Braunschweig. In der Corona-Krise haben vor allem Mitarbeiter von Dienstleistungsbetrieben die Möglichkeit genutzt, von Zuhause aus zu arbeiten.

Sie meldeten vor kurzem, dass jeder Dritte im Homeoffice ist. Wie kann das sein? Sind Polizisten, Eisenbahnfahrer, Soldaten und LKW-Fahrer und andere Berufsgruppen durch das Netz Ihrer Zeitung gefallen?

Diese Frage stellt Achim Diethelm aus Wolfenbüttel

Zum Thema recherchierte Nele Behrens

Jeder dritte Beschäftigte arbeitet in der Corona-Krise von zu Hause aus – das ergab eine Umfrage des Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Eine derzeit laufende Studie der Wissenschaftlerin Professor Simone Kauffeld, die an der Technischen Universität (TU) Braunschweig zur Arbeits-, Organisations- und Sozialpsychologie forscht, kommt sogar zu einem deutlich höheren Ergebnis: Hier gaben satte 60 Prozent der Teilnehmer an, im Homeoffice zu arbeiten. Allerdings haben davon auch 53 Prozent bereits vor der Krise regelmäßig von zu Hause aus gearbeitet. Spezifisch für unsere Region gibt es noch keine genauen Erhebungen, teilt Florian Löbermann, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) Braunschweig, mit. „Die Priorität liegt darauf, Unternehmen am Leben zu erhalten“, sagt Löbermann. Auch Florian Bernschneider, Geschäftsführer des Arbeitgeberverbandes Region Braunschweig, sieht einen Trend zum Homeoffice in der aktuellen Krise. „Ich habe kein Unternehmen gefunden, das nicht überall, wo es geht, die Möglichkeit des Homeoffice nutzt – und sei es im Schichtsystem“, sagt er.

Auch Michael Kleber, Regionsvorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DBG) Südost-Niedersachsen, bestätigt den Eindruck der Umfrage des DIW. „In der Gebäudereinigung ist Homeoffice gar nicht machbar, bei Ingenieurbetrieben sind es dagegen 80 bis 90 Prozent. Wahrscheinlich wird es einen Schnitt geben, der diesem Drittel entspricht“, vermutet Kleber. Wie das Homeoffice umgesetzt werden kann, ist auch abhängig von der Branche. „Es gibt Betriebe, bei denen Homeoffice nicht möglich ist.“, erklärt Löbermann.

Mitarbeiter aus dem Vertrieb arbeiteten im Homeoffice

Das zeigt etwa das Beispiel des mittelständischen Unternehmens Hoffmann Maschinen- und Apparatebau aus Lengede im Landkreis Peine. „Die Zahl von jedem dritten Beschäftigten kann ich für uns als produzierendes Unternehmen nicht bestätigen. Die Wertschöpfung geht nur, wenn die Menschen anwesend sind“, berichtet Geschäftsführer Tobias Hoffmann. Doch auch er habe Mitarbeiter ins Homeoffice geschickt, etwa aus dem Vertrieb. „Das funktionierte von Mitte März bis Ende April leidlich gut“, erzählt der Mittelständler. Mit den Lockerungen steuere er sein Unternehmen nun langsam unter den entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen wieder in den Normalbetrieb.

Auch andere Unternehmen aus der Region geben ihren Mitarbeitern nach und nach die Möglichkeit, aus dem Homeoffice zurückzukehren. Bei der Öffentlichen Versicherung in Braunschweig haben mehr als 70 Prozent der Mitarbeiter in den vergangenen Wochen im Homeoffice gearbeitet. Nun bietet die Versicherung ihren Beschäftigten an, auf Wunsch in die Büros zurückzukehren. „Das Unternehmen geht davon aus, dass zunächst rund ein Drittel der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dies in Anspruch nehmen wird“, erklärt Pressereferent Sebastian Heise. Beim Spirituosen-Riesen Jägermeister in Wolfenbüttel waren nach Unternehmensangaben sogar fast 100 Prozent der Mitarbeiter in den administrativen Bereichen – Marketing, Personal, Kommunikation und Verwaltung – im Homeoffice. Nun gehe man auch hier langsam den Schritt, die Mitarbeiter in das Unternehmen zurückkehren zu lassen. „Wir setzen uns eine Maximalgrenze von 30 Prozent bei den Mitarbeitern, die ins Büro kommen können“, teilt Sprecher Andreas Lehmann mit.

Bei vielen Unternehmen mussten in kurzer Zeit viele Umstellungen stattfinden, um das Homeoffice zu ermöglichen, berichtet Gewerkschafter Kleber. „Dreiviertel der Unternehmen haben das mehr im Schweinsgalopp eingeführt.“ Viele Betriebe hätten dabei auf einer Basis aufbauen können. „Der Trend des mobilen Arbeitens hatte schon vor Corona begonnen in vielen Dienstleistungsberufen.“

Mehr als 70 Prozent der Arbeitnehmer in unserer Region arbeiten im Dienstleistungssektor

Die Dienstleistungsbranche macht auch in unserer Region einen Großteil des Arbeitsmarktes aus. 2019 waren nach Angaben der Agentur für Arbeit Braunschweig-Goslar 70,8 Prozent der Arbeitnehmer im Dienstleistungssektor in Braunschweig, Salzgitter und den Kreisen Wolfenbüttel und Goslar beschäftigt. 20.500 Unternehmen gehören in unserer Region laut IHK zu dieser Branche. Als Dienstleister zählen Informations- und Kommunikationsunternehmen, Finanz- und Versicherungsdienstleister oder das Grundstücks- und Wohnungswesen – viele Bereiche, die oft computergestützte Arbeiten leisten. „Es gibt aber auch persönliche Dienstleister wie Fitnessstudios oder Kosmetiker“, betont IHK-Hauptgeschäftsführer Löbermann. Auch der Einzelhandel und Reinigungsfirmen zählen dazu, berichtet die Bundesagentur für Arbeit – eine Gleichsetzung von Dienstleistungssektor und Arbeit im Homeoffice ist also nicht möglich.

Michael Kleber vom DGB warnt zudem vor den Risiken des Homeoffice. „Unsere Erfahrungen zeigen, dass man gar nicht mehr die Arbeit genau dokumentiert und unterm Strich mehr arbeitet.“ Auch Wissenschaftlerin Kauffeld von der TU bestätigt diese Erfahrungen und betont, dass besonders in Krisenzeiten klare Regeln zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer wichtig seien. „Wann wird erwartet, dass man erreichbar ist? Wie soll kommuniziert werden?“, nennt Kauffeld einige Beispiele. Allgemein zeigte ihre Studie, dass die meisten Teilnehmer die Arbeit im Homeoffice positiv bewerten. In der Corona-Krise hänge diese Zufriedenheit aber an einem ganz wichtigen Faktor. „Personen, die mit der aktuellen Betreuungssituation ihrer Kinder unzufrieden waren, erleben eine geringere Work-Life-Balance und mehr Stress“, beschreibt Kauffeld.