Braunschweig. Hannover will am 30. November Busse und Bahnen kostenlos anbieten. Aus unserer Region gibt es dafür viel Kritik.

Hannover wird am ersten Adventssamstag den öffentlichen Nahverkehr kostenlos anbieten. Der Großversuch soll zeigen, ob das ein Modell für die Zukunft sein kann. In unserer Region hält man wenig bis gar nichts von der Aktion.

Der Versuch sei wenig durchdacht, sagt zum Beispiel Hennig Brandes, Geschäftsführer des Verkehrsverbunds Region Braunschweig. Der Verbund ist ein Zusammenschluss von 19 Verkehrsunternehmen zwischen Harz und Heide. Er sei kein „Wohltätigkeitsverein“, so der Geschäftsführer.

Vom Großversuch in Hannover hält auch die Kraftverkehrsgesellschaft mbH Braunschweig (KVG) mit Sitz in Salzgitter sehr wenig. Deren Sprecher Klaus Stuhlmann sagt: „Wir als KVG stehen solchen Einzel-Aktionen sehr kritisch gegenüber.“ Alleine über den Preis ließen sich nicht mehr Kunden gewinnen. Stuhlmann erklärt: „Weitere Angebotsausweitungen und die Einhaltung einer guten Angebots- und Servicequalität im eng vernetzen Verkehrsverbund sind klar zu bevorzugen.“

Christoph Graffam von der Braunschweiger Verkehrs-GmbH sagt, dass von den Fraktionen des Rates der Stadt Braunschweig immer wieder Vorschläge wie nun in Hannover kommen – „nicht nur von den Grünen“. In Braunschweig gibt es seit September bereits im Stadttarif ein 15-Euro-Schülerticket pro Monat. Beim Regionalverband Großraum Braunschweig ist ein 30-Euro-Schülerticket pro Monat im Gespräch. Etwa 135.000 Schüler und Berufsschüler könnten es ab dem Schuljahr 2020/2021 vom Harz bis in die Heide nutzen – auch in den Ferien.

Für den Braunschweiger Verkehrsforscher Tobias Wermuth können solche Rabattaktionen und vor allem die aus Hannover nur einen Teil des Problems lösen. Man müsse das Angebot verbessern: „Öfter, schneller, verlässlicher“, so Wermuth, müssten Busse und Bahnen fahren, um Anreize für den Umstieg auf Bus und Bahn zu schaffen. Für Wermuth zählen dazu ein Ausbau des Streckennetzes und eine bessere Taktung. Er nennt aber auch mehr Komfort und vor allem mehr Pünktlichkeit. Überdachte Stationen, kürzere Umstiege und ein übersichtlicheres Tarifsystem seien unerlässlich.

Wermuth ist Geschäftsführer des Unternehmens „WVI Verkehr Infrastruktur“. Im Auftrag des Verkehrsverbundes Rhein-Sieg (VRS) in Nordrhein-Westfalen erforschten die Braunschweiger, was ein kostenloser öffentlicher Nahverkehr dort kosten würde. Das Ergebnis der im Juni veröffentlichten und sehr aufschlussreichen Studie: Es würde richtig teuer – eine Milliarde Euro. Die Studie sollte klären, ob der VRS bis 2024 die Fahrgastzahlen bei einem kostenlosen Nahverkehr um 30 Prozent erhöhen kann. Die Studie stellt fest, es geht. Voraussetzung: Alle Verbesserungen im Busangebot werden umgesetzt. Den Bahnen würde keine größere Rolle zukommen. Schon jetzt sind ein Drittel der Stadtbahn- und regionalen Zuglinien des VRS überlastet.

Daher müssen andere Verkehrsmittel ausgebaut werden. Dazu gehören ein größeres Platzangebot, mehr Busse, kürzere Takte, die Einführung von Schnellbuslinien und eine bessere Vernetzung. Weiter sollen eigene Bus- und mehr Fahrradspuren den Verzicht aufs Auto attraktiver machen. Allein der Ausbau würde jährlich 120 Millionen Euro kosten. Bei einem kostenlosen Nahverkehr kämen weitere Kosten wie Einnahmeausfälle dazu, den VRS würde das insgesamt eine Milliarde Euro kosten.

Laut Wermuth lassen sich die Ergebnisse nicht einfach so auf unsere Region übertragen. „Jedoch kann man auch bei uns nicht einfach so den Takt verdoppeln. Das gibt das Schienennetz nicht her“, sagt er. Nur eines sei sicher: „Nur mit Rabatten schaffen wir auch keinen Anreiz für den Nahverkehr.“