Braunschweig. Das Georg-Eckert-Institut untersucht palästinensische Schulbücher – und verteidigt sich gegen Vorwürfe. Das Terrain ist politisch vermint.

Diese Vorwürfe sind starker Tobak – Vorwürfe einer israelischen Nichtregierungsorganisation gegen das Braunschweiger Georg-Eckert-Institut (GEI): Bei einer Studie über palästinensische Schulbücher hätten die Forscher reihenweise offensichtliche Hetze gegen Juden und Israelis ignoriert. Marcus Sheff von der israelischen Organisation Impact-se nennt ein Dokument der Braunschweiger Forscher im Berliner Tagesspiegel „bizarr“ und zweifelt offen an ihrer Kompetenz.

Was ist geschehen?

Die Schulbuchforscher vom GEI untersuchen im Auftrag der Europäischen Union die Lehrbücher der Schulen in den Palästinensergebieten. Das Ziel ist, herauszufinden, wie die Bücher „Hass oder Gewalt, Friedensförderung oder religiöse Koexistenz thematisieren, welche Elemente einer gemeinsamen Verständigung, Toleranz sowie der Achtung der Menschenrechte gewidmet sind“. So schreibt es das GEI auf seiner Webseite. Hintergrund der Studie: Die EU unterstützt das palästinensische Bildungssystem und will das Pulverfass Nahost nicht durch problematische Lehrmittel angeheizt sehen.

Verdrehung historischer Fakten

Dass dies dennoch weiter geschieht, zeigt der Tagesspiegel mit seiner Recherche: Hinweise auf Friedensbemühungen fehlten in den aktuell gültigen Bänden völlig, schreibt das Blatt. „Dafür ziehen sich die vermeintliche Boshaftigkeit der Juden und die Notwendigkeit, sie aus der gesamten Region zu vertreiben, wie ein roter Faden durch sämtliche Jahrgänge. Dabei werden auch historische Fakten verdreht.“

Das Georg-Eckert-Institut – Leibniz-Institut für internationale Schulbuchforschung in Braunschweig.
Das Georg-Eckert-Institut – Leibniz-Institut für internationale Schulbuchforschung in Braunschweig. © regios24 | Stefan Lohmann

Als Beleg zitiert die Zeitung ein Lehrwerk, das die Klagemauer in Jerusalem als rein islamische Stätte präsentiert: „Ausschließlich die Gläubigen Allahs haben ein Anrecht darauf.“ Die Bedeutung des Bauwerks für das Judentum wird in dem Buch mit einem angeblichen Täuschungsmanöver erklärt: Die Israelis hätten nach 1967 ein paar Steine der Mauer geraubt und diese durch Fälschungen ersetzt, damit es aussehe, als habe es hier bereits früher jüdisches Leben gegeben.

„Zwischenbericht“: positive Entwicklung

Statt derartige Geschichtsfälschungen aufzuzeigen, kritisiert Impact-se, seien die GEI-Forscher zum – entgegengesetzten – Schluss gekommen und hätten den Lehrbüchern eine positive Entwicklung attestiert. Die palästinensischen Schulbücher stachelten nicht zum Hass auf, sondern förderten die Koexistenz zwischen Palästinensern und Israelis sogar. Diese Einschätzung liefere ein 177-seitiger „Zwischenbericht“.

Hinzu kommt: Den Autoren des GEI-Dokuments ist offenbar ein peinlicher Fehler unterlaufen. Passagen, die sie positiv herausheben, stammten tatsächlich nicht aus den Lehrwerken der Autonomiebehörde, sondern aus arabischsprachigen Büchern, die in den israelisch besetzten Palästinensergebieten verwendet werden, moniert die NGO.

Eckert-Institut-Direktor Fuchs: Die finale Studie zählt

Prof. Eckhardt Fuchs, Direktor des Georg-Eckert-Instituts, Anfang Oktober bei einer Diskussionsveranstaltung in der Braunschweiger Stadthalle.
Prof. Eckhardt Fuchs, Direktor des Georg-Eckert-Instituts, Anfang Oktober bei einer Diskussionsveranstaltung in der Braunschweiger Stadthalle. © Braunschweiger Zeitung | Comes

Den Vorwurf wissenschaftlicher Nachlässigkeit weist Eckhardt Fuchs dennoch vehement zurück. „Das, was jetzt durch die Presse gegangen ist, hat mit einem Zwischenbericht nichts zu tun“, erklärt der Direktor des GEI. Bei dem Dokument, das seinen Weg ins Netz gefunden habe und im August von Impact-se verbreitet wurde, handele es sich um ein „internes Diskussionspapier eines Projektmeetings“. Dieses, so Fuchs, habe „nie den Status eines wissenschaftlichen Berichts oder methodisch ausgereifter Ergebnisse“ für sich beansprucht.

