Braunschweig. Massiv steigende Getreidepreise bedrohen ärmere Länder. CDU-Minister: Agrarpolitik komplett auf Prüfstand stellen. Agrarökonom warnt vor Abschottung.

„Was ist von der Forderung der CDU-Agrarminister zu halten, angesichts des Ukrainekriegs sollten ,ökologische Aspekte zurücktreten‘, um ,im Sinne der Landwirtschaft und Ernährungssicherung zu handeln‘? Ich habe Fragen über Fragen.“ Dies schreibt unsere Leserin Susanne Schmedt aus Braunschweig.

Die Antwort recherchiert hat Andreas Eberhard.

Abgestimmt mit ihren Kabinettskollegen hatte Niedersachsens Agrarministerin Barbara Otte-Kinast (CDU) diesen Vorstoß offenbar nicht. Angesichts der befürchteten Auswirkungen des russisch-ukrainischen Krieges müsse „die gesamte Agrarpolitik auf den Prüfstand“ gestellt werden, hatte sie letzten Donnerstag zusammen mit weiteren Landwirtschaftsministern aus den Unionsparteien CDU und CSU gefordert. Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) mache sich die Forderungen seiner Ministerin vorläufig nicht zu eigen, war am Montag aus der Staatskanzlei in Hannover zu erfahren. Er werde die Situation jetzt bewerten und sich in den kommenden Tagen äußern.

CDU-Minister: Maßnahmen, die Produktion beschränken, zurückfahren

Otte-Kinast hatte den Vorstoß so begründet: „Die Ukraine fällt als Kornkammer Europas und wichtiger Erzeuger von Sonnenblumen, Mais und Weizen aus.“ Es gelte daher, „sofort im Sinne der Landwirtschaft und der Ernährungssicherung zu handeln“. In der Erklärung heißt es, die seit Kriegsbeginn zu beobachtende „grundsätzliche Neubewertung aller Politikfelder“ dürfe „auch vor der Agrarpolitik“ nicht haltmachen. Es dürfe „keine Denkverbote“ geben. Was damit gemeint war, fasste Agrarminister Sven Schulze (CDU) aus Sachsen-Anhalt zusammen: Ökologische Aspekte seien wichtig, sie müssten aber jetzt „für die nötige Zeit ein Stück zurücktreten“. Maßnahmen, die die Produktion einschränkten, sollten zurückgefahren werden. Konkret sprechen sich die Minister in ihrem Papier etwa dafür aus, Verpflichtungen zur Stilllegung von landwirtschaftlichen Flächen vorübergehend auszusetzen und Abhängigkeiten der deutschen Landwirtschaft von ausländischen Produkten zu verringern.

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Weizenpreis und die größten Getreideproduzenten.
Weizenpreis und die größten Getreideproduzenten. © Runo | Runo

Agrarökonom: Weniger Fleischgenuss würde helfen

Während der Umweltverband BUND Niedersachsen die Forderungen am Montag in einer Pressemitteilung zwar nicht rundweg ablehnte, jedoch als „kurzfristigen Aktionismus“ kritisierte, findet Prof. Martin Banse von Thünen-Institut anerkennende Worte: „Die Diktion des Papiers finde ich erstmal in Ordnung“, sagt der Braunschweiger Agrarökonom. „Man merkt, dass es den Unterzeichnern wichtig war, die mühsam errungenen Fortschritte in puncto Nachhaltigkeit nicht leichtfertig zu opfern.“ Wie im übrigen auch der BUND begrüßt Banse den Vorschlag, die Getreideproduktion angesichts weltweiter Nahrungsmittelengpässe bevorzugt für die menschliche Ernährung zu verwenden statt für Biokraftstoffe. Auch den Vorschlag, Flächenstilllegungen zeitlich begrenzt zur Disposition zu stellen, hält er für „eine moderate Forderung“. Banse vermisst allerdings Hinweise dazu, welchen Beitrag Verbraucher in der gegenwärtigen Situation leisten können. „Das meiste Getreide wandert in die Futtertröge der Viehhaltung. Auch ein geringerer Fleischkonsums würde somit helfen, die Getreideknappheit zu entschärfen.“

Wollen CDU-Minister die EU-Nitratrichtlinie aussetzen?

