Was können wir aktuell von Großbritannien über die Zukunft lernen? Vielleicht so viel: Eine starke Gemeinschaft ist dem Alleingang allemal vorzuziehen. Vor fünf Jahren stimmten knapp 52 Prozent der Bürger im Vereinigten Königreich für den Brexit, weil viele davon überzeugt wurden, dass ein Ausstieg aus der EU für das gesamte britische Volk vorteilhaft sei. Manch einer wird dieser Tage viel Zeit zum Nachdenken über diese Entscheidung gehabt haben, als er stundenlang vergebens an britischen Tankstellen auf Sprit wartete. Verkauft wurden ihnen der Brexit von der Politik als ein Vorteil für alle. Es sollten Kontrolle und Entscheidungsfähigkeit wiedererlangt werden. Dabei ist es aber nicht verwunderlich, dass sich heute schon abzeichnet, dass davon aber nur einige wenige wirklich profitieren.

Anfangs wurde noch viel über Fisch geredet, aber im Grunde genommen ging es nie nur um die Hoheit über Fischbestände in eigenen Gewässern, sondern vor allem um die Unabhängigkeit des britischen Finanzplatzes. Wie eine Fernsehdokumentation jüngst enthüllte, wurde die Kampagne zum Austritt mit rund 18,3 Millionen Pfund von wenigen Superreichen finanziert. Denn das meiste Geld wird heutzutage doch mit Geld verdient und nicht mit Fisch. Der wahre Antrieb hinter dem Brexit ist also im Wunsch nach einer von Steuern und EU-Regeln befreiten Wirtschaft zu vermuten. Doch um auch das Volk dazu zu bewegen, in einem Referendum für den Austritt zu stimmen, hat man die Menschen bei ihren Sorgen und Ressentiments abgeholt: Die Angst vor ständiger Gängelung durch die EU-Bürokratie, aber insbesondere vor der Überfremdung des heimischen Arbeitsmarktes wurde geschürt. So manch einem dämmert es aber inzwischen, wofür er da wirklich gestimmt hat: Der Brexit hat bisher Lieferengpässe und Zunahme der Bürokratie durch Zollschranken, mehr Formalitäten bei Ein- und Ausreise, aber vor allem einen eklatanten Mangel an Arbeitskräften im Dienstleistungs- und Servicesektor gebracht. Dies gipfelte jüngst in der Spritkrise. An allen Enden fehlen Arbeitskräfte, beispielsweise im Hotel- und Gastgewerbe, in den Supermärkten und eigentlich an allen Stellen, wo gar keine Briten übernehmen können oder wollen. Jetzt ist noch nicht einmal mehr klar, ob die traditionelle Weihnachtswurst dieses Jahr auf den Tisch kommt. Weil es an Fahrern für die Viehtransporte fehlt, können derzeit Millionen Schweine nicht mehr zum Schlachthof zur Weiterverarbeitung gebracht werden, wo ebenfalls die Schlachter fehlen. Bauern warnen davor, dass sie ihre gesunden Tiere deswegen vor Ort töten und verbrennen müssen. Für jeden einzelnen Bürger Großbritanniens jedenfalls zeichnet sich deutlich ab, dass ihm der gewünschte Alleingang persönlich eher teuer zu stehen kommen wird, nicht zuletzt durch die gestiegenen Preise und Versorgungsengpässe. Europa aber kann vom Brexit lernen, dass wir uns die selbst geschaffene Gemeinschaft nicht vorschnell von einer Politik der Einzelinteressen ausreden lassen sollten, denn eine starke Gemeinschaft der Vielen ist im Grunde auch ein Schutzschirm für jeden Einzelnen.