Braunschweig. Im April 1975 kommt es zu einem denkwürdigen Spiel in Braunschweig. Wolfgang Weihs schießt damals das Foto des Tages. Darauf: Seeler und Pelé.

Anruf bei Wolfgang Weihs, langjähriger Fotograf der Deutschen Presse-Agentur, aus Hannover. Am Abend zuvor ist die Fußball-Legende Pelé gestorben. Weihs hat ihn mehrmals getroffen, unter anderem am 20. April 1975 bei einem Benefizspiel in Braunschweig. Uwe Seeler war der andere Star der Veranstaltung damals. Den kannte Weihs gut, von unzähligen Reisen mit der Nationalmannschaft. Pelé kannte er dagegen nur vom Sehen. „Ich habe schon mit Ihrem Anruf gerechnet“, sagt Weihs. Er freut sich über alte Zeiten zu plaudern. Andere Zeiten als heute. An das Spiel im Stadion an der Hamburger Straße damals kann er sich gut erinnern. „Ein Riesenauflauf“, sagt er und zugleich sehr familiär. „Richtig nett war es an Tag bei Euch in Braunschweig“, sagt er.

Die Erklärung, warum Seeler und Pelé an diesem Tag beide für den guten Zweck gegen den Ball traten, hat Weihs auch parat. „Beide waren Repräsentanten von Adidas. Deshalb waren sie zusammen eingeladen.“ Auch wenn er selbst mit Pelé nie gesprochen hat, denkt der heute 78-Jährige öfter an die brasilianische Fußball-Ikone zurück. Es war die WM 1970, die ihm dabei im Gedächtnis haften bleibt. Es war seine erste und Pelés letzte, seine Krönung, als er in Mexiko zum dritten Mal Weltmeister wird. „Ich war 25, Pelé nur einige Jahre älter als ich. Er wurde am Ende auf den Schultern getragen. Das Bild habe ich noch genau vor Augen. Ich war als einziger Fotograf der dpa beim Finale im Azteken-Stadion am Spielfeld und durfte fotografieren. So etwas vergisst man nie.“

Lesen Sie hier den Text, den unsere Zeitung anlässlich des Todes von Uwe Seeler, veröffentlichte. Die Hamburger Fußball-Ikone war am 21. Juli diesen Jahres verstorben, am 27. Juli veröffentlichten wir diesen Text erstmals.

Wolfgang Weihs will alle Fragen beantworten. „Gleich, sofort, in einer Minute. Ganz bestimmt“, sagt er. Aber jetzt möchte er erstmal selber was loswerden. „Wir Fotografen drücken uns am besten in Bildern aus“, sagt der Mann, der in Hannover lebt, am Telefon. „Ich sende Ihnen per Mail mal ein paar Aufnahmen zu.“

So beginnt das Gespräch mit Weihs über einen Mann, dessen Tod in diesem Jahr die Menschen in Deutschland bewegte. Uwe Seeler starb im Juli in Hamburg. Er wurde 85 Jahre alt. Während die Hansestadt um ihren Ehrenbürger weint, erinnern viele in Deutschland an Seelers Verdienste. Sogar die höchsten politischen Würdenträger, Bundeskanzler Olaf Scholz und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, brachten öffentlich ihre Trauer zum Ausdruck.

Der „Kicker“ widmete dem Verstorbenen acht Sonderseiten und druckte ein vor zwei Jahren erschienenes Interview im Wortlaut ab. Der Ehrenspielführer der deutschen Nationalmannschaft war, so der rote Faden, der sich durch jede Beileidsbekundung und jeden Nachruf zog, nicht nur einer der erfolgreichsten Fußballer der deutschen Nachkriegsgeschichte, sondern ein noch viel größerer Mensch. Bodenständigkeit, Bescheidenheit, Treue zu seiner Heimatstadt: Dafür stand „Uns Uwe“ wie kein Zweiter, so der Tenor.

