Braunschweig. Landesweit registriert das Gesundheitsministerium mittlerweile mehr als 20.000 Impfungen täglich. Das gilt aber nur unter der Woche.

Sie berichten, dass Ministerpräsident Weil davon ausgeht, dass in Niedersachsen demnächst pro Tag etwa 20.000 Personen geimpft werden können. Ein sehr guter Impfschutz ist erst nach der zweiten Impfung zu erwarten. Bei mehr als 7 Millionen Einwohnern wären das mehr als 14 Millionen Impfungen. Bei 20.000 Impfungen täglich bräuchten wir dann noch etwa 2 Jahre, bis alle Niedersachsen ausreichend geimpft sind. Kann das sein, oder wo ist der Fehler in der Rechnung?

Das fragt unser Leser Michael Borchert aus Braunschweig

Zu dem Thema recherchierte
Dirk Breyvogel

Die Aussage von Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) liegt nun knapp zwei Wochen zurück. Unserer Zeitung sagte er am 25. Februar: „Wir werden uns zeitnah bei mehr als 20.000 Impfungen pro Tag einpendeln und dann immer weiter steigern.“ Das Landesgesundheitsministerium bestätigte am Dienstag, dass man das ausgegebene Ziel erreicht und überschritten habe. Zuletzt seien an mehreren Tagen hintereinander weit über 20.000 bis nah an die 30.000 Personen geimpft worden. In diesem Fall rechnet das Ministerium die Zahl der Erst- und Zweitimpfungen zusammen.

Niedersachsen liegt bei den Zweitimpfungen an letzter Stelle.
Niedersachsen liegt bei den Zweitimpfungen an letzter Stelle. © Jürgen Runo | Jürgen Runo

Betrachtet man Niedersachsen im Ländervergleich hat insbesondere eine Zahl Verbesserungspotenzial. Bei den Zweitimpfungen ist Niedersachsen nach Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) mit einer Quote von 2,6 Prozent weiter das Schlusslicht.

Bei den Erstimpfungen weisen nur Sachsen-Anhalt und Brandenburg eine schlechtere Geimpften-Bilanz auf. (Stand der Meldung beim RKI, 9 März, 8 Uhr)

Augenscheinlich ist: Insbesondere am Sonntag wird in Niedersachsen weit weniger Impfstoff in den landesweit 50 Testzentren verimpft als in anderen Flächenländer mit einer vergleichbaren oder einer geringeren Einwohnerzahl. So kommt Hessen am 6. März auf fast 14.000 Impfungen, während das RKI für Niedersachsen 1648 Impfungen meldet, nur 476 Personen wurden erstgeimpft. Auch in Rheinland-Pfalz bleiben an diesem Sonntag viele Spritzen ungenutzt. Das westdeutsche Flächenland weist noch geringere Impfzahlen als Niedersachsen auf, hat aber eine deutlich höhere Impfquote auf.

Was ist anders in Niedersachsen?

Impfungen am Sonntag sind auf einem sehr geringen Niveau in Niedersachsen.
Impfungen am Sonntag sind auf einem sehr geringen Niveau in Niedersachsen. © Jürgen Runo | Jürgen Runo

Eine Sprecherin des Gesundheitsministeriums in Hannover spricht von 1900 Personen, die landesweit an diesem Sonntag geimpft worden seien. Die Region Braunschweig sei dabei „eher noch unterrepräsentiert gewesen“. Das Problem ist dem Ministerium seit längerem bekannt. Schon am 2. März hatte die stellvertretende Krisenstabsleiterin, Claudia Schröder, in der Corona-Landespressekonferenz zugeben müssen, dass auch sonntags zuvor landesweit „fast gar nicht geimpft“ worden sei. Ziel müsse es sein, auch die Wochenenden voll zu nutzen. Noch würden viele Kommunen und Städte diesen Wochentag aber nicht mit Terminen „beplanen“, so Schröder.

