Braunschweig. Die Deutsch-Japanische Gesellschaft unserer Region sammelte 320.000 Euro an Spenden für die Katastrophenregion und begleitet den Aufbau hautnah

Teruko Balogh-Klaus erinnert sich noch genau, wie am Nachmittag des 11. März 2011 ihr Telefon heiß klingelte – und die nächsten Tage nicht mehr stillstand. Unter den Anrufern, die die Präsidentin der Deutsch-Japanischen Gesellschaft (DJG) Braunschweig-Peine-Wolfsburg dringend sprechen wollten, waren neben Medienvertreter massenhaft Menschen aus unserer Region, die ihre Hilfe anboten – von Geldspenden bis hin zum Gästezimmer für obdachlos gewordene Japaner.

Kurz vorher waren die ersten schockierenden Bilder der tödlichen Flutwelle gesendet worden, die Nordostjapan verwüstete und, wie wir heute wissen, mehr als 20.000 Menschen das Leben kostete. Und die, die mit dem blanken Leben davonkamen, hatten oft alles verloren. Auch wenn der Reaktorunfall in Fukushima, an den viele Deutsche im Zusammenhang mit dem Tsunami zuerst denken, „unvergessen“ bleibt, wie sie sagt, stehen für die Gifhornerin im Vordergrund des Erinnerns die menschlichen Katastrophen.

Sogar Kindergartenkinder wollten helfen

Noch heute ist sie gerührt von der Hilfsbereitschaft, die sie und ihre Landsleute damals erlebten. Auch dank eines gemeinsamen Spendenaufrufs mit dieser Zeitung kamen in unserer Region 320.000 Euro an Spenden zusammen, mit der die DJG sechs ausgewählte Projekte unterstützte – angefangen beim Waisenhaus in der Kleinstadt Minamisanriku, über Unterrichtsmaterialien und Aufbauhilfen für Schulen und Universitäten bis hin zu Süßigkeiten für die Kleinsten.

Trügerische Normalität – 10 Jahre nach Fukushima

Denn sogar Kindergartenkinder in unserer Region wollten damals helfen. Sie malten Bilder, erhielten dafür einen Obolus von den Eltern und spendeten das Geld, um ihre Altersgenossen im Katastrophengebiet mit Süßem zu versorgen. Balogh-Klaus organisierte alles. Dazu gehörte auch, Fotos über den halben Erdball auszutauschen. Schließlich sollten die Kinder auf beiden Seiten der Hilfsaktion sehen, mit wem sie zu tun haben.

Umgang mit der Zerstörung der Schule

„Wir waren eine der DJGs in Deutschland, die am schnellsten und am meisten geholfen haben“, sagt die Gifhornerin heute stolz. Und vermutlich auch am längsten: Die letzte Teilsumme aus dem Spendentopf floss noch 7 Jahre nach der Katastrophe nach Japan – an das traumatherapeutische Tanzprojekt einer Schule.

Schulleiter Junichi Sato (rechts) 2013 zusammen mit einem Lehrerkollegen und Schülerinnen aus der Trommelgruppe.
Schulleiter Junichi Sato (rechts) 2013 zusammen mit einem Lehrerkollegen und Schülerinnen aus der Trommelgruppe. © Privat

Mit künstlerischen Ausdrucksformen, die Kindern helfen, das Erlebte zu verarbeiten, kannte sich Balogh-Klaus da schon aus – auch durch den Kontakt zu Junichi Sato. Der war 2011 Rektor der Mittelschule in der stark zerstörten Küstengemeinde Ogatsu. „Die Schule war nur noch Schutt“, berichtet Sato, mit dem Balogh-Klaus zur Vorbereitung für diesen Artikel telefoniert hat. Trotzdem habe er drei Tage vor Ort ausgeharrt, bis er das Schicksal aller 77 Schüler klären konnte. Obwohl die Katastrophe in der 5000-Einwohner-Gemeinde 280 Todesopfer forderte, waren wie durch ein Wunder alle Schüler körperlich unversehrt. In der Seele der Kinder, die teils beide Eltern verloren hatten, sah es freilich anders aus. „Wie kann ich ihnen die Lebenskraft wiedergeben“, habe er sich gefragt.

Abstand vom Katastrophenalltag

„Körperliche Betätigung“ lautete seine Antwort. Zusammen mit den Schülern habe er Autoreifen aus den Trümmern geborgen und mit robuster Plastikfolie bespannt. Aus Billigläden besorgten sie sich große Holzkochlöffel als Schlegel. Fertig war die Grundausstattung für die Trommelgruppe „Fukkô-Daiko“ („Aufbau-Trommel“). Schon wenige Monate nach der Katastrophe traten sie erstmals in Tokio auf. Teruko Balogh-Klaus, die ein Video sah, war sofort begeistert und lud die 31-köpfige Gruppe von 12- bis 14-Jährigen umgehend ein. Im Frühjahr 2012 spielten sie fünf fulminante Konzerte – in Goslar, Wolfsburg, Braunschweig, Hannover und sogar im Auswärtigen Amt in Berlin.

Der Besuch von Sato und seinen Schülern in Deutschland, immerhin ein kurzzeitiger Abstand vom Katastrophenalltag, habe den Kindern geholfen, den Schmerz zu verarbeiten, ist sich Balogh-Klaus sicher. Vor allem aber wirkte das gemeinsame Musizieren therapeutisch. „Beim Trommeln ist alles möglich“, erklärt sie. „Man kann Freude bereiten, aber auch Wut rauslassen. Und das Wichtigste: Man kann sich stark und frei fühlen.“ Außerdem konnten die Kinder mit den Konzerten „Danke“ sagen.

„Wie ein Abschluss für Herrn Sato“

2019 war Schulleiter Sato, der dieses Jahr in den Ruhestand geht, wieder zu Besuch in Deutschland. Seinem Wunsch folgend organisierte Gastgeberin Balogh-Klaus einen Ausflug nach Goslar. „Er wollte zurück an den Ort, wo Fukkô-Daiko ihr erstes Konzert in Deutschland gespielt hatten“, berichtet sie. Acht Jahre nach der Tsunami-Katastrophe, habe sie das Gefühl gehabt: „Dieser Spaziergang durch die Goslarer Innenstadt – das war wie ein Abschluss für Herrn Sato.“