Cremlingen. Mit dem Landtagsabgeordneten Frank Oesterhelweg und dem BZ-Chefredakteur sprechen Bauern über ihre Sorgen, Proteste, Agrarpolitik und Medienberichte.

Der Frust ist groß unter den Landwirten, hat sich über Jahre aufgestaut. Jetzt entlädt er sich, und zwar gewaltig. Tausende demonstrieren die vergangenen Wochen mit ihren Traktoren gegen neue Düngeverordnung und Insektenschutzplan, gegen immer mehr Bürokratie, Beschimpfungen als Grundwasservergifter und gegen das ihrer Meinung nach verzerrte Meinungsbild von ihnen in den Medien. Es ist Zeit, dass man darüber redet, finden der Landtagsabgeordnete Frank Oesterhelweg (CDU), selbst Landwirt in Werlaburgdorf im Kreis Wolfenbüttel, und der Chefredakteur unserer Zeitung, Armin Maus. Bei Familie Hantelmann in Hemkenrode bei Cremlingen treffen Landwirte und Redaktion zusammen.

Am Tisch sitzen unter anderem drei Generationen von Hantelmann-Landwirten: Albert, der 79-jährige Senior, Sohn Michael (54) und dessen Ehefrau Anja (51) sowie Enkel Hannes. Der 21-jährige hat gerade seine Ausbildung zum staatlich geprüften Wirtschafter hinter sich, will noch den Meister machen. „Aber ich diskutiere mit Freunden schon, ob das der richtige Weg ist.“ Landwirt werden – „Macht das noch Sinn?“ Die Zeiten ändern sich: Dieselben Leute, die ihm als Fußballspieler gestern zugejubelt haben, würden ihn heute auch schon mal als Landwirt mobben. Hannes muss sich Fragen anhören wie: „Was machst du denn da mit der Giftspritze?“

Den Bauern gehe es häufig so, erzählt Katrin Sell, die einen Betrieb in Veltheim im Kreis Wolfenbüttel führt: Spaziergänger am Feldrand hielten sich demonstrativ die Nase zu, versperrten Rübenlastern die Feldwege. „Wir müssen uns manchmal beschimpfen lassen, dass wir dort nichts zu suchen hätten, eine Gefahr für ihre Kinder seien. Und Bauernkritiker hätten auch schon mal mit Fackeln vor einem Hof gestanden, dessen Besitzer einen neuen Maststall genehmigt bekommen hatte, berichtet Oesterhelweg – „es herrscht zunehmend eine aufgeheizte Stimmung, es entsteht eine regelrechte Hetze. Und die konzentriert sich auf die Landwirtschaft.“ Und Sarah Grabenhorst-Quidde, Landwirtsfrau aus Semmenstedt: „Beleidigungen sind mittlerweile ja fast gesellschaftsfähig geworden.“

Die Kehrseite: Anlass für das Treffen in Hantelmanns Diele waren auch die Besuche von Landwirten aus dem Kreis Goslar vor den Privathäusern einer Grünen-Politikerin und eines Redakteurs unserer Zeitung. Was diese von Politik und den Medien halten, drückten sie mit der Übergabe zweier golden getünchter Karren Mist aus. Chefredakteur Maus: „Uns kann jeder auf die Bude rücken, auch sonntags. Aber wir haben auch Familien, die schon viele Kompromisse eingehen müssen.“ Die Aktionen hätten das Tolerierbare verlassen. Seine Gegenüber widersprechen nicht.

„Die Proteste sind offensiver geworden“, gibt Oesterhelweg zu. Letztlich seien sie Ausdruck dafür, dass „die jungen Landwirte Angst um die Zukunft ihrer Betriebe haben.“ Hinter den Mistkarren habe wohl keine böse Absicht gestanden, meint auch Michael Hantelmann, sondern eher der Wunsch, ins Gespräch zu kommen – so wie jetzt bei Kaffee und Bienenstich in Hemkenrode. Nach Wahrnehmung von Bernd Wrede, Landwirt und Steuerberater aus Salzgitter-Üfingen, gebe es nämlich ein „Ungleichgewicht in der Berichterstattung“ – stets zu Ungunsten der Bauern.