Seeler in Wembley – eine Ikone der Sportfotografie

Ausgezeichnet als Sportfoto des Jahrhunderts: Uwe Seeler verlässt nach der WM-Finalniederlage 1966 gegen England den Platz.
Ausgezeichnet als Sportfoto des Jahrhunderts: Uwe Seeler verlässt nach der WM-Finalniederlage 1966 gegen England den Platz. © Sven Simon / Agentur SVEN SIMON | SVEN SIMON

Von wichtigen Persönlichkeiten gibt es viele Fotos. Manche von denen werden zu zeitgeschichtlichen Dokumenten. Ein solches ist eng mit dem Namen Seeler verbunden. Es zeigt ihn in seiner wohl bittersten sportlichen Niederlage. Eskortiert von britischen Polizisten, schleicht Seeler nach der Finalniederlage gegen England im WM-Endspiel von 1966 mit hängenden Schultern vom Platz. Das ganze Unglück der Niederlage scheint in Seelers Gang vereint, als der Fotograf den Auslöser drückte.

Seelers Größe, so die Beobachter damals, spiegelte sich nur kurz nach der Aufnahme wider. Da gratulierte er den Engländern fair zu einem Sieg, der keiner war. Entschieden durch ein Tor, das nicht hätte zählen dürfen. Der Rest ist Fußballgeschichte.

Natürlich kennt auch Wolfgang Weihs diese ikonische Aufnahme in Wembley. Er kennt auch den Fotografen. „Das war Sven Simon, ein Pseudonym von Axel Springer Junior“, sagt er. Als das Foto gemacht wurde, ist der heute 77-Jährige Volontär – in der Ausbildung bei der Deutschen Presse-Agentur dpa in Frankfurt, später in Bonn. Kurz danach wechselt er als fest angestellter Fotoredakteur nach Hannover und arbeitet dort bis zur Verrentung im Jahr 2009. „Eigentlich wollte ich nur zwei Jahre in Hannover bleiben. So kann man sich täuschen. Manchmal stellt einem das Leben andere Aufgaben“, sagt der aus dem Bergischen Land stammende Weihs lachend.

1970, Fußball-WM, Mexiko: Der Fotograf Wolfgang Weihs (rechts) im angeregten Austausch mit Nationalspieler Uwe Seeler in der Hotellobby.
1970, Fußball-WM, Mexiko: Der Fotograf Wolfgang Weihs (rechts) im angeregten Austausch mit Nationalspieler Uwe Seeler in der Hotellobby. © Wolfgang Weihs | Wolfgang Weihs

Auch Braunschweig hätte er damals nicht gekannt. „Ich kam aus dem tiefen Westen, nicht einmal geografisch zuordnen konnte ich die Stadt.“ Mit den Erfolgen der Eintracht, dem phänomenalen Triumph 1967, hätte sich das schnell geändert. „Dem Uwe“ sei er damals immer wieder über den Weg gelaufen – ob im Ligabetrieb bei den Spielen des HSV oder auf Reisen mit der Deutschen Nationalmannschaft. Bei sechs großen Turnieren durfte Weihs für die dpa Fotos machen. Erstmals ist er 1970 in Mexiko dabei. „Wir Journalisten schliefen im selben Hotel wie die Spieler. Heute unvorstellbar.“ Für Seeler sollte es das letzte große Turnier im Adler-Trikot werden.

