Hannover. Telefon-Betrüger werden immer aktiver in Niedersachsen. Und die Dunkelziffer ist hoch. Es gibt aber auch eine gute Nachricht.

Vor allem ältere Menschen in Niedersachsen werden häufiger von falschen Polizisten angerufen. Das Landeskriminalamt (LKA) registrierte in diesem Jahr bis Ende November fast 7000 Fälle, in denen angebliche Beamte mögliche Opfer zur Herausgabe von Bargeld oder Wertsachen bewegen wollten. Das seien rund 3000 Fälle mehr im gesamten Jahr 2018, sagte LKA-Sprecherin Nevin Ayyildiz.

Schadenssumme fast halbiert

Das ist die schlechte Nachricht. Es gibt aber auch eine gute: „Es zeichnet sich deutlich ab, dass die Täter wesentlich mehr Zeit, Versuche und Mühe investieren müssen, um ihre List erfolgreich anzuwenden“, sagte die LKA-Sprecherin. Denn die Zahl der vollendeten Taten ging trotz der vermehrten Versuche von 94 auf 85 (Stichtag 30. November) zurück. Die Schadenssumme reduzierte sich von rund 4,7 Millionen Euro auf gut 2,5 Millionen Euro.

„Einhämmern“ zeitigt Erfolg

Rainer Bruckert, führt diesen Erfolg auf intensive und kontinuierliche Aufklärung durch die Medien zurück. „Steter Tropfen höhlt den Stein“, sagt der Landesvorsitzende des Vereins Weißer Ring, der sich für Kriminalitätsopfer einsetzt. Dadurch, dass immer wieder über entsprechende Fälle berichtet werde, habe mittlerweile „fast jeder“ zumindest von den Telefon-Betrugsmaschen gehört. „Dieses Einhämmern ist wichtig, damit es sich wirklich einprägt“, erklärt der ehemalige LKA-Abteilungsleiter – „gerade weil die Betroffenen meist schon älter und mitunter vergesslich sind“. Bruckert hält für „gut möglich“, dass die Polizisten-Masche schon eine Reaktion auf den Lerneffekt ist, der sich beim klassischen „Enkeltrick“ mittlerweile eingestellt habe: Dass sich die Täter plump mit „Rate mal, wer hier ist?“ meldeten, komme kaum noch vor.

Geld, Gold und Schmuck

Dennoch stehen nach wie vor hauptsächlich Senioren im Fokus der Betrüger. „Die Gesellschaft wird immer älter“, sagt Bruckert, „darauf stellen sich die Täter natürlich ein“. Offensichtlich anhand ihrer Vornamen werden vor allem ältere Menschen von den Tätern als Senioren identifiziert. Die Anrufer, meist aus dem Ausland, geben sich als Polizisten aus. Mit Lügengeschichten versuchen sie ihre Opfer dazu zu bewegen, Geld, Gold und Schmuck angeblichen Polizisten zu übergeben. Die Wertgegenstände – so tischen es die Anrufer ihren Opfern auf – würden sonst Einbrechern oder vermeintlich betrügerischen Bankmitarbeitern in die Hände fallen. Fällt jemand auf die Masche herein, werden Abholer geschickt. Diese geben sich ebenfalls als Polizeibeamte aus und nehmen die Beute mit.

Dabei geht es teils um sehr hohe Summen. So habe im Januar dieses Jahres eine Frau, die im Gebiet der Polizeidirektion Lüneburg lebt, Gold und Bargeld im Wert eines sechsstelligen Euro-Betrages verloren, teilte das LKA mit. Und in der Nähe von Hannover wurden einem älteren Ehepaar Goldbarren im Wert von deutlich mehr als 100.000 Euro abgenommen.

Dunkelziffer geschätzt 75 Prozent

Die Ermittler gehen davon aus, dass die angezeigten Anrufe falscher Polizisten nur ein Bruchteil der tatsächlich versuchten oder vollendeten Betrügereien sind. Eine sogenannte Dunkelfeldstudie des Landeskriminalamts von 2017 habe ergeben, dass nur knapp jedes vierte Betrugsdelikt angezeigt werde, sagte Sprecherin Ayyildiz. Bei Straftaten gegen ältere Menschen sei sogar von einer noch geringeren Quote auszugehen.

