Braunschweig. In Corona-Zeiten sind neue Behandlungswege gefragt: Leichte Beschwerden wollen die Ärzte in unserer Region nun am Computer abklären.

Der Braunschweiger Internist Dr. Oliver Marschal sitzt mit Kopfhörern vor seinem Laptop und betrachtet am Bildschirm den Hautausschlag einer Patientin. Die Frau hält ihren geröteten Arm am heimischen PC vor die Kamera. „Eine leichte allergische Reizung“, befindet der Arzt. Da reiche eine kühlende Salbe. „Wenn es nicht besser wird, gehen Sie am Montag oder Dienstag zu Ihrem Hausarzt.“

Ambulanter ärztlicher Notdienst per Videosprechstunde: Das wird an diesem Wochenende in unserer Region deutschlandweit erstmals Realität. Nicht zuletzt in Zeiten von Corona und geschlossenen Bereitschaftsdienstpraxen soll das neue telemedizinische Angebot die derzeit zu Hausbesuchen tourenden mobilen Bereitschaftsdienst-Ärzte an Wochenenden und Feiertagen entlasten. Bewährt sich dieser Testlauf der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN), versprechen sich die Kassenärzte vom Online-Arztgespräch eine dauerhafte Entlastung der mit dem Rücken an der Wand stehenden Notdienste.

Dr. Oliver Marschal, als niedergelassener Arzt zugleich Vorsitzender der KV-Kreisstelle Braunschweig, erhofft sich durch die Videosprechstunde einen Nutzen für die Patienten wie auch für die Ärzte. Patienten könnten auf dem heimischen Sofa statt im überfüllten Wartezimmer auf das Arztgespräch warten. Zugleich würden Ärzte im Bereitschaftsdienst entlastet. Marschal sieht darin einen „adäquaten Umgang mit der knappen Ressource Arzt“. „Mitten in der Corona-Krise kommt die Videosprechstunde genau zur richtigen Zeit“, lobt denn auch Dr. Jörg Berling, Stellvertretender Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen, das zusätzliche digitale Angebot. Es leiste einen Beitrag zur infektionsfreien Versorgung.

Die Corona-Krise scheint die Digitalisierung in der Medizin voranzutreiben. Bundesweit, weiß Berling, hätten sich die Anträge von Ärzten auf Genehmigung von Videosprechstunden verzehnfacht. Gibt es die digitale Sprechstunde bereits als Hausarzt-Modell, betritt die KV im Bereitschaftsdienst damit Neuland.

So funktioniert die Video-Sprechstunde

Und so funktioniert es: Wählt ein Patient aus der Region Braunschweig am Samstag oder Sonntag zwischen 9 und 16 Uhr die Bereitschaftsdienstnummer 116117 für ambulant zu behandelnde Notfälle, wird zunächst nach einem medizinischen Ersteinschätzungsverfahren geprüft, ob er als möglicher Videopatient eingestuft wird oder je nach Krankheitsbild ein persönlicher Arztkontakt notwendig ist.

Für Dr. Thorsten Kleinschmidt, den Vorsitzenden der KVN-Bezirksstelle Braunschweig, zeigt die Erfahrung in den Bereitschaftsdienstpraxen, dass sich viele Beschwerden in einem Arzt-Gespräch klären lassen. Bis zu einem Drittel der ambulant zu behandelnden Notfall-Patienten, so seine Schätzung, könnten geeignete Fälle für die Videosprechstunde sein.

Nach ihrem Anruf unter 116117 bekommen diese Patienten einen Termin für die ärztliche Beratung, der zwischen 13 und 17 Uhr liegt, und können nun im virtuellen Wartezimmer Platz nehmen.

Was sie brauchen, ist laut Kleinschmidt ein gängiges Smartphone, Tablet oder ein häuslicher PC mit Kamera und Mikrofon. Zum Starten der Videosprechstunde wird ihnen eine E-Mail mit einem Link zugesandt, den sie lediglich anklicken müssen, um die Verbindung mit dem Arzt herzustellen, sobald er sie dazu auffordert. Die Technik sei bewährt, versichert die KVN. „Ein erfahrener Anbieter von Praxissoftware, der seit Jahren in den Bereitschaftsdienstpraxen der KVN die Softwareplattform stellt, hat die Videosprechstunde schnell und unbürokratisch möglich gemacht.“

Im Blick für die digitale Versorgung hat die KV vorerst Patienten mit leichten Beschwerden wie etwa Kopfschmerzen, Hautausschlägen, Magen-Darm-Problemen oder kleineren Schnittwunden, die voraussichtlich auch kein Rezept benötigen. Sollte dies doch der Fall sein, versorgt der weiterhin arbeitende Bereitschaftsdienstarzt im Fahrdienst den Patienten mit dem notwendigen Rezept. Marschal könnte sich auch vorstellen, das Rezept in solchen Fällen an die Wunsch-Apotheke zu faxen. Dr. Jörg Berling erwartet, dass noch in diesem Jahr das elektronische Rezept eingeführt wird. Digital und papierlos verordnete Medikamente können dann in jeder Apotheke abgeholt werden.

Bereitschaftsärztliche Versorgung der Region soll besser koordiniert werden

Mit der Videosprechstunde wird auch die bereitschaftsärztliche Versorgung der Region enger miteinander verzahnt. Ein Arzt im Bereitschaftsdienst, so die Idee, kann an Wochenenden und Feiertagen die digitale Sprechstunde für leichte Fälle regionsübergreifend anbieten.

Die KV, zuständig für die ambulante Notfallversorgung, verzeichnet übrigens einen weiteren Effekt der Corona-Krise: Die Patientenzahlen im Bereitschaftsdienst außerhalb der regulären Praxis-Öffnungszeiten sind rückläufig. Wandten sich in der Region am Osterwochenende 2019 noch 2500 Patienten an den Bereitschaftsdienst, waren es in diesem Jahr von Karfreitag bis Ostermontag nur 700. Was dafür sprechen könnte, dass nicht jeder ambulant zu behandelnder Notfall auch ein Notfall ist.