Braunschweig. Theologe Alexander Deeg hält eine Modernisierung auch der Trau-Liturgie für wichtig. Seine Position erklärte er bei einem Vortrag in Braunschweig.

Mit der Entscheidung der Braunschweiger Landeskirche, die „Ehe für alle“ künftig umsetzen zu wollen, hat auch die Diskussion darüber, wie das im Alltag der Gemeinden und in den Gottesdiensten gelebt werden kann, an Fahrt gewonnen. Diesem Thema nimmt sich nun auch das Theologische Zentrum (THZ) in Braunschweig mit einer dreiteiligen Veranstaltungsreihe an. Der Auftakt dazu erfolgte jetzt.

Rückblick: Im November 2021 hatte das Braunschweiger Kirchenparlament (Synode) mit großer Mehrheit dafür gestimmt, die kirchliche Trauung auch gleichgeschlechtlichen Paaren und Menschen mit dem dritten Geschlecht zu erlauben. Zuvor hatte es nur die Möglichkeit einer öffentlichen Segnung für homosexuelle Paare gegeben. Gestattet wird die Öffnung jetzt durch eine Änderung der Präambel im Traugesetz, die eine Bindung der Ehe an Mann und Frau auflöst. Stattdessen wird dort nun formuliert: „Die Ehe ist eine Gabe Gottes und hat die Bestimmung, das gemeinsame Leben zweier Menschen auf Lebenszeit in gegenseitige Achtung zu gestalten.“

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Emotionale Debatte auf der Synode im November 2021

Mit dem Beschluss lehnte die Synode eine Empfehlung von Kirchenregierung, Landesbischof und Kollegium des Landeskirchenamtes ab, vor einer endgültigen Entscheidung eine Stellungnahme der Theologischen Kammer sowie der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) abzuwarten. Die drei anderen Leitungsorgane hatten den Gesetzentwurf zwar ebenfalls begrüßt, plädierten aber dafür, aufgrund der hohen Bedeutung des Anliegens, erst nach Vorlage eines theologischen Gutachtens endgültig zu entscheiden. Diese Position fand in der Synode jedoch keine Mehrheit.

Teilweise emotional war zuvor die Diskussion unter den Mitgliedern des Kirchenparlaments verlaufen. So hatte beispielsweise der Synodale Kai Florysiak aus Braunschweig in seinem Wortbeitrag erklärt, die Angelegenheit sei hinreichend diskutiert worden. Diskriminierung gleichgeschlechtlich liebender und Menschen mit dem dritten Geschlecht seitens der Kirche müsse jetzt beendet werden.

Referent Alexander Deeg: Weitreichende, progressive Auslegung des Traugesetzes

Als „sehr weitreichend“ beschrieb Alexander Deeg, Theologe und Professor für Praktische Theologie an der Universität Leipzig, die Braunschweiger Entscheidung bei seinem Gastvortrag im Rahmen der gestarteten Diskussionsreihe im THZ. Pandemiebedingt fand sein Vortrag digital und nicht in Präsenz statt. Hierzu hatten sich etwa 20 Zuhörer angemeldet. Mit der Formulierung „zweier Menschen“ in der Präambel sei der Synode nahezu ein genialer Kniff gelungen, so Deeg. Diese stelle die zu trauenden Menschen in der Mittelpunkt und nicht die Institution Ehe. Es gehe in der Frage der Segnung, der sich Deeg in seinen Einlassungen historisch näherte und an deren Anfang er „Luthers Traubüchlein“ stellte, nicht darum „was man segne“, sondern „wen man segne“.

