Hannover. BDK-Gewerkschafter fordern von der Landesregierung ein Umdenken, um Nachwuchs zu gewinnen. Ansonsten sei die Sicherheit gefährdet.

Gesa Eisengarten ist neue Landesvorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK). Gemeinsam mit ihrem Vize, Jörn Memenga aus Braunschweig, fordert sie bessere Arbeitsbedingungen für die Polizei Niedersachsen.

Boris Pistorius ist neuer Bundesverteidigungsminister. Was für ein Zeugnis stellen Sie ihm aus für seine Arbeit als niedersächsischer Innenminister?

Eisengarten: Boris Pistorius hat seinen Job gut gemacht. Nicht umsonst war er Innenminister in drei

Gesa Eisengarten ist seit Sommer 2022 neue Landesvorsitzende vom Bund Deutscher Kriminalbeamter
Gesa Eisengarten ist seit Sommer 2022 neue Landesvorsitzende vom Bund Deutscher Kriminalbeamter © BDK

Kabinetten unter Ministerpräsident Stephan Weil. Für seine Nachfolgerin Daniela Behrens sind das große Fußstapfen, in die sie treten darf. Sie will zum Beispiel in der Thematik Gewalt gegen Polizei und Rettungskräfte was bewegen und hat Maßnahmen angekündigt.

Memenga: So, wie Boris Pistorius das Innenministerium nach außen vertreten hat, habe ich mich als Polizeibeamter wohlgefühlt. Das Geschäft Sicherheit ist nicht einfach.

Nehmen wir an, das niedersächsische Innenministerium würde ein Sondervermögen von mehreren Milliarden Euro erhalten. Wofür sollte das Geld bei der Polizei am dringlichsten ausgegeben werden?

Eisengarten: In die Liegenschaften. Viele Gebäude der Polizei sind alt und sanierungsbedürftig.

Memenga: In Braunschweig ist die Situation noch ganz ordentlich. Aber fahren Sie mal nach Peine oder Wolfsburg, das sind marode Dienstgebäude. Es ist untragbar, darin dauerhaft zu arbeiten. Polizisten brauchen auch eine Wohlfühlatmosphäre am Arbeitsplatz, wenn von ihnen erwartet wird, dass sie Leistung bringen sollen.

Zeitweise schien es so, als sei für junge Leute die Polizei in Niedersachsen als Arbeitgeber so beliebt wie lange nicht mehr. Doch die Bewerberzahlen sind rückläufig. Was ist passiert?

Eisengarten: Wir haben große Nachwuchssorgen, obwohl Boris Pistorius das öffentlich ebenfalls nie so gesagt hat. Es gibt tolle Bewerber, aber längst nicht alle schaffen das Auswahlprozedere. Wir müssen was tun, um den Polizeiberuf attraktiver zu gestalten.

Memenga: Die Nachwuchskontingente werden kaum mehr aufgefüllt. Die Luft wird dünner, weil parallel die älteren Jahrgänge in Pension gehen.

Bei anderen Berufsgruppen gibt es eine Strategie bei Nachwuchssorgen: Anforderungen herunterschrauben.

Eisengarten: Der Polizeiberuf ist anspruchsvoll. Polizeischülern wird viel abverlangt, sie absolvieren ein halbes Strafrechts-Studium. Deshalb sind Fachabitur oder eine gleichwertige berufliche Hochschulqualifikation die Mindest-Zugangsvoraussetzungen. Abstriche könnten bei den Anforderungen an die gesundheitliche Tauglichkeit gemacht werden. Man muss sich die Frage stellen, ob alte, ausgeheilte körperliche Beeinträchtigungen in jungen Lebensjahren noch im Verhältnis stehen zu einer später negativ bescheinigten Polizeitauglichkeit.

Reicht das aus, um die Reihen mit jungen Leuten aufzufüllen?

Eisengarten: Es braucht grundsätzlich attraktive Arbeitsplätze. Dazu zähle ich die Liegenschaften. Und ein

Jörn Memenga aus Braunschweig ist Vize-Landesvorsitzender vom Bund Deutscher Kriminalbeamter.
Jörn Memenga aus Braunschweig ist Vize-Landesvorsitzender vom Bund Deutscher Kriminalbeamter. © BDK

ordentliches Gehalt. Die Polizeizulage muss erhöht und ruhegehaltsfähig werden (Anmerkung: Mit der Polizeizulage werden besondere Belastungen und Gefährdungen von Polizeibeamten kompensiert. Die SPD hat hierzu kürzliche eine Absichtserklärung beschlossen, die Zulage schnellstmöglich zu erhöhen). Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist ein großes Thema, die technische Ausstattung ebenfalls.

