Braunschweig. Das Pflege- und Seniorenzentrum Bethanien setzt bereits erfolgreich Antigen-Tests in der Corona-Krise ein. Doch der Aufwand ist groß.

Das Stäbchen kratzt etwas, als Ines Kempf es behutsam im Rachen dreht. „Entspannen Sie sich“, sagt sie. „Schon vorbei.“ Ihre Augen formen sich zu einem Lächeln über der weißen Schutzmaske . Die Pflegefachkraft zieht das Stäbchen aus dem Mund und steckt es in ein Röhrchen, das mit einer Flüssigkeit gefüllt ist. Dann träufelt sie wenige Tropfen auf einen Teststreifen . Fertig. Nach ein paar Minuten zeigt ein Strich, ob die genommene Probe ausreicht, um ein verlässliches Ergebnis zu liefern. Und nach weiteren 15 Minuten ist das Ergebnis da. Ines Kempf zeigt auf den Teststreifen: „negativ“. Dem Besuch im Braunschweiger Senioren- und Pflegezentrum Bethanien steht nichts mehr im Weg.

Für Ines Kempf sind diese Rachen-Abstriche längst zur Routine geworden: Im neu eingerichteten Testzentrum im ersten Stock des Heims nimmt sie laufend Proben aus dem Rachen von Mitarbeitern. Das Pflegeheim Bethanien ist eines der ersten in Braunschweig, das Antigen-Schnelltests einsetzt, um eine Ausbreitung des Corona-Virus in der Einrichtung zu verhindern. Als Mitte Oktober mit der neuen Corona-Testverordnung des Bundes der Weg für solche Tests in Pflegeheimen oder Krankenhäusern frei war, stand die Einrichtung schon in den Startlöchern. „Wir haben frühzeitig 6000 Schnelltests bestellt und bereits am 23. Oktober mit den Tests losgelegt“, sagt Geschäftsführer Ulrich Zerreßen.

Schnelltests liefern nur eine Momentaufnahme

Tatsächlich gehören Alten- und Pflegeheime in der Corona-Krise zu den besonders gefährdeten Einrichtungen, weil die Bewohner schon allein aufgrund ihres hohen Alters zur Risikogruppe gehören. Bilder wie die aus dem Hanns-Lilje-Heim in Wolfsburg, in dem seit Beginn der Pandemie fast 50 Menschen an den Folgen von Covid-19 starben, haben auch die Mitarbeiter von Bethanien stark bewegt: Das Virus ins Heim zu tragen – eine Horror-Vorstellung, sagt Zerreßen. Mit den Schnelltests sei das Risiko zwar nach wie vor da. Auch sie lieferten nur eine Momentaufnahme – „aber sie geben trotzdem mehr Sicherheit“. Und schärften das Bewusstsein für den Umgang mit dem Virus. Was auch dazu führe, dass man noch stärker auf die Hygieneregeln achte.

Wer das Senioren- und Pflegezentrum auf dem Gelände des Marienstifts betritt, muss erst schriftlich bestätigen, mit einem Test einverstanden zu sein. Eine Mitarbeiterin am Empfang verteilt saubere Mundschutz-Masken und einen Kittel, jeder muss Hände desinfizieren, dann geht es ins Testzentrum. Das der Mitarbeiter befindet sich im ersten Stock. Zweimal wöchentlich steht ein „T“ wie Testtag in ihrem Kalender. Steigt der Inzidenzwert über 100, müssen sie sich sogar noch öfter testen lassen. Für Angehörige gibt es ein zweites Testzentrum im Erdgeschoss. Ohne telefonische Anmeldung sind für sie keine Besuche möglich, Termine werden im Zehn-Minuten-Takt vergeben, damit keine langen Schlangen entstehen. Jeder Bewohner darf zweimal in der Woche Besuche empfangen, für jeweils 45 Minuten.

Alle 238 Bewohner der Einrichtung sind inzwischen getestet worden

Auch Ärzte, Therapeuten, Podologen, Fußpfleger, Friseure, Handwerker und Lieferanten müssen sich einem Schnelltest unterziehen, wenn sie keinen aktuellen negativen Corona-Test vorlegen können. Inzwischen sind auch alle 238 Bewohner der Einrichtung getestet worden. Fachkräfte waren dafür teils mit mobilen Teststationen unterwegs, die von Zimmer zu Zimmer gerollt werden. Ein enormer Aufwand, ein Kraftakt. „Aber es gibt keine Alternative, da die uns anvertrauten Menschen und auch unsere Mitarbeitenden eines hohen Schutzes bedürfen“, ist Zerreßen überzeugt. Er weiß: Kommt das Virus ins Heim, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es Tote gibt. Die Testergebnisse bei den Bewohnern waren alle negativ.

