Braunschweig. Niemand muss befürchten, bei einer Covid-19-Erkrankung im Notfall nicht künstlich beatmet zu werden, sagen Mediziner im Interview.

Eine Patientenverfügung regelt, wie Ärzte handeln sollen, wenn der Patient nicht mehr selbst entscheiden kann. In Corona-Zeiten sind nun viele verunsichert: Eine künst­liche Beatmung am Lebens­ende lehnen etliche ab. Doch im Notfall möchten sie bei einem schweren Covid-19-Verlauf vielleicht doch beatmet werden. Im Interview erklären Dr. Erhard Kellner vom Vorstand der Hospizarbeit in Braunschweig und Professor Peter Werning, Chefarzt der Anästhesiologie am Städtischen Klinikum in Braunschweig, warum es dennoch nicht nötig ist, seine Patientenverfügung zu ändern.

Wenn ich in meiner Patientenverfügung festgehalten habe, dass ich eine künstliche Beatmung ablehne und nun an Covid-19 erkranke – muss ich dann Sorge haben, nicht mehr behandelt zu werden?

Prof. Werning: Ich verstehe die Verunsicherung in diesen Zeiten. Aber es gibt eine klare Antwort: nein. Es hat sich an den rechtlichen Grundlagen, an unseren Werten und Normen im Zusammenhang mit medizinischer Versorgung und Behandlung nichts geändert. Wer an Covid-19 erkrankt ist, wird genauso behandelt wie andere Patienten.

Wäre nicht wenigstens eine zusätzliche Erwähnung in der Patientenverfügung sinnvoll?

Dr.Kellner: Grundsätzlich gilt: Wer noch entscheidungsfähig ist, wird mit seinem Arzt über die Notwendigkeit einer Behandlung sprechen. Er wird zum Beispiel auch die Vor- beziehungsweise Nachteile einer invasiven Beatmung in seinem individuellen Fall erläutern. Der Patient kann dann entscheiden, ob solch eine Behandlung für ihn infrage kommt. Patientenverfügungen gelten für den Fall, dass man nicht mehr selbst Entscheidungen treffen kann. Dann gilt das, was Sie schriftlich festgehalten haben. Dies aber auch nur dann, wenn Sie sich im Sterbeprozess befinden oder an einer lebensbegrenzenden Erkrankung im fortgeschrittenen Stadium leiden.

Zum Beispiel, wenn ich an Covid-19 erkrankt bin?

Kellner: Nein. Covid-19 ist zunächst keine lebensbegrenzende Erkrankung. Es gibt zwar schwere Verläufe und auch Todesfälle im Zusammenhang mit Covid-19 – meist, wenn auch andere Vorerkrankungen vorliegen. Man muss sich aber vor Augen führen, dass die meisten Infizierten wieder genesen.

Was ist aber in dem Fall, wenn ich an Covid-19 erkrankt und nicht mehr entscheidungsfähig bin?

Kellner: Dann werden die Ärzte zunächst alles medizinisch Mögliche unternehmen, damit Sie wieder genesen. Mit den Angehörigen werden zudem entscheidende Fragen besprochen, wenn es zu einer intensivmedizinischen Behandlung kommen sollte: Wie eingreifend ist eine invasive Beatmung? Welche Folgen hat sie? Wie groß ist die Belastung etwa für ältere Menschen? Das ist individuell sehr unterschiedlich.

Herr Professor Werning: Wie eingreifend ist eine invasive Beatmung – also die künstliche Beatmung über einen Schlauch in der Luftröhre?

Werning: Die wichtigste Funktion der Lunge ist, den Gasaustausch sicherzustellen, also das Blut und damit unseren Körper mit Sauerstoff zu versorgen und Kohlendioxid aus dem Blut abzutransportieren. Wenn eine Störung vorliegt, gibt es zahlreiche Möglichkeiten der Behandlung: Neben der Inhalation kann man zum Beispiel Sauerstoffbrillen einsetzen, Gesichtsmasken oder Sauerstoffhelme. Nimmt die Schwere der Krankheit zu, kommt man irgendwann an einen Punkt, wo die Sauerstoffaufnahme oder die Entfernung von Kohlendioxid aus dem Körper nicht mehr gesichert ist und alle anderen Maßnahmen nicht mehr reichen. Wenn man nichts unternimmt, stirbt der Patient.