Gesa Kamrath, Landwirtin aus Emmerstedt (Helmstedt) sagt dem Chefredakteur: „Es ist richtig, dass Sie die Pressefreiheit hochhalten, aber bitte mit Augenmaß! Sie müssen die Leserbriefe filtern, das ist Ihre Verantwortung.“

Armin Maus versichert, dass Leserbriefe intensiv geprüft und ausgewählt würden – aber bei Wahrung der Ausgewogenheit. „Die Leser haben das Recht, dass wir ihre Meinung respektieren und sie publizieren.“ Maus weiter: „Es passieren natürlich auch Fehler, aber wir sind nicht Ihre Gegner!“ Als Beispiel gab er die stark wissenschaftlich basierte Berichterstattung über Glyphosat an – mit dem Ergebnis, dass es keinen Beweis für Zusammenhänge mit Krebs gebe. Dennoch: „Verwechseln Sie uns auch nicht mit denen, die wir wiedergeben. Wir müssen ja trotzdem über die Klagen wegen Glyphosats berichten. Wir sind auch nicht ,die Medien’, sondern die Braunschweiger Zeitung.“ Der stellvertretende Chefredakteur Harald Likus pflichtet ihm bei: „Ja, ich höre viele pauschale Abwertungen gegen die Landwirte, dieser Zeitgeist spiegelt sich eben auch in den Medien wider.“

Einig ist man sich darüber, dass die Diffamierung der Landwirte oft auf Unwissenheit in der Bevölkerung basiert. Wer weiß schon, dass sich die hiesigen Bauern mit Betrieben in der Ukraine und in Russland vergleichen müssen, die mehrere Tausend Hektar – ohne die strengen Auflagen von hier – bewirtschaften? „Wieso sagen uns die Menschen, wie wir anbauen sollen, wenn sie den Weltmarkt nicht durchblicken?“, fragt Gesa Kamrath. Wer weiß schon, dass Landwirte heute mehr Zeit im Büro als auf dem Feld verbringen? „Früher bin ich zum Kreisleistungspflügen gefahren, heute sitze ich drinnen und fülle Anträge aus“, sagt Michael Hantelmann, „wir dokumentieren jeden Quadratmeter! Das Büro ist eine Belastung!“

Auch Anja Hantelmann bekommt bei der Arbeit am Schreibtisch regelrecht Angstzustände, der Terminplaner quelle über mit gesetzlichen Fristen: „Man muss ein Jahr vorher angeben, was man als Zwischenfrüchte auf der ökologischen Vorrangfläche einbringen will, ändert sich etwas, braucht es Modifikationsanträge mit neuen Fristen.“ Verpasst man die, seien die Sanktionen heftig. Oesterhelweg stimmt zu: „Viele Fristen sind zudem praxisfremd“, insbesondere die für Blühstreifen. Solche Programme müssten einfacher und flexibler werden, sonst würden sie eher gemieden als genutzt.

Getreidepreise würden auch nicht mehr direkt verhandelt, sondern dafür sitzen Hantelmanns wieder am PC, müssen den richtigen Augenblick an der Börse abpassen. Manche, die zu lange auf steigende Preise gewartet haben, haben damit auch schon mal Verluste eingefahren. Bernd Wrede kennt die prekäre Situation der Landwirte als Steuerberater: „Vor allem die Pachtbetriebe stehen auf wackeligen Füßen.“ In schlechten Jahren hole man nur 300 bis 400 Euro Gewinn aus einem Hektar heraus. Aber manche Pacht koste 600 Euro. „Den Leuten steht das Wasser bis zum Hals. Noch ein Dürrejahr, und hier verschwinden Betriebe.“

Andererseits sind die Landwirte gezwungen, hohe Summen in neue Maschinen zu investieren. Michael Hantelmann führt draußen auf dem Hof seine nagelneue Pflanzenschutzspritze Amazone UX 6201 vor, für die der Hersteller einen Preis aufruft, der mit Eigentumswohnungen konkurrieren kann. „Sie ist GPS-gesteuert, die Karte ist auf einem USB-Stick abgelegt. Da wird nirgends doppelt oder zu viel gespritzt, jede einzelne Düse ist abschaltbar.“ Das funktioniere so genau, dass gerade mal 6 Gramm Pflanzenschutzmittel auf einen Hektar verteilt werden – der Rest sei Wasser, 600 Liter. Und es sei eben nicht – wie Außenstehende oft denken – immer Glyphosat, das ausgetragen wird: viel häufiger verschiedene andere Herbizide, Fungizide, Blatt- und Flüssigdünger.

Maus: „Es wäre gut, wenn wir dieses Wissen an die Leser weitergeben könnten. Wir müssen den Lesern erklären, was Sie in der Landwirtschaft machen.“ Der Chefredakteur schlägt eine Serie von A bis Z vor. „Viele Städter wissen quasi nicht, warum der Hahn kräht“, sagte er bildhaft. Die meisten Menschen hätten keine Vorstellung davon, wie streng die Vorgaben sind, wie kontrolliert wird, wie ein Tag in der Praxis aussieht. Michael Hantelmann: „Fragen Sie uns, wir öffnen Ihnen die Tore!“

Oesterhelweg greift den Faden auf: Die Redaktion und die Landwirte der Region sollten sich öfter als nur einmal in Hemkenrode treffen. So eine Gesprächsrunde solle spätestens in sechs Monaten wiederholt werden.