte und aufbereitete Information. Aus der weiten Welt, aus dem eigenen Land, aus der eigenen Gemeinde, der eigenen Straße. Wer sich mit seiner Umwelt auseinandersetzt, wer mitmischt statt mieszumachen, der liest Zeitung.

Wir wissen, denn es gibt dazu eindeutige Forschungsergebnisse, dass die Leser die Unabhängigkeit der Redaktionen schätzen. In so gut wie keinem Verlag reden Politiker und Lobbyisten mit – die Staatsferne, die der öffentlich-rechtliche Rundfunk für sich reklamiert, ist bei den Zeitungen Realität. Die Tageszeitung genießt bei den Bundesbürgern höchstes Vertrauen, liegen weit vor der „Tagesschau“. Das gilt auch für junge Leute, die sich in beachtlicher Zahl weigern „keine Zeitung mehr zu lesen“, obwohl es allenthalben von ihnen behauptet wird.

Die Zahl der Leser, die ein Abonnement bezahlen, ist leicht rückläufig. Nimmt man allerdings die Reichweiten der Internetangebote der Verlage dazu, sieht das Bild schon anders aus. Denn auch Leser, die keine Papierzeitung wünschen, schätzen die Informationen, die ihnen eine unabhängige Redaktion anbietet.

Die Leser sind mündige Bürger, sie wollen nicht von Politikern, Unternehmen, Gewerkschaften, Verbänden verwaltet, ausgekungelt und beherrscht werden. Sie wissen, dass gerade die Lokalzeitung ein wichtiger Ort der Identifikation und der Debatte ist. Ein Beispiel: Wer auf einem der Dorf- und Stadtteilabende unserer Zeitung war, der weiß, wie viele engagierte Menschen eine Zeitung zusammenbringen kann. Die Öffentlichkeit, die die Zeitung herstellt, kann für die örtliche Gemeinschaft wie ein Katalysator wirken.

Als Werbeträger haben die Zeitungen unbestreitbar an Boden verloren. Aber auch hier ist noch lange nicht aller Tage Abend. Seit dieser Woche gibt es zum ersten Mal eine intensive Zusammenarbeit der wichtigsten Verlage, die die Schaltung bundesweiter Kampagnen erleichtert. Auch ist erkennbar, dass Zeitungshäuser – Springer allen voran – auf dem Weg zum Multimedia-Anbieter sind: Der Unternehmermut ist gewachsen.

Das Zeitungsgeschäft hatte in der Vergangenheit manche widersinnige Kleinstaaterei, Schrulligkeit, Fehlentscheidung verziehen. Diese Zeiten scheinen vorbei, aber damit kehrt in der Zeitungsbranche lediglich Normalität ein, wie bei Autoherstellern, Softwareschmieden oder Einzelhändlern auch.