Die intensivmedizinische Beatmung an einem Beatmungsgerät ist also erst der letzte Schritt, wenn andere Maßnahmen keinen Erfolg haben?

Werning: Wir sprechen in diesem Fall von Menschen, die lebensbedrohlich erkrankt sind. Die invasive Beatmung ist für sie die letzte Chance. Man muss sich darüber im Klaren sein, dass sie ein schwerer Eingriff in den Körper ist, der oft nicht folgenlos bleibt. Der Patient wird dafür in ein künstliches Koma versetzt. Dann wird ein Schlauch in die Luftröhre eingesetzt, die sogenannte Intubation.

Wenn die Menschen ihre Lungenentzündung überlebt haben, haben sie extrem an Muskelmasse verloren, sie sind sehr geschwächt. Die verlorene Muskelmasse und Beweglichkeit müssen nach dem Krankenhausaufenthalt mühsam wieder aufgebaut werden. Älteren Menschen gelingt das oft nicht mehr vollständig und sie werden womöglich nicht wieder richtig fit.

Kellner: In Gesprächen über die Corona-Pandemie erlebe ich, dass viele noch die Bilder im Kopf haben von Patienten aus der italienischen Region Bergamo, die auf dem Bauch liegend an Beatmungsschläuchen hängen. Für viele ist es eine abschreckende Vorstellung, so den Rest ihrer Tage verbringen zu müssen.

Werning: Die Bauchlage ist bei vielen schwerstkranken Patienten mit Lungenversagen eine hocheffektive Maßnahme, um die Lungenfunktion innerhalb von zehn Stunden dramatisch zu verbessern. In dieser Phase sind Patienten tief sediert, so dass sie weder Schmerzen, Luftnot noch Angst erfahren.

Gibt es Alternativen zur invasiven Beatmung?

Werning: Es gibt ausgewählte Fälle, in denen selbst unter optimierten Bedingungen die künstliche Beatmung nicht mehr reicht und die Lungen den zugeführten Sauerstoff nicht mehr in ausreichender Menge ins Blut abgeben können. Diese Patienten kann man an eine Maschine anschließen, die die Herz-Lungen-Funktion übernimmt, etwa an ein sogenanntes Ecmo-Gerät.

Ecmo steht für Extrakorporale Menbranoxygenisierung. Mithilfe einer Pumpe wird über einen Gefäßkatheter eine bestimmte Blutmenge pro Minute aus dem Körper des Patienten durch einen Membranoxygenator gepumpt. Dieser ersetzt den Gasaustausch in der Lunge, er entfernt Kohlendioxid aus dem Blut und reichert es mit Sauerstoff an. Das aufbereitete Blut gelangt dann über einen weiteren großen Gefäßkatheter zurück in den Blutkreislauf des Patienten. Aber diese Methode kommt – wie gesagt – nur in Einzelfällen in Betracht.

Weil die Methode so risikoreich ist?

Werning: Es ist eine hochkomplexe Behandlung, in deren Verlauf es zu erheblichen Komplikationen kommen kann – etwa durch das Anlegen von Kanülen oder durch die benötigte Blutverdünnung. Es kann zu Blutungen oder Gefäßverletzungen kommen, zu Thrombosen oder Komplikationen anderer Organsysteme. Solche Behandlungen werden in der Regel nur in großen und erfahrenen Zentren durchgeführt. Man bewegt sich da an den Grenzen der Medizin, an dem, was technisch möglich ist.