„Das meiste Getreide wandert in die Futtertröge der Viehhaltung. Auch ein geringerer Fleischkonsums würde somit helfen, die Getreideknappheit zu entschärfen“, sagt Prof. Martin Banse vom Instituts für Marktanalyse des Thünen-Instituts.
„Das meiste Getreide wandert in die Futtertröge der Viehhaltung. Auch ein geringerer Fleischkonsums würde somit helfen, die Getreideknappheit zu entschärfen“, sagt Prof. Martin Banse vom Instituts für Marktanalyse des Thünen-Instituts. © Thünen | Thünen

Auch der BUND empfiehlt, den Konsum tierischer Produkte zu reduzieren: „Allein in Deutschland wird 60 Prozent des Getreides an Tiere verfüttert. Eine deutliche Absenkung der Tierbestände würde zahlreiche Flächen für die Produktion pflanzlicher Nahrung frei machen“, erklärt Geschäftsführerin Susanne Gerstner. Überhaupt die Tierhaltung: Deren ambivalente Rolle in der jetzigen Situation bleibt in der Erklärung der Unionsminister unterbelichtet. Den Appell, „offene Rechtsfragen einvernehmlich und umgehend“ mit der EU zu klären, versteht Banse als verklausulierte Forderung, die Nitratrichtlinie der EU auszusetzen, die das Grundwasser vor Belastungen durch Düngemittel, insbesondere Gülle, schützen soll. „Diesen Schutz wegen kurzfristiger Erwägungen zur Disposition zu stellen, das wäre schon eine massive Rolle rückwärts. Das dürfte nicht wahr sein“, so Banse.

„Abschottung wäre kontraproduktiv“

Nur warnen kann der Experte auch vor einem „übertriebenen Pochen auf Selbstversorgung“, das er aus dem Dokument herausliest. Wenn die Reaktionen auf Abschottung vom Weltmarkt hinauslaufen, würde die Krise eher noch verstärkt als gelindert. „Wenn es alle so machen wie Ungarn oder Argentinien, dann gehen die Preise durch die Decke“, prognostiziert er. Im Übrigen sei die Tierhaltung – gerade in Niedersachsen – aufgrund ihrer Dimensionen auf Futtermittelimporte angewiesen. „Spätestens da beißt sich die Katze in den Schwanz.“

Russland und die Ukraine sind wichtige Exporteure von Weizen, Mais und Ölsaaten wie Sonnenblumenkernen. Nach Angaben der Uno kamen 2020 rund 19 Prozent der weltweiten Weizenexporte aus Russland, 9 Prozent aus der Ukraine. Schon jetzt wirkt sich der Krieg massiv auf den Weltmarkt aus. Der Weizenpreis liegt derzeit bei über 400 Euro pro Tonne, das ist mehr als in der „Nahrungsmittelpreiskrise“ 2007/08. Die Versorgungssicherheit Deutschlands mit Weizen ist aber nicht in Gefahr. Die Exporte übersteigen sogar die Importe.

Gefahren für Nahrungsmittelversorgung in armen Ländern

Unter den hohen Preisen leiden vor allem Menschen in ärmeren Ländern des globalen Südens, die ihren Getreidebedarf vor allem durch Einfuhren decken. Anders als in Deutschland entfällt in diesen Ländern geben die Menschen dort einen hohen Anteil ihres Geldes für Lebensmittel aus. „Soziale Spannungen oder sogar Unruhen sind hier besonders zu befürchten, was die ohnehin prekäre Lage dieser Länder noch verschärft“, so Banse. In der EU dagegen seien die Risiken durch steigende Nahrungsmittelpreise eher gering. Viel deutlicher wirkten sich hier die gestiegenen Energiepreise aus.

Am Montagnachmittag verkündete Russland einen sofortigen Exportstopp für Weizen, Roggen, Gerste, Mais und Mischgetreide. UN-Generalsekretär António Guterres warnte vor einer weltweiten Hungerkrise infolge des Krieges.

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