Memenga: Ich bin regelmäßig Teilnehmer an Einstellungs-Kommissionen. Es gibt viele Idealisten, die wollen wirklich zur Polizei. Wer im Einsatz- und Streifendienst arbeitet, dem muss aber auch klar sein, dass er im Schichtdienst und am Wochenende arbeitet, dass es Tage gibt, an denen es später wird und er bei Großeinsätzen in der Hundertschaft eingesetzt wird. Die jüngere Generation legt viel Wert auf Work-Life-Balance. Na klar muss sich Polizei da ein Stück weit wandeln, aber unser Beruf an sich gibt das nicht zwingend immer her.

Eisengarten: Vielleicht wird unser Beruf ein Stück weit attraktiver, wenn für Interessierte ein Direkteinstieg bei der Kripo wieder möglich wäre. Das fordern wir als BDK, damit mit der Pensionierung der älteren Kollegen ihr Fachwissen nicht verloren geht. Am Ende des jetzigen Wegs der Ausbildung steht der Pauschalpolizist, der jede einzelne Facette des Berufs beherrschen muss. Aus unserer Sicht wäre die Spezialisierung in der Ausbildung zielführender und effektiver.

Unangenehme Einsätze gehören zum Berufsalltag der Polizei. Aber immer wieder liest man davon, dass Polizisten attackiert und selbst zu Opfern werden. Hat das Auswirkungen auf die Bewerbungslage?

Eisengarten: Natürlich. Das Ansehen der Polizei in der Bevölkerung hat sich gewandelt. Der Beruf wird gefährlicher.

Die Polizei braucht auch IT-Experten

Eisengarten: Spezielle IT-Kenntnisse besitzt nicht jeder Polizist, vor allem wenn es um Ermittlungen zu Straftaten aus dem Bereich der organisierten Kriminalität geht, speziell Cybercrime. Es ist schwierig, gute Leute zu bekommen.

Große Arbeitgeber wie VW suchen händeringend Nachwuchs und locken mit ganz anderen Angeboten.

Eisengarten: Um gute IT-ler zur Polizei zu bekommen, wird das vor allem über die Bezahlung laufen. Man muss jungen Bewerberinnen und Bewerbern Angebote machen, zum Beispiel ihnen das Studium finanzieren und bei Berufseinstieg eine höhere Endgeldstufe sowie weitere Berufsperspektiven anbieten, um sie so an die Polizei längerfristig zu binden.

Memenga: Jede Polizeidienststelle hat ein festgesetztes Budget. Wenn kein Geld für Personal da ist, wird die Polizei nicht mit den Angeboten der freien Wirtschaft konkurrieren können.

Macht es Sie wütend, dass sich bei Polizeithemen immer die Frage nach dem Geld stellt?

Memenga: Wütend? Nein, man lernt damit umzugehen.

Muss uns Sicherheit mehr wert sein?

Memenga: Ja! In den vergangenen Jahren hat man gemerkt, dass in bestimmten Bereichen massiv gespart wurde, bis dann etwas passiert ist. Das beste Beispiel ist doch die Bundeswehr und der Ukraine-Konflikt. Wir als Polizei sind nicht für uns da, sondern für die Bevölkerung. Im Bereich der organisierten Kriminalität, zum Beispiel bei Straftaten zum Nachteil älterer Menschen, sind uns die Täter, das muss man leider so sagen, weit überlegen.

Technisch ist die Polizei gefordert, um schlimmste Straftaten der Kinderpornografie aufzuklären. Bis ein Fall mal aufgearbeitet ist, damit ein Täter vor Gericht landet, dauert es allerdings oft ewig lange...

Memenga: Bei der Auswertung nur eines Falls geht es oft um riesige Datenmengen. Da ist die Polizei gar nicht in der Lage, das so schnell abzuarbeiten, wie es sein müsste. Das hängt nicht mal so sehr an unserer Technik, sondern vor allem am knappen Personal und außerdem an rechtlichen Vorgaben. In Niedersachsen muss rein rechtlich jedes einzelne Bild angeschaut werden. Deshalb ziehen sich Verfahren so lange hin.

Eisengarten: Die Justiz ist ja genauso überlastet, weil sie zu wenig Personal hat.