Kellner: Es ist nicht nur die Komplexität einer Behandlung zu berücksichtigen, sondern auch deren Dauer. Wenn zu einer Erkrankung noch andere Vorerkrankungen dazu kommen, muss abgewogen werden, in welchem Zustand der Patient irgendwann wieder aus dem Krankenhaus entlassen wird und ob ein selbstbestimmtes Leben danach noch möglich ist. Einige Patienten haben nach einer intensivmedizinischen Behandlung lange mit den Folgen zu kämpfen. Ich finde es deshalb so wichtig, dass sich besondere ältere Menschen klar machen, welche medizinischen Möglichkeiten sie überhaupt noch in Anspruch nehmen wollen. Die Überlegung muss der Patient mit dem Hausarzt und den Angehörigen treffen – am besten zu einem Zeitpunkt, in dem er noch fit ist. Er kann seine Entscheidung auch jederzeit wieder revidieren.

Werning: Wenn ein Patient in seiner Patientenverfügung angegeben hat, dass er keine künstliche Beatmung will, wird vor einer Behandlung noch einmal sorgfältig geprüft, ob diese Entscheidung auch in dieser speziellen Situation Bestand hat. Wenn das so ist, wird das respektiert: Der Patient wird nicht beatmet, aber trotzdem behandelt, damit er keine Luftnot, keine Schmerzen, keine Angst hat. Es gibt aber auch Fälle, wo sich Patienten anders entscheiden. Vor einigen Wochen zum Beispiel war ein 90-jähriger Patient mit einer eitrigen Gallenblasenentzündung bei uns in der Klinik. Er zeigte seine Patientenverfügung, in der er eine künstliche Beatmung ablehnte. Er wollte auf keinen Fall auf die Intensivstation. Wir haben ein langes Gespräch geführt: Ich habe erklärt, dass seine Krankheit tödlich ist, wenn er nicht behandelt wird. Man könne ihn operieren. Er müsse dann für einige Tage künstlich beatmet werden, weil sein Krankheitsbild schon fortgeschritten sei. Später könne er immer noch entscheiden, ob ihm die Ärzte helfen sollen, von der Beatmung wegzukommen. Er willigte ein, diese Chance zu nutzen. Wir haben ihn nach fünf Tagen von der Intensivstation verlegt. Zehn Tage später hat er sich bedankt, dass wir ihn dazu gebracht haben, seine Entscheidung zu überdenken.

Kellner: Eine Patientenverfügung ist kein Vertrag, der vonseiten des Patienten erfüllt werden muss, sondern ein Denkanstoß. Ein Arzt kann dem Patienten zum Beispiel zu einer Behandlung raten, wenn noch eine Chance besteht. Und wenn es keine Aussicht auf Heilung gibt, bleibt noch die Möglichkeit einer palliativmedizinischen Behandlung, um einen qualvollen Tod zu entgehen.

Wie viele Patienten mit Covid-19 mussten am Städtischen Klinikum bislang intensivmedizinisch behandelt werden?

Werning: Wir hatten sieben Patienten auf der Intensivstation seit Februar, die invasiv beatmet werden mussten. In der Hochphase der Pandemie waren vier gleichzeitig auf der Intensivstation. 42 Covid-19-Erkrankte waren auf der Normalstation. Die Patienten waren ei Patienten waren unter 18 Jahre alt.

Wir diskutieren nun über zunehmende Lockerungen der Corona-Maßnahmen, obwohl die Gefahr noch nicht gebannt ist. Was schätzen Sie, wie wird sich die Lage entwickeln?

Werning: Bislang sind wir in Deutschland noch glimpflich davon gekommen. Selbst an den Hotspots, also an den Orten, an denen wir die meisten Erkrankungen zu verzeichnen hatten wie etwa in Heinsberg oder in Bayern, gab es keine Engpässe bei der Versorgung. Wir können sehr stolz darauf sein, dass die Maßnahmen und das stringente Management bei uns dazu geführt haben, dass die Ausbreitung insofern eingegrenzt wurde, dass unser medizinisches System nicht überfordert ist. Aus epidemiologischer Sicht bin ich mir aber sicher, dass es eine zweite Infektions-Welle geben wird. Wie hoch diese sein wird, ist schwierig vorherzusagen.

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