Schöningen. Niedersachsens Wissenschaftsminister Björn Thümler (CDU) erklärt im Interview, wie er sich die Zukunft des „Paläon“ vorstellen könnte.

Die Schöninger Speere gelten als einer der bedeutendsten archäologischen Funde der Welt. Sie beweisen, dass Menschen sehr viel früher in der Lage waren, mit Waffen organisiert zu jagen, als das bis zu dem Fund im Schöninger Braunkohle-Tagebau für möglich gehalten worden war. Wir sprachen mit dem niedersächsischen Minister für Wissenschaft und Kultur, Björn Thümler (CDU) über die Zukunft des Forschungsstandortes und des Speere-Museums.

Herr Minister, die Freude darüber, dass die Landesregierung das Forschungsmuseum Schöninger Speere finanziell stabilisiert hat, ist der Ernüchterung gewichen. Die Besucherzahlen sind deutlich zurückgegangen. Wie geht es weiter?

Minister Björn Thümler, hier bei der Eröffnung des Forschungsmuseums im Juli 2019 in Schöningen.
Minister Björn Thümler, hier bei der Eröffnung des Forschungsmuseums im Juli 2019 in Schöningen. © regios24 | Darius Simka

Gestatten Sie mir einen kurzen Blick zurück, bevor wir zusammen in die Zukunft gehen. Die realen Besucherzahlen deckten sich, auch bevor das Land das Forschungsmuseum Schöningen übernommen hat, nicht mit denen, die externe Agenturen prognostiziert hatten. Und dafür gibt es natürlich Gründe: Der Blick auf ganz Niedersachsen zeigt – Museen in Großstädten haben es leichter Besucher zu gewinnen, als Museen auf dem Land; monothematische Museen haben es schwerer Besucher dauerhaft anzuziehen als Museen mit einem breiten Spektrum. Und dann kam auch noch Corona – und ist nicht spurlos am Forschungsmuseum Schöningen vorbeigegangen, Schulfahrten zum Beispiel dürfen nicht mehr stattfinden. Der Abstand zwischen den regionalen Erwartungen und den tatsächlichen Besuchszahlen ist groß. Deshalb entwickeln wir jetzt mit unseren Partnern Zukunftsstrukturen und sind unter anderem mit Senckenberg in intensive Gespräche eingestiegen.

Senckenberg kann Forschung und Museum. Warum nicht gleich so? War es nicht absehbar, dass ein Landesamt für Denkmalpflege kaum in der Lage sein würde, ein Museum offensiv zu führen?

Sie erinnern sich bestimmt daran, wie umstritten die erste Vereinbarung mit Senckenberg in der Region war. Träger des Paläon war damals die Paläon GmbH. Das Niedersächsische Landesamt für Denkmalpflege (NLD) hat die Regie im Juli 2019 kurzfristig übernommen, um die Einrichtung überhaupt zu erhalten. Dafür bin ich dem NLD außerordentlich dankbar. Aber jetzt ist die Zeit reif für einen nächsten Schritt.

Was antworten Sie denen, die den Ausverkauf des Kulturgutes Schöninger Speere an Senckenberg befürchten? Wäre nicht auch eine Lösung im Kontext der Landesmuseen denkbar gewesen?

Eine Lösung im Kontext der Landesmuseen wäre natürlich denkbar gewesen. Aber Forschung – und vor allem Spitzenforschung – ist immer international angelegt. Der Bedeutung dieser Fundstelle im ehemaligen Braunkohletagebau sind Interdisziplinäre Forschungsgruppen angemessen. Und natürlich sind auch regionale Kapazitäten wie zum Beispiel Professorin Schwalb von der TU Braunschweig eingebunden. Und ganz klar ist – das Eigentum des Landes Niedersachsen an den einzigartigen Funden und Befunden aus Schöningen stand niemals zur Debatte. Das ist eindeutig auch im Niedersächsischen Denkmalschutzgesetz geregelt.

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Werden Sie die Bewerbung der Speere als Unesco-Welterbe betreiben? Ihrer Bedeutung nach müssten sie Chancen haben.

Ja, wir sind der Auffassung, dass eine Anmeldung der Fundstelle als Welterbe zukunftsorientiert ist. Ich selbst bin vielleicht ein bisschen voreingenommen, aber internationale Fachleute unterstützen meine Ansicht, dass diese einzigartige Fundstelle zur frühen Menschheitsgeschichte, die Bedeutung erhalten muss, die ihr zukommt. Der Antrag wird in den nächsten Monaten von NLD und Senckenberg gemeinsam erarbeitet.

Die GmbH, die bisher Träger des Paläon war, hat einen Auflösungsbeschluss gefasst. Geht damit die Unterstützung der Region für das Projekt verloren? Ohne das Engagement eines IHK-Ehrenpräsidenten Schmid und seiner Mitstreiter wäre das Paläon kaum denkbar.

Herr Dr. Schmid und auch der Förderverein haben sich hohe Verdienste um Aufbau und Wahrnehmung des Forschungsmuseums Schöningen erworben. Wir haben größtes Interesse daran, dass die Region an Bord bleibt. Natürlich spreche ich früh und vertrauensvoll mit den wichtigen Akteuren vor Ort. Und Herr Dr. Schmid wird Mitglied des Beirats für die Zukunftsentwicklung des Standortes Schöningen, Prof. Hagebölling wird voraussichtlich den Vorsitz übernehmen.

Viele sagen, das Paläon habe einen der bedeutendsten archäologischen Funde, preisgekrönte Architektur – aber es fehle ihm an Umfeld. Sie haben zuletzt mehrfach Ihrer Begeisterung für das „Eden Project“ im britischen Cornwall Ausdruck verliehen. Dort ist in einer stillgelegten Kaolingrube die Vegetation der Welt zu bestaunen. Bis zu einer Million Menschen tun das jährlich und bezahlen umgerechnet mehr als 15 Euro Eintritt. Kann das ein Vorbild sein?

Es ist ein Vorbild für die großen Optionen in Schöningen. In beiden Fällen sind die Standorte eher abgelegen, es sind beides ehemalige Tagebaue. Hier in Schöningen haben wir sogar noch ein riesiges Prä – weil im Profil des Tagebaus ein Klimaarchiv der letzten Jahrhunderttausende offen liegt. Am Grund des Tagebaus finden sich mit den Palmenstümpfen des Eozäns die Tropen. Darüber lassen sich die Warmzeiten, die Eiszeiten genau ablesen. An diesem Profil lässt sich die Klimaveränderung der Vergangenheit nachvollziehen.

Wie soll das Projekt gegebenenfalls finanziert werden? Wäre die Hilfe für das Kohlerevier hier gut angelegt?

Es wäre eine Möglichkeit, im Rahmen der Bundesförderung Projekte zu entwickeln. Eine große Lösung könnte viele Besucher bringen, die dann auch die regionale Wirtschaft antreiben könnten.