Nur wenige Meter von dem Testzentrum im Erdgeschoss entfernt, in der Cafeteria, sitzt eine Reinigungskraft und wickelt ihr Pausenbrot aus einer Papiertüte. „Die Angst war immer da“, sagt sie. „Wir begegnen bei unserer Arbeit ja vielen Bewohnern.“ Was ist, wenn man sie unwissentlich anstecke? Seit sie regelmäßig getestet wird, fühle sie sich sicherer.

Schnelltests als neue Hoffnungsträger in der Krise – es sind Szenen wie diese, die das zu bestätigen scheinen. Nicht umsonst hat Lothar Wieler, Chef des Robert-Koch-Instituts (RKI), das Thema mit Bedeutung aufgeladen: Antigen-Tests, sagte er jüngst in einem Podcast des NDR, hätten das Potenzial, die Corona-Situation entscheidend zu verändern: „Darauf warten und hoffen sehr, sehr viele Leute.“

Um Schnelltests einsetzen zu können, müssen Heime ein Testkonzept vorlegen

Um an die Tests zu gelangen, müssen Pflegeheime und andere Einrichtungen des Gesundheitswesens allerdings einige Bedingungen erfüllen. Voraussetzung ist zunächst, dass ein Test-Konzept vorliegt. Auf dieser Grundlage legt das zuständige Gesundheitsamt fest, wie viele Antigen-Tests eine Einrichtung beschaffen kann, beziehungsweise wie viele von den Pflege- oder Krankenkassen finanziert werden. Die Menge ist abhängig von der Zahl der Menschen, die in der Einrichtung behandelt, betreut, gepflegt oder untergebracht werden. Ein Antigen-Schnelltest kostet laut Zerreßen zurzeit sieben Euro brutto. Pro Bewohner könnten bis zu 20 Tests im Monat refinanziert werden. Die Beschaffung der Tests müssen die Einrichtungen selbst übernehmen.

Auch braucht es nicht nur ausreichend Schnelltests, sondern genug Personal. Angelernte Hilfskräfte dürfen diese Tests nicht durchführen, sondern nur ausgebildete Pflegefachkräfte – so steht es in der Test-Verordnung des Bundesgesundheitsministers. Allein in Bethanien sind derzeit 3,5 Vollzeitkräfte damit beschäftigt, im Monat rund 3000 Tests durchzuführen. Weil dieses Personal in der Pflege fehlt, wurde es dort durch Zeitarbeitskräfte ersetzt. Dadurch entstehen dem Heim mehr Kosten, sagt Zerreßen. Wer diese trägt, ist noch offen. „Wir hoffen, dass so entschieden wird, dass der Personaleinsatz für die Testungen refinanziert wird.“ Auch der Schulungsaufwand ist enorm. „Wir haben alle Abläufe immer wieder erprobt“, sagt Pflegedienstleiterin Ariane Stanko. Dabei ging es auch um vermeintlich einfache Fragen wie: Wo werden die Dokumentationsbögen abgelegt, damit sie nicht durcheinander geraten oder wo die benutzten Kugelschreiber? Jeder Handgriff muss sitzen.

Die Hygieneregeln gelten im Pflegeheim nach wie vor

Dass sich der Aufwand lohnt, daran hat Geschäftsführer Zerreßen keinen Zweifel. Wenn sich die Mitarbeiter weniger Sorgen machen, wirke sich das positiv auf das Betriebsklima aus; es gebe weniger Krankmeldungen. Und er nennt noch ein Beispiel: Im Pflegeheim St. Vinzenz, das wie Bethanien ebenfalls zur Stiftung Neuerkerode gehört, hatte ein Antigen-Schnelltest ein positives Ergebnis angezeigt. Betroffen war ein Mitarbeiter eines unternehmenseigenen Dienstleisters. „Er wurde sofort nach Hause geschickt.“ 52 Kontakte seien ermittelt, alle Kontaktpersonen sofort getestet worden, alle seien negativ gewesen. „Unbemerkt wäre der Mann womöglich schnell zum Superspreader geworden“, sagt Zerreßen.

Antigen-Tests liefern zwar ein schnelles Ergebnis. Bei einer positiven Anzeige ist trotzdem immer noch ein sogenannter PCR-Test nötig, der ein noch genaueres Ergebnis liefert. Und die wichtigen Regeln gelten weiter: Abstand halten, Hygiene beachten, Alltagsmaske aufsetzen, lüften. Das gilt auch für den Alltag im Pflegeheim Bethanien.