Osterode. Die Wolfs-Sichtungen im Harz mehren sich. Weidetierhalter in Europa entfachen am Freitag Mahnfeuer gegen den Wolf.

Ein eindrucksvoller Anblick bot sich am 20. September Siri Töpperwien aus Bad Grund bei einer Gassirunde mit dem Hund auf dem Horizontalweg Richtung Grüne Tanne. Urplötzlich bekam sie zwei Wölfe, vermutlich ein Weibchen und ein Jungwolf, zu Gesicht und berichtete von dem Erlebnis bei Facebook. Weitere sollen sich in der Dickung aufgehalten haben. Und es ist bei weitem nicht ihre erste Wolfssichtung nahe der Bergstadt.

Lange schon wird spekuliert, ob der große Beutegreifer im Harz, bisher sogenanntes Wolfserwartungsland, angekommen ist und, abgesehen von durchziehenden Tieren, zum festen Refugium für Isegrim geworden ist. Inzwischen steht fest: Der Wolf ist im Harz angekommen.

Wolfs-Rudel bei Stiege, Tiere im Nationalpark Harz

Luchs- und Wolfsexperte im Nationalpark, Ole Anders, kann das bestätigen. „Auf den Flächen des Nationalparks wissen wir von sechs Individuen, nachgewiesen im Zeitraum von zwei Jahren“, erklärt er. Jeder Hinweis auf Wolfssichtungen werde überprüft, jedem Hinweis auch in der Natur nachgegangen. Als gesichert gilt laut Anders ein Rudel im Raum zwischen Ilfeld und Stiege, ein Elternpaar mit Jungtieren, wobei deren Zahl nicht sicher zu benennen sei.

Zudem sei ein standortfestes weibliches Tier zwischen Bad Lauterberg und Braunlage nachgewiesen. Ob es in Begleitung ist, sei noch unklar. Die Eroberung des Mittelgebirges durch den Wolf werde jetzt schneller voranschreiten, vermutet Ole Anders.

Wolf bei Bad Grund. 
Wolf bei Bad Grund.  © Siri Töpperwien

Auch im Altkreis Osterode ist der Wolf präsent, wie entsprechende Risse von Wildtieren belegen. Es bleibt aber derweil bei Sichtungen einzelner Tiere auf der „Durchreise“. Laut Vorsitzendem der Jägerschaft Dr. Karl Schumann hat sich hier noch kein Rudel etabliert. „Wir beobachten die Situation und die Entwicklung genau. Es ist jetzt Aufgabe der Jäger, alle Wolfsmeldungen zuverlässig weiterzugeben.“

Während die Lage im Harz noch entspannt ist, fordern die Tierhalter in anderen Landesteilen von der Politik, der Wolfsentwicklung Einhalt zu gebieten und die „nichtregulierte, experimentelle Raubtieransiedlung“ in einer hoch entwickelten Kulturlandschaft zu beenden. Am Abend des 30. September wollen Weidetierhalter und Landbewohner in ganz Europa hunderte Mahnfeuer gegen den Wolf entzünden.

„Die europäische Strategie einer Koexistenz der Weidewirtschaft mit diesem Raubtier ist grandios gescheitert und muss neu diskutiert werden“, erläutert Wendelin Schmücker, Vorsitzender des Fördervereins der Deutschen Schafhaltung.

Weidetierhalter schlagen Alarm

Da Wölfe sich nicht nur in Deutschland ausbreiten, würden sie zu einer ernsten Bedrohung für den Fortbestand der artgerechten Weidetierhaltung in ganz Europa. Ein Hauptproblem sei, dass gerade dort, wo Schafherden üblicherweise weiden, etwa auf langgezogenen Deichen, Naturflächen, in Mittelgebirgen oder auf Almen, sich die Tiere nicht effektiv schützen lassen und angreifenden Wolfsrudeln zum Opfer fallen, erklärt Schmücker gegenüber dem Landvolk-Pressedienst. Seit der Wiederansiedlung der Wölfe in Europa sei es in den vergangenen 30 Jahren nicht gelungen, ein einheitliches und auf wissenschaftlicher Grundlage basierendes Management zu erarbeiten, das einen mit Landwirtschaft, Landbewohnern und Naturschützern verträglichen Umgang mit den Wölfen zum Ziel hat.