„Die Opfer sind schwer traumatisiert“

Häufig, so das LKA, schwiegen die Geschädigten aus Scham. Das bestätigt auch Bruckert aus seiner Erfahrung beim Weißen Ring. „Leider suchen viel zu wenige Opfer Hilfe“, sagt er. Und die, die sich bei der Beratungsstelle des Vereins meldeten, seien oft schwer traumatisiert: „Wenn sie uns berichten, was passiert ist, fangen sie häufig an zu weinen. Nicht selten ist das gesamte Ersparte weg.“

„Leider suchen viel zu wenige Opfer Hilfe. Sie haben Angst, als senil zu gelten“, bedauert Rainer Bruckert, Landesvorsitzender des Weißen Rings.
„Leider suchen viel zu wenige Opfer Hilfe. Sie haben Angst, als senil zu gelten“, bedauert Rainer Bruckert, Landesvorsitzender des Weißen Rings. © Weißer Ring | Weißer Ring

Aus Angst, womöglich von den eigenen Freunden oder Verwandten für senil gehalten zu werden, erzählten viele nicht einmal in der eigenen Familie, was vorgefallen ist. „Sich einzugestehen, dass ausgerechnet man selbst hereingefallen ist, während man vielleicht noch kurz vorher den Kopf geschüttelt hatte, wenn man von ähnlichen Fällen las – das führt zu einer enormen Scham.“ Die spielt offenbar eine große Rolle dabei, dass viele Betrugsopfer davor zurückschrecken, Anzeige zu erstatten. „Trotzdem“, so Bruckert, „versuchen wir vom Weißen Ring die Leute zu überzeugen, zur Polizei zu gehen“. Schließlich könne eine Anzeige – und im besten Fall die Strafverfolgung der Täter – dabei helfen, das Erlebte zu verarbeiten.

Trauma-Ambulanzen – „gute Abdeckung“

Hierzu tragen auch Psychologen bei. Je schneller den Traumatisierten eine Beratung zuteil wird, desto besser. In Niedersachsen klappe dies in der Regel sehr gut: „Wir haben eine fast flächendeckende Infrastruktur von Trauma-Ambulanzen“, sagt Bruckert. „Damit ist unser Land im Bundesvergleich ganz weit vorn.“ So gelinge es meist, dass Opfer innerhalb von 24 Stunden eine psychologische Erstberatung erhielten. Der Weiße Ring unterstützt die Betroffenen mit Gutscheinen.

Aufklärungsquote minimal

Ernüchternd ist aber: Die Aufklärungsquote bei Telefonbetrug ist verschwindend gering. Laut einer vom Magazin Spiegel zitierten internen Studie des LKA Nordrhein-Westfalen wurden 2017 lediglich bei 1,6 Prozent der in dem Bundesland angezeigten Taten die Täter ermittelt und zur Rechenschaft gezogen. Dennoch sei die Anzeige wichtig, so Opferschützer Bruckert. Nur so erhalte die Polizei das nötige Wissen, um kurzfristig aktuelle Warnungen aussprechen zu können.

Schläge gegen Betrügerbanden

Trotzdem sind den Ermittlern in Niedersachsen und Bremen in jüngerer Zeit wiederholt Schläge gegen Betrügerbanden gelungen. So wurden im April in Bad Gandersheim zwei mutmaßliche Mitglieder einer überregional agierenden Bande festgenommen, die mit der Masche mehrere Hunderttausend Euro erbeutet haben soll. Im September wurde in Hameln ein Täter beim Abholen des bereitgelegten Geldes von echten Polizisten überwältigt. Und in Bremen fasste die Polizei im November zwei falsche Kollegen, die wiederholt Geld bei älteren Opfern eingesammelt haben sollen.

Teils lange Haftstrafen für Bandenmitglieder

Das Landgericht Hannover verurteilte Anfang Dezember eine Bande Krimineller, die sich am Telefon als Polizisten ausgegeben und so hohe Geldbeträge erbeutet hatten, zu teils langen Haftstrafen.
Das Landgericht Hannover verurteilte Anfang Dezember eine Bande Krimineller, die sich am Telefon als Polizisten ausgegeben und so hohe Geldbeträge erbeutet hatten, zu teils langen Haftstrafen. © dpa | Julian Stratenschulte

In Hannover wurden zudem Anfang Dezember fünf Männer und eine Frau zu langen Haftstrafen verurteilt. Sie wurden schuldig gesprochen, als Mitglieder einer Bande zwischen Mai 2017 und September 2018 unter anderem in Hameln, Bodenwerder und Bad Münder hohe Geldbeträge erbeutet zu haben. Bruckert reagiert mit Genugtuung auf dieses Urteil: „Das hat bei mir großen Jubel hervorgerufen“, gesteht er. „Vor allem hat mich gefreut, dass der Richter das Leid der Opfer angemessen gewürdigt hat.“ Das Landgericht Hannover verurteilte die Mitglieder der Bande zu teils langen Haftstrafen. Fünf Männer und eine Frau erhielten Gefängnisstrafen zwischen drei und zehn Jahren. Ein weiterer Angeklagter wurde wegen Beihilfe zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe verurteilt.

Wie die Polizei warnt auch der Weiße Ring vor der Betrugsmasche – aktuell mit der Präventionskampagne „Ohne Furcht im Alter“. In einer im Internet erhältlichen Broschüre liefert der Opferhilfe-Verein Tipps, um sich vor Trickbetrügern zu schützen. „Als alter Polizeibeamter kann ich aber vor allem eins raten“, so Bruckert: „Die goldene Regel lautet: Bloß auflegen!“