Regierungssprecherin Anke Pörksen ergänzte Schröders Ausführungen, man müsse an die Kommunen appellieren, hier mehr Tempo zu machen. „Wir haben aber als Land nicht den direkten Durchgriff wie es beispielsweise in dem Stadtstaat Hamburg der Senat hat. Die Kommunen und Städte sind für Bereitstellung der Infrastruktur und damit auch für den Ablauf in den Testzentren verantwortlich“, verteidigte Pörksen das geringe sonntägliche Impfaufkommen im Vergleich zu den deutlich höheren Zahlen in der Hansestadt. Ein direkter Erlass, der die Kreise und kreisfreien Städte verpflichtet, das Impfangebot nochmal auszuweiten, ist aber offenbar nicht vorgesehen. Denn noch bestünden Engpässe bei der Impfstofflieferungen fort.

Stadtsprecher: Zu wenig Impfstoff

Für die Stadt Braunschweig besteht weiter keine Notwendigkeit, das Impfzentren in der Stadthalle auch am Wochenende aufzuschließen. Man „synchronisiere“ die Kapazitäten mit der Impfstoff-Lieferung, teilte Stadtsprecher Rainer Keunecke auf Anfrage mit. „Wenn jetzt gesagt wird, warum impfen die Kommunen nicht am Wochenende, führt das in die Irre“, erklärt Keunecke. Man habe bisher noch gar nicht genug Impfstoff, um das tun zu können, erklärt er. In der Woche könne man mittlerweile auf sieben Impfstraßen das Vakzin verimpfen. Keunecke sagt: „Dadurch kann das Zentrum in Braunschweig erstmals deutlich über 1.000 Impfungen pro Tag vornehmen. Die Planungen sehen vor, die Impfkapazitäten im Vollbetrieb mit acht Impfstraßen weiter zu steigern, um, gemeinsam mit den acht mobilen Teams, die Zielmarke von 2.000 Impfungen pro Tag zu erreichen.“

Dass in andere Bundesländer mehr Impfdosen ausgeliefert wurden, ist ausgeschlossen, denn die Verteilung richtet sich nach dem Prinzip des Königsteiner Schlüssels. Er schaut nicht auf landesweite Inzidenzen, sondern richtet sich nach der Einwohnerzahl des Landes – und hier liegt Niedersachsen vor Hessen. Auch ist es wesentlich größer als Hamburg oder Thüringen, die allesamt sonntags mehr impfen.

Die Rechnung des Lesers

Konfrontiert mit der Rechnung des Lesers ist das Landesgesundheitsministerium zuversichtlich, schon in wenigen Wochen das Impfaufkommen erheblich zu steigern. Dort glaubt man nicht, dass das vom Leser errechnete Szenario einer zweijährigen Impfzeit eintritt. Helfen soll der Einstieg der Hausärzte in den Impf-Prozess. Wann dies flächendeckend geschieht, kann das Ministerium noch nicht sagen. Es verweist auf ausstehende Leistungen des Bundes. Sprecherin Anne Hage teilt schriftlich mit: „Der Bund muss hier noch die ambulante Versorgung über die vorhandene Arzneimittelversorgungsstruktur durch zugelassene Großhändler und Apotheken regeln. Übergangsweise werden die teilnehmenden Arztpraxen über die Impfzentren mit Impfstoff und dem für die Impfung notwendigen Impfbesteck beliefert.“ Auch Hage spricht von weiter nicht ausreichend Impfstoff, um allen Menschen schnell ein Angebot zu machen. Innerhalb von zehn Tagen sei aber die Anzahl der „Impfstraßen“ in den Zentren landesweit von 66 auf 100 gestiegen. Das zeige, das es voranginge.

Die neue Gesundheitsministerin Daniela Behrens (SPD) hofft, dass mit der Zulassung eines weiteren Impfstoffs der Prozess zusätzlich an Fahrt gewinnt. Damit werde nicht nur die Impfstoffmenge erhöht. Auch dass das Vakzin von Johnson&Johnson nur einmal gespritzt werden müsse, helfe, sagt sie am Dienstag, Behrens machte aber auch ihre Unzufriedenheit mit dem Impftempo deutlich. „Impfen, impfen, impfen“. So muss das Motto lauten. Niedersachsen befände sich immer noch im Krisenmodus.