Während zuletzt insgesamt mehr Menschen den Bund für die Ehe eingingen, sind kirchliche Trauungen in beiden Kirchen in Deutschland seit Jahrzehnten rückläufig.
Während zuletzt insgesamt mehr Menschen den Bund für die Ehe eingingen, sind kirchliche Trauungen in beiden Kirchen in Deutschland seit Jahrzehnten rückläufig. © Jürgen Runo | Jürgen Runo

Deeg wies zudem auf die alltäglichen Widersprüche hin, die mit der Eheschließung in Deutschland einhergehen würden. Es sei ein Akt zweier Menschen, die sich zueinander bekennen – quasi zwischen zivilrechtlicher Notwendigkeit (Standesamt) und emotionalem kirchlichen Beiwerk. „Viele Menschen können einem nach der Trauung in der Kirche gar nicht mehr sagen, was der Pfarrer gesagt hat. Sie können ihre Entscheidung gar nicht mehr herleiten, warum sie eine kirchliche Trauung wollten. Und trotzdem machen sie es. Es gehört einfach für viele dazu, sich vor Gott zueinander zu bekennen“, sagte Deeg, der selbst als Vikar in einer oberfränkischen Traukirche gearbeitet hatte. Insgesamt seien die kirchlichen Trauungen aber seit Jahrzehnten rückläufig (siehe Grafik). Auch das gehöre zur Wahrheit.

Deeg hält auch das „Abstandsgebot“ der Ehe, auf das sich beide Kirchen in Deutschland jahrzehntelang berufen hätten, für eine mehr oder weniger überholte Position. Dieser Begriff wurde insbesondere von Verfassungsrechtlern dann ins Spiel gebracht, wenn der Unterschied zwischen Ehe und eingetragener Partnerschaft betont werden sollte. Die Entscheidungen von immer mehr Landeskirchen zugunsten einer „Trauung für alle“ statt ausschließlich eine Segnung für homosexuelle Paare vorzunehmen, spiegele aber eine gegenläufige Entwicklung wider. Dabei sei der Fortschrittsgedanke innerhalb der evangelischen Landeskirchen unterschiedlich hoch ausgeprägt, erklärte Deeg und verwies auf eher zögerliche Kirchenverbände in Ost- und Süddeutschland. Reformorientiertere Verbände seien schon sehr viel länger – oftmals noch vor dem Gesetzgeber – bereit gewesen, Änderungen bei Trau- und Segnungsritualen vorzunehmen.

Verfassungsgerichtsurteil 2017 hat Folgen – auch für die Kirchen

In dem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass das Bundesverfassungsgericht 2009 festgestellt hatte, dass ein „Abstandsgebot“ nicht existiert. Dass in der Frage jedoch ein offensichtliches Spannungsverhältnis zwischen Artikel 3 (Gleichstellungsgebot) und Artikel 6 (besonderer Schutz der Ehe) besteht, wollte auch Deeg nicht anzweifeln. Jedoch hätte den Kirchen in Deutschland spätestens mit dem Urteil des Bundesverfassungsgesetzes 2017, das die Einführung des dritten Geschlechts in bundesdeutsche Behördenregister anordnete, klar sein müssen, dass es ein Weiter-so oder die Erhaltung eines Status quo nicht würde geben können. „Es war unumgänglich geworden, dass sich nun die Abläufe von Gottesdiensten, die Liturgie, wandeln muss.“ Das Thema Gleichgeschlechtlichkeit und Diversität zu ignorieren, sei nicht mehr möglich gewesen, so Deeg, der seit 2019 einem Gremium der VELKD vorsitzt, das sich um die Reform der sogenannten „Trauagende“ kümmert.

Prof. Alexander Deeg während seines Online-Vortrags für das Theologische Zentrum in Braunschweig.
Prof. Alexander Deeg während seines Online-Vortrags für das Theologische Zentrum in Braunschweig. © Dirk Breyvogel | Screenshot: DIRK BREYVOGEL

Im Gespräch mit unserer Zeitung gibt Deeg zu: „Weit sind wir hier noch nicht gekommen.“ Das habe auch etwas mit dem unterschiedlichen Reformtempo in den Landeskirchen zu tun. Am Ende werde die VELKD mit Blick auf die Ausgestaltung der Trauungen in den Kirchen den Synoden in Deutschland einen Vorschlag unterbreiten. Diese müssten darüber einzeln abstimmen, könnten aber jeweils noch Änderungen einbringen. „Unser Ziel muss es sein, dass es Musterabläufe bei Texten und Ritualen in Gottesdiensten gibt, die überall gleich sind.“ Bei der Frage der Verbindlichkeit räumt Deeg ein: „Jeder Pfarrer und jede Pfarrerin hat Spielräume bei der Gestaltung eines Gottesdienstes, das gilt auch für die Trauung. Wir wollen und können auch nicht überwachen, ob unser Vorschlag eins zu eins umgesetzt wird.“