Auf die erhobenen Vorwürfe möchte Fuchs nicht im Einzelnen eingehen. „Das halte ich nicht für sinnvoll“, sagt er unserer Zeitung. Anders werde es sein, wenn die finale Studie veröffentlicht ist – voraussichtlich Anfang 2021. „Dann stellen wir uns gern allen Fragen und Diskussionen, das ist doch selbstverständlich.“ Dass dann kontrovers weiter gestritten werde, sei angesichts der vielfältigen Konflikte in dieser Region absehbar, so der Historiker. „Aber damit können wir gut leben, eben weil wir wissenschaftlich solide arbeiten.“

„Bestreiten des Existenzrechts von Israel inakzeptabel“

Fuchs, der auch Vorsitzender der Deutsch-Israelischen Schulbuchkommission ist, betont: Aufrufe zur Gewalt oder das Bestreiten des Existenzrechts von Israel in Schulbüchern seien völlig inakzeptabel. Das GEI befasst sich seit Jahrzehnten mit Schulbüchern und Versöhnung, auch im Nahen Osten. Eine Erfahrung daraus ist laut Fuchs: „Man kann von Schulbüchern nicht erwarten, dass sie regionale Konflikte lösen. Sie spiegeln diese Konflikte vielmehr und können nur dazu beitragen, diese anzuheizen oder abzumildern.“

Der israelische Historiker Moshe Zimmermann, den unsere Zeitung um eine Einschätzung gebeten hat, rät, den Vorwürfen der israelischen NGO mit Vorsicht zu begegnen. Israel versuche systematisch, EU-Hilfen für Palästinenser in den von Israel besetzten Gebieten zu blockieren, auch im Erziehungsbereich. Die palästinensischen Lehrinhalte seien hierfür „eine leichte Beute und ein bequemer Vorwand.“ Obwohl in den Schulbüchern zweifellos anti-israelische, „gelegentlich auch religiös-motiviert judenfeindliche Aussagen“ enthalten seien, warnt er davor, diese „pauschal und automatisch als antisemitisch darzustellen“. Genau diese Taktik wende die Regierung unter Benjamin Netanjahu an, um die palästinensische Seite zu diskreditieren.

Der israelische Historiker Moshe Zimmermann sagt: Die palästinensischen Lehrinhalte seien „eine leichte Beute und ein bequemer Vorwand, um gegen EU-Hilfen für die Palästinenser zu argumentieren. Unser Foto zeigt ihn 2006 bei der Verleihung des Lessing-Preises in Wolfenbüttel.
Der israelische Historiker Moshe Zimmermann sagt: Die palästinensischen Lehrinhalte seien „eine leichte Beute und ein bequemer Vorwand, um gegen EU-Hilfen für die Palästinenser zu argumentieren. Unser Foto zeigt ihn 2006 bei der Verleihung des Lessing-Preises in Wolfenbüttel. © Archiv / Wöstmann

Der emeritierte Professor empfiehlt seinen Landsleuten stattdessen, kritisch in die eigenen Lehrbücher zu schauen. „Auch israelische Freiheitskämpfer, die gegen die englische Mandatsmacht und gegen Araber Terroranschläge verübt haben, werden in Israel gefeiert und nicht als Terroristen behandelt.“

Historiker Zimmermann: gemeinsame Kommission sinnvoll

Zimmermann war langjähriges Mitglied der Deutsch-Israelischen Schulbuchkonferenz, in der sich Fachleute beider Seiten über die Darstellungen in den Lehrbüchern austauschen. Er kann sich gut vorstellen, dass Deutschland oder die EU eines Tages eine ähnliche Kommission auch für den Austausch mit den Palästinensern schaffe. „Das wäre aus meiner Sicht der geeignete Rahmen, um sich mit Inhalten der besagten Geschichtsbücher zu befassen.“ Außerdem, so Zimmermann, könne ein solches gemeinsames Gremium kontrollieren, wohin im palästinensischen Bildungssystem die europäischen Unterstützungsgelder flössen.

Dass in den palästinensischen Schulbüchern „auch Vorurteile, Unwahrheiten und dubiöse historisch Interpretationen“ gelehrt werden, wundert den israelischen Historiker nicht. Man dürfe nicht vergessen, dass es sich bei den Bewohnern der Autonomiegebiete um eine Gesellschaft unter Besatzung handele. „Um solche schädlichen Lehrinhalte zu bekämpfen, wäre eine gemeinsame israelisch-palästinensische Kommission der erste Schritt“, sagt er. „Wäre ich Israels Erziehungsminister, hätte ich mich darum bemüht – und nicht um den Kampf gegen die Unterstützung der EU für die Palästinenser.“