Braunschweig. Braunschweiger Prof. Ulrich Menzel sieht die Union durch die Stärke der Grünen in Zugzwang. Darum werde um die Kandidatenfrage auch so zäh gerungen.

Eigentlich ist die Frage nach dem zukünftigen Kanzlerkandidaten nicht so spannend. Viel interessanter ist es doch festzustellen, wie der Verlierer mit seiner Niederlage zurechtkommt und ob er den Sieger unterstützt.

Das stellt unser Leser Karl Kurz aus Salzgitter fest.

Zu dem Thema recherchierte
Dirk Breyvogel

Der Politikwissenschaftler Professor Ulrich Menzel erklärt im Gespräch mit unserer Zeitung: „Ich habe schon Anfang des Jahres an dieser Stelle auf Markus Söder als gemeinsamen Kanzlerkandidaten der Union getippt. Dabei bleibe ich auch nach diesem Wochenende.“

Entscheidend dafür, dass die Debatte über die K-Frage jetzt Fahrt aufgenommen habe, sei die Bekanntmachung der Grünen gewesen, am Montag ihren Kandidaten beziehungsweise ihre Kandidatin auf den Schild heben zu wollen. „Die SPD ist sehr früh dran gewesen. Nachdem klar war, wann die Grünen sich positionieren, wollten CDU/CSU nicht die letzten sein, die ihr personelles Angebot den Menschen präsentieren“, sagt Menzel. Er glaubt an eine schnelle Entscheidung, in den nächsten Tagen oder sogar Stunden. „Wäre ich Parteistratege und würde die Union beraten, würde ich aber mit der Verkündung noch warten bis zum 19. April und damit den Grünen die Show stehlen.“ Die Grünen, so schätzt Menzel die Stimmung ein, werden mit Annalena Baerbock ins Rennen um das Kanzleramt gehen.

„Hohes persönliches Risiko“

Menzel, der jahrelang an der TU Braunschweig das Institut für Sozialwissenschaften leitete, empfindet den nun von den Gremien der CDU und der CSU angestoßenen Prozess als folgerichtig. „Wenn jemand von den beiden es nicht hätte machen wollen, wäre ja genug Zeit gewesen, dies zu verkünden.“

Beide Vorsitzenden hätten ein fundamentales Interesse daran, zu führen, weil es die Lage der Union gebiete, ist der Politikwissenschaftler überzeugt. Söder habe das sehr deutlich gemacht, als er von einer Wechselstimmung gesprochen habe. „Es geht mit 16 Jahren Angela Merkel eine Ära zu Ende, und CDU und CSU befinden sich in einem strukturellen Abwind, den die SPD schon länger zu spüren bekommt. Die Wählerbindung nimmt ab, auch weil die Bindung der Menschen zu Institutionen wie der zur katholischen Kirche weniger stark ausgeprägt ist. Es ergeben sich durch die Stärke der Grünen verschiedene politische Konstellationen, die die Union dauerhaft in die Oppositionsrolle drängen könnte.“ Für Laschet und Söder gelte mit Blick auf eine Kanzlerschaft daher: „Jetzt oder nie.“

Rivalen im Rennen um die Kanzlerkandidatur: Die Parteivorsitzenden Helmut Kohl (CDU) und Franz Josef Strauß (CSU, rechts).  Archivfoto: Steiner/Dpa/Picture-Alliance
Rivalen im Rennen um die Kanzlerkandidatur: Die Parteivorsitzenden Helmut Kohl (CDU) und Franz Josef Strauß (CSU, rechts). Archivfoto: Steiner/Dpa/Picture-Alliance

Beide, Söder und Laschet, gingen mit ihrer Kandidatur aber auch ein hohes persönliches Risiko ein. „Es ist nicht ausgemacht, dass die Union die Regierung im September anführt. Dann müssten sie trotzdem nach Berlin gehen und die Opposition im Bundestag anführen. Ihr Amt als Ministerpräsident in Bayern beziehungsweise NRW müssten sie aufgeben“, erklärt Menzel. Zur Anmerkung des Lesers, sagt er: „Für den Fall, es nicht zu werden, haben beide schon ihre Rückfallposition gefunden. Sie würden ja weiter als Landeschefs eine gewichtige Rolle auch in bundespolitischen Fragen spielen.“ Menzel nennt die gegenseitigen Bekundungen, den anderen im Wahlkampf unterstützen zu wollen, die „üblichen politischen Floskeln“. Dennoch zeige sich hier ein geschicktes Vorgehen mit dem Ziel, nicht die Einheit der Union zu gefährden. Von einem Gesichtsverlust für den Unterlegenen, spricht Menzel nicht. „Natürlich hat der Vorsitzende der größeren Partei, in dem Fall Armin Laschet, immer das Prä beim Zugriff. Aber eine Kandidatur eines CSU-Mannes ist ja durchaus vorgesehen. Ansonsten könnte ja nie ein bayerischer Politiker Bundeskanzler werden.“