Müsste bei bestimmten Delikten oder Serientätern die Strafe schneller auf dem Fuß folgen, anstatt dass es unter Umständen Jahre dauert, ehe es zum Prozess kommt und der Beschuldigte dafür noch Strafrabatt bekommt?

Memenga: Es gibt die Möglichkeit beschleunigter Verfahren. Im Zusammenhang mit der 2015 in Braunschweig eingerichteten Sonderkommission „Asyl“, später unbenannt in Soko Zerm haben Polizei, Staatsanwaltschaft und Amtsgericht eng zusammengearbeitet (Anmerkung: 2015 eingerichtet als Reaktion auf eine Häufung von Straftaten im Zusammenhang mit Bewohnern der Landesaufnahmebehörde). Wir haben gezeigt, dass Hauptverhandlungshaft möglich ist. Nicht-ortsansässige Serienstraftäter wurden maximal sieben Tage bis zu ihrer Gerichtsverhandlung in Haft genommen, damit sie dem Prozess nicht fernbleiben konnten. Bei bestimmten Straftaten müssen Strafen für die Täter spürbar sein – ob Haft- oder Geldstrafe. Leider bleibt die Justiz manchmal zögerlich.

Müssen Angriffe auf Einsatzkräfte härter geahndet werden?

Memenga: Wenn Polizisten und Rettungskräfte mit Raketen abgeschossen werden, ist das für mich keine gefährliche Körperverletzung mehr, sondern das ist versuchter Totschlag. Die Täter wollen bewusst jemanden verletzten und nehmen dabei gegebenenfalls den Tod des Opfers in Kauf. Wenn es um Angriffe auf Polizisten und Rettungskräfte geht, erwarten wir mehr Konsequenz.

Eisengarten: Wir haben die Gesetze. Wir erwarten, dass Gerichte die Strafrahmen ausschöpfen und Signale setzen.

Sollten Klima-Kleber härter bestraft werden?

Memenga: Nein, denn sie wollen Aufmerksamkeit für ihre Sache, den Klimaschutz, erreichen. Das ist grundsätzlich eine gute Sache, nur ihr Weg ist falsch. Wer sich festklebt, bekommt eine Anzeige wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr, zahlt den Polizeieinsatz, das Gerichtsverfahren und bekommt in der Regel eine Geldauflage. Das reicht. Auch wenn es zur Radikalisierung kommen sollte, ist Augenmaß wichtig.

Im Nachgang zum Amoklauf von Hamburg wird einmal mehr über Verschärfung des Waffenrechts diskutiert. Ihre Meinung?

Eisengarten: Ich möchte dabei auf das Positionspapier unseres BDK Bund verweisen. Es wird gefordert, dass jede Waffenbehörde so gut ausgebildetes Personal hat, das dazu in der Lage ist, fachlich und rechtlich richtige Entscheidungen zu treffen.

Wie soll die Polizei mit Extremisten in den eigenen Reihen umgehen?

Eisengarten: Solche Leute haben bei der Polizei nichts zu suchen. Da muss mit aller Konsequenz gehandelt werden – aber nur auf rechtsstaatlicher Basis, gegebenenfalls vor Gerichten, und nicht mit Hilfe von Schnellverfahren innerhalb der Polizeibehörden.

Memenga: Die Polizei ist ein Querschnitt der Gesellschaft. Ich schließe es definitiv nicht aus, dass es rechtsextremistische Denken bei der Polizei gibt, vor allem unter denjenigen, die mit einer bestimmten Klientel immer wieder zu tun haben. Wenn Straftäter keine Konsequenzen durch die Justiz spüren, kann das zu Frustration führen. Das darf keine Radikalität entschuldigen. Man sollte darauf schauen, was Ursachen für Extremismus sind und wie man gegensteuern kann.

Heißt das, man muss offener über Kriminalität sprechen, die von Ausländern begangen wird?

Memenga: Bei bestimmten Kriminalitätsphänomenen sollte die Polizei aber sagen, woher ein Täter stammt. Anderenfalls kann man uns zurecht vorwerfen, wir verheimlichen Dinge, noch dazu in Zeiten des Internets, in denen es viel leichter für Bürger ist, sich zu informieren. Man muss mit solchen Angaben stets sensibel umgehen, immer mit Blick auf die Unschuldsvermutung. Generell ist Kriminalität, die durch Ausländer begangen wird, doch gar nicht unser Hauptproblem. Wenn sie jedoch im Bereich einer Erstaufnahmeeinrichtung ermitteln, werden ihre Straftäter auch Ausländer sein.