Wolf: Keine Gefahr für den Mensch

Natur- und Umweltschutzverbände sehen die Rückkehr des Wolfes vor dem Hintergrund des Artensterbens dagegen positiv. Der große Beutegreifer stelle keine Gefahr für die Menschen dar. Mensch und Wolf könnten zusammenleben, der Mensch muss dem Wolf aber Rückzugsräume zugestehen, in denen er seine Jungen ungestört aufziehen kann und er sollte wieder Teil des Ökosystems werden. Zudem sei er ein bedeutendes Glied der Nahrungskette. Als großer Beutegreifer frisst er Rehe, Wildschweine und Hirsche. Er jagt bevorzugt alte und kranke Tiere.

Beschwerden über Wolfsrisse gingen im Bereich des Nationalparks bislang nicht ein, versichert Ole Anders. Allerdings kann er nur für diesen Raum sprechen. Seit dem 1. Februar 2022 sind die Bezirksförsterinnen und Bezirksförster der Landwirtschaftskammer Niedersachsen für die Rissbegutachtung zuständig. Pressesprecher Wolfgang Ehrecke indes bestätigt das Bild des Harzers: „Nach Zahlen des Umweltministeriums und der Landesjägerschaft, die uns vorliegen, gibt es im Harzraum nach wie vor so gut wie keine Übergriffe von Wölfen auf Nutz- oder Weidetiere.“

Wolfsmanagementplan gefordert

Vor dem Hintergrund, dass sich in Niedersachsen die Wölfe stark verbreiten, werden die Forderungen auch seitens der Politik nach einem Wolfsmanagementplan immer lauter, die Wolfsbestände in Deutschland genauso regulieren zu können wie in anderen europäischen Staaten. Dabei sollen regionale Überpopulationen berücksichtigt werden. In Gebieten mit einer zu hohen Wolfsdichte müssten Vergrämung und Entnahmen auf der Grundlage verbindlicher Kriterien konsequent ermöglicht werden.

Ein solcher Wolfsmanagementplan muss aber mit dem EU-Recht abgestimmt werden. Die EU erwartet von den Mitgliedsländern, dass sie für diese Arten einen günstigen Erhaltungszustand erhalten bzw. herbeiführen. Um einen günstigen Erhaltungszustand zu erreichen, sollte eine isolierte Population von Wölfen aus mindestens 1.000 erwachsenen Tieren bestehen. Bis dahin scheiden jagdliche Eingriffe zur zahlenmäßigen und räumlichen Steuerung einer Wolfspopulation aus.

Laut Bericht der Landesjägerschaft Niedersachsen im zweiten Quartal 2022 wurden 192 Tiere durch Wölfe getötet oder so stark verletzt, dass sie eingeschläfert werden mussten. Die Anzahl der Übergriffe ist im Vergleich zum letzten Quartal (73 Fälle) um 6,85 Prozent gestiegen. Bei 55 Fällen wurde der Wolf als Verursacher amtlich bestätigt, in keinem Fall konnte der Wolf als Verursacher ausgeschlossen werden. In 14 Fällen war eine sichere Feststellung des Verursachers nicht möglich. Neun weitere Fälle befinden sich noch in Bearbeitung. Die meisten Übergriffe hat es auf Schafe gegeben. Am zweitstärksten waren Rinder betroffen.

An ihrem Aktionstag wollen die Weidetierhalter mit möglichst vielen Bürgern und Politikern ins Gespräch kommen. Die Mahnfeuer werden überall um 19 Uhr entzündet