April 1975 – Das Spektakel im Braunschweiger Stadion

Fünf Jahre später. Im April 1975 bekommt Weihs den Auftrag, nach Braunschweig zu einem Benefizspiel zu fahren. Hier kreuzen sich die Wege des Fotografen und des einstigen Weltklasse-Stürmers erneut. Seeler hatte drei Jahre zuvor seine aktive Karriere beendet und die Fußball-Schuhe an den Nagel gehängt. Aber für den guten Zweck zieht er sie an diesem Sonntag nochmal an. So entstehen die Aufnahmen von Weihs, die Seeler mit Pelé zeigen. Der Deutsche und der brasilianische Weltklassespieler sind die Aushängeschilder einer Promi-Truppe, die in der Löwenstadt für den NDR aufläuft. Das Spiel findet im Rahmen der Lotterie-Aktion „Ein Platz an der Sonne“ statt. Unsere Zeitung titelte damals „Ovationen für eine einmalige Sportshow“ und nannte als Mitspieler von Seeler und Pele unter anderem die Moderatoren Hans Rosenthal und Dieter Kürten sowie Hannovers Oberbürgermeister Herbert Schmalstieg. Ihnen stand eine nicht weniger illustre Braunschweiger „Prominenten-Elf“ gegenüber. Für sie „lief Ex-Eintracht-Torwart Jäcker und seine beiden ehemaligen Mannschaftskameraden Walter Schmidt und Joachim Bäse, Oberbürgermeister Jaenicke, die Ratsherren Joachim Clemens und Gerhard Kunze, Repräsentanten dreier Brauereien, Tenniscrack Jürgen Faßbender, Willi Holdorf, Professor Manfred Steinbach, die beiden Sportredakteure unserer Zeitung Gero Henke und Jochen Döring, Professor Hannes Neumann und Klaus Glahn auf den Rasen“, heißt es in dem Bericht unserer Zeitung, der am 21. April auf einer ganzen Zeitungsseite abgedruckt wurde.

Überschwänglich sei der Empfang bei der Ankunft von Seeler und Pele gewesen, fast schon „südländisches Temperament“ habe bei den 20.000 Zuschauern geherrscht, so der Autor des Artikels. „Steigerte sich der Beifall schon bei Uwe Seelers Einfahrt zum Orkan, so schwoll der Applaus für Pele noch stärker an“, schreibt er.

Der langjährige Fotograf der Deutschen Presse-Agentur in Hannover, Wolfgang Weihs, schoss das Foto von Seeler und Pele 1975 in Braunschweig.
Der langjährige Fotograf der Deutschen Presse-Agentur in Hannover, Wolfgang Weihs, schoss das Foto von Seeler und Pele 1975 in Braunschweig. © Wolfgang Weihs | Wolfgang Weihs

An den Jubel der Zuschauer kann sich auch Fotograf Weihs zurückerinnern, an das Ergebnis nicht. 5:3 gewann die Braunschweiger Elf. Seeler und Pele zogen also den Kürzeren, trafen jedoch jeweils einmal für ihr Team. Schon vor Anpfiff, sagt Weihs, sei er zu Seeler gegangen. „Uwe, können wir ein Foto machen?“, habe er gefragt. „Natürlich“, die Antwort Seelers. Auch Pele hatte nichts dagegen, auch nicht damit, dass Weihs im Anschluss noch eine Bitte äußerte. „Mein sechsjähriger Sohn war dabei. Ich wollte ihn auch gerne auf einem Foto mit den beiden haben – als Erinnerung“, erzählt Weihs. Auch diesen Wunsch erfüllen die Weltstars geduldig. „Mit dem Uwe konntest Du sowas machen. Du musstest ihn einfach nur fragen. Der hatte keine Starallüren. Und wenn es ein Problem gab, hat er Dir das gesagt, gerade raus.“ Das Foto, das die beiden Fußballstars in Braunschweig zeigt, ging dann um die Welt. Das Motiv mit seinem Sohn hat Weihs bis heute in seinem Archiv bewahrt.

Fotograf Weihs: Der Profi-Fußball heute ist ein anderer

In 40 Berufsjahren hat Weihs viel gesehen, kennt viele Anekdoten, die er unterhaltsam zu erzählen weiß. Der Profi-Fußball heute sei ihm hingegen fremdgeworden. Im Umgang zwischen Sportlern und Journalisten herrsche oft Misstrauen. „Teilweise ekelhafte Züge“ nennt Weihs das Gebaren von Fußball-Profis, die sich trotz Vertrags und Millionengehältern zu anderen Vereinen „streiken“. Jeder denke nur an sein eigenes Vorankommen. Das alles sei nicht die Welt von Uwe Seeler gewesen. „Deswegen ist die Trauer über seinen Tod so groß. Er war einfach ein feiner Kerl.“