Die Geschichte des Vaters als eindringliches Beispiel

Die aus seiner Sicht progressive Auslegung einer „Trauung für alle“ der Braunschweiger Landeskirche kommt für Deeg überraschend. Das habe etwas mit der Geschichte dieser Synode zu tun, die in der Segnungsdebatte gleichgeschlechtlicher Paare vor fast 20 Jahren noch tief zerstritten gewesen sei. Dabei habe der damalige Landesbischof Friedrich Weber immer wieder deutlich gemacht, was er sich wünsche. „Weber wollte Klarheit nach außen. Er wollte der Öffentlichkeit immer zeigen, dass es einen Unterschied zwischen einer Trauung und einer Segnung homosexueller Paare geben muss. Das musste auch im Ablauf der Gottesdienste sichtbar sein“, erklärte Deeg.

Dass diese Einstellung nicht die seinige ist, macht Deeg auch beim Vortrag in Braunschweig immer wieder deutlich. In der von Dr. Stefan Heuser, Sozialethiker an der TU Braunschweig, moderierten Diskussion leitete er seine Position auch immer wieder von seiner eigenen Lebensgeschichte ab. So outete sich sein Vater vor 40 Jahren als homosexuell. Da war Deeg gerade einmal zehn. Zuvor habe sein Vater oft mit sich gehadert, sei oft krank gewesen. Heute seien sein Vater und seine Mutter „beste Freunde“ und in der fränkischen Dorfgemeinschaft akzeptiert. „So wie sie sind.“ Deeg nimmt den Vater als Beispiel dafür, dass man Toleranz lernen und Zeiten sich ändern könnten.

Die Ehe als Institution, ausschließlich gültig zwischen Frau und Mann, sei früher oft mit dem Hinweis auf die Generativität, also die Fortpflanzung, verbunden gewesen. Insbesondere der Glaube in der katholischen Kirche habe darauf abgehoben. Auch hier müsste man sich heute offensichtlichen Widersprüchen stellen. „Auch wenn die Medizin einiges leisten kann: Dass zwei 80-Jährige noch Kinder bekommen, ist höchst unwahrscheinlich. Die Trauung in der Kirche steht ihnen dagegen offen.“

Deeg: Politische Positionen nicht auf dem Rücken anderer austragen

Die Kirche befände sich in einem lernenden Prozess. Die, die sie als letzten Anker in einer völlig aus dem Ruder laufenden Welt sehen, werden Schwierigkeiten mit der Wandlung der Institution Kirche haben. Für ihn sei diese Haltung dann heikel, wenn umstrittene politische Positionen auf „dem Rücken anderer ausgetragen werden“. Auf Kosten derjenigen, deren Liebe zueinander nicht öffentlich akzeptiert wird, die sich aber auch vor Gott öffentlich zu ihrer Beziehung bekennen wollen. Hier sei die Geschichte seines Vaters sehr prägend für seine heutige Einstellung gewesen.

Und dann sagt Deeg zum Schluss des Gesprächs wieder so einen Satz, so einfach und wahr zugleich: „Wir alle müssen die Aufgeregtheit in der Debatte zurückfahren, gerade heute in Relation setzen zu den Schrecken von Pandemie und Krieg. Über was reden wir? Es geht um die Liebe zweier Menschen zueinander. Darum geht es, um mehr nicht.“

Weitere Termine zum Thema „Ehe für alle“ im Theologischen Zentrum

Das Theologische Zentrum Braunschweig wird am 28. April und am 5. Mai (jeweils zwischen 19 und 21 Uhr) zwei weitere Veranstaltungen in der Reihe „Ehe für alle“ im digitalen Format anbieten – anschließend wird mit den Referenten diskutiert. Anmeldungen unter: sekretariat.thz@lk-bs.de

Weitere Informationen unter www.thzbs.de