Oesterhelweg: Kandidaten-Verfahren künftig klar festlegen

Frank Oesterhelweg, der Vorsitzende der CDU im Braunschweiger Land, sitzt als informelles Mitglied auch im Bundesvorstand seiner Partei. Gegenüber unserer Zeitung bestätigte er das einhellige Votum für Armin Laschet in dem Gremium. „Wir haben nicht abgestimmt, aber alle Teilnehmer haben ihre Unterstützung deutlich gemacht. Wir haben damit Laschet die Vollmacht gegeben, sich mit Söder über das abschließende Verfahren in dieser Frage zu einigen“, schildert Oesterhelweg das Vorgehen. Er könne nicht ausschließen, dass sich die CSU – nach dem klaren Bekenntnis seiner Partei zu Laschet – dem Druck beugen werde. „Wir sind aber eine Gemeinschaft, und ich bin ein großer Fan davon. Ich will, dass die Union zusammenbleibt. Und ist es nicht gottgegeben, dass das erste Vorschlagsrecht auch gleichzeitig ein automatisches Zugriffsrecht der größeren Schwester beinhaltet.“

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Oesterhelweg kritisiert aber das Prozedere bei der Kandidatenfindung. Dabei moniert er ein ständiges „Hin und Her“, was am Ende der Union insgesamt schaden könnte. So wäre es besser gewesen, Söder und Laschet hätten sich im Vorfeld ein Meinungsbild über Parteigrenzen hinweg eingeholt. „Für das nächste Mal muss es ein klares Verfahren geben, wer Kanzlerkandidat wird. Das muss auch in den Satzungen der Parteien niedergeschrieben werden“, sagt Oesterhelweg. Er selbst hätte sich sogar eine Urabstimmung der Mitglieder bei der Kandidatenkür vorstellen können.

Bundestagsabgeordneter Carsten Müller: Schnelle Entscheidung nötig

Carsten Müller, Bundestagsabgeordneter und CDU-Kreisvorsitzender in der Stadt Braunschweig, findet es gut, dass in der K-Frage der Union jetzt „Lichtung reinkommt“. Für wen sein Herz hier schlage, dazu äußert er sich nicht explizit. „Ich bin da eher für ein beherztes als ein verzagtes Vorgehen“, sagte er gegenüber unserer Zeitung mit Blick auf den Prozess der Entscheidungsfindung. Die Zeit für die Union sei mit Blick auf die Bundestagswahl im September „herausfordernd, aber durchaus gut zu meistern“. Es gehe darum, den Kandidaten zu benennen, der die besten Chancen habe, CDU und CSU zur stärksten Fraktion im nächsten Bundestag zu machen, so Müller. Dass sich jetzt zunächst in den Parteigremien ein Bild über die Stimmung gemacht werde, hält Müller für richtig. „Einsame Entscheidungen zu fällen, zeugt in der Regel nicht von Entschlossenheit.“

Bekannt für seine klare Analyse: Der Politikwissenschaftler Ulrich Menzel, langjähriger Leiter des Instituts für Sozialwissenschaften der TU Braunschweig.
Bekannt für seine klare Analyse: Der Politikwissenschaftler Ulrich Menzel, langjähriger Leiter des Instituts für Sozialwissenschaften der TU Braunschweig. © Braunschweiger Zeitung | Bernward Comes

Würde die Union nur mit Blick auf Umfragen und Siegchancen ihren Kandidaten nominieren, gäbe es an Söder kein vorbeikommen, sagt Politikwissenschaftler Menzel. Dieser habe in der Pandemie von Anfang an eine harte Linie gefahren und auf Vorsicht gesetzt. „Diese Position hat immer noch eine Mehrheit in der Gesellschaft.“ In Krisenzeiten setzten die Menschen auf starke Persönlichkeiten und nicht auf Moderation, für die eher Laschet stehe. Menzel ist sich sicher: „Würde in der Fraktion abgestimmt, hätte Söder gute Chancen, sich durchzusetzen.“

„Herkunft? Denkmuster von gestern“

Davon geht auch Claas Merfort, stellvertretender CDU-Landesvorsitzender in der Region, aus. Er selbst habe eine Präferenz zugunsten des CSU-Chefs. „Ich halte die Frage, ob jemand aus Bayern oder Franken Mehrheiten auch in anderen Landesteilen erringen kann, für Fragen, die aus der Zeit gefallen sind.“ Menschen nur nach ihrer Herkunft und nicht nach ihren Fähigkeiten zu beurteilen, sei immer der falsche Weg, auch in der Politik. „Das sind Denkmuster von gestern, die auch an unserer Parteibasis keine Mehrheiten besitzen.“

In Goslar sitzt einer, der wahrscheinlich wie kein zweiter in unserer Region die Befindlichkeiten in beiden Parteien kennt. Oliver Junk, Oberbürgermeister in Goslar, lebte lange in Bayern, studierte, promovierte und arbeitete dort. Er gewann die Wahl in der Stadt im Nordharz noch als CSU-Mitglied, bevor er im Juni 2014 in die CDU Niedersachsen eintrat. Junk wollte sich auf Anfrage unserer Zeitung zu der Kandidatenfrage der Union noch nicht äußern. Gründe dafür nannte eine Sprecherin der Stadt nicht.