Braunschweig. Das Entsetzen nach dem Terror von Halle ist groß. GdP-Landeschef Schilff sagt, die Polizei könne nicht jede religiöse Einrichtung dauerhaft bewachen.

Nach der Attacke eines 27-jährigen Rechtsextremisten auf die jüdische Gemeinde in Halle an der Saale hat der Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Niedersachsen, Dietmar Schilff, ein entschiedenes Vorgehen gegen rechtsextreme Netzwerke und rechte Hetzer im Internet gefordert. „Die Landes- und Bundesbehörden müssen die Bekämpfung dieser immer sichtbar werdenden Strukturen intensivieren. Der Rechtsterrorismus ist auf dem Vormarsch. Das haben die Taten des NSU und der Lübcke-Mord gezeigt. Der Anschlag in Halle muss das auch dem letzten Zweifler klar gemacht haben“, sagte Schilff im Gespräch mit unserer Zeitung. Bei dem Angriff am Mittwoch in der sachsen-anhaltinischen Stadt waren zwei Menschen getötet und zwei weitere Personen schwer verletzt worden.

GdP-Chef Schilff verwies darauf, dass das Bundeskriminalamt eine Hundertschaft an Beamten eingestellt habe, um „rechten Terror“ früher zu erkennen und besser zu bekämpfen. Der Polizei-Gewerkschafter verurteilte in dem Zusammenhang Aussagen führender Köpfe der AfD. „Die, die vom Vogelschiss in der deutschen Geschichte reden, sind es, die rechtsextremes Gedankengut salonfähig machen und den Hass in der Gesellschaft schüren.“

Die Forderung der jüdischen Gemeinde in Niedersachsen nach einem besseren Polizeischutz sei nach den Ereignissen von Halle nachvollziehbar. Die Frage, welche Sicherheitsmaßnahmen nun getroffen werden, müsse aber weiter in enger Abstimmung mit der Polizei vor Ort geschehen, so Schilff. „Ob es nötig ist, eine Synagoge dauerhaft zu überwachen, ist das Ergebnis polizeilicher Bewertungen der jeweils aktuellen Gefahrenlage.“

Die personellen Strukturen ließen es nicht zu, an jeder religiösen Einrichtung 24 Stunden lang ein Polizeifahrzeug zu positionieren. Welche Objekte müssen wir schützen? Wo fangen wir an? Wo hören wir auf? Moscheen, Parteibüros, internationale Schulen und Kindergärten, türkische Restaurants?, fragt sich Schilff. „Wir können doch nicht ernsthaft in Deutschland Verhältnisse wie in den USA wollen, wo jeder Zweite eine Waffe trägt. Oder in Israel, wo das Militär auf den Straßen patrouilliert.“

Die unmittelbaren Folgen der Gewalttat von Halle spüren auch kleinere jüdische Einrichtungen in unserer Region. Laut Dimitri Tukuser von der Liberalen Jüdischen Gemeinde Wolfsburg hätten am Donnerstag erstmals „gezielte Gespräche“ über Sicherheitsfragen mit der Polizei stattgefunden. „Wir sind eine kleine Gemeinde. Uns fehlt das Geld für Panzertüren und Videokameras. Das Gespräch mit der Polizei war gut, wir fühlen uns jetzt sicherer“, erklärte Tukuser. Das niedersächsische Innenministerium hatte schon kurz nach dem Angriff von Halle die Polizeiinspektionen aufgefordert, aktiv in Kontakt mit den Gemeinden zu treten.

In Deutschland gibt es rund 100 Synagogen und etwa 30 Gebetssäle. Die Zahl der Moscheen wurde im Jahr 2016 auf rund 2750 geschätzt. Für GdP-Mann Schilff müsse die Mehrheit der Gesellschaft entschlossen dem Hass Einzelner entgegentreten. „Wir brauchen dann aber als Polizei eine Legitimation, alle rechtsstaatlichen Mittel ausschöpfen zu können, um Gefahren abzuwehren.“ In dem Zusammenhang brachte Schilff erneut die Neuregelung der Vorratsdatenspeicherung ins Spiel. Ein Thema, das er als politisch ungelöst empfindet.

Solidaritätsbekundungen für Halle

In Niedersachsen und in vielen Städten unserer Region gedachten Menschen mit Mahnwachen der Opfer von Halle. In Gifhorn kamen rund 30 Menschen zusammen, um ein Zeichen gegen Antisemitismus und Rechtsextremismus zu setzen. Gifhorns Superintendentin Sylvia Pfannschmidt zeigte sich erschüttert, dass Glaubensgeschwister wegen ihres Glaubens verfolgt würden. Sie habe gedacht, dass solche Zeiten überwunden seien. Peines Landrat Franz Einhaus und Peines Bürgermeister Klaus Saemann (beide SPD) legten als „deutlich sichtbares Zeichen gegen gewalttätigen Antisemitismus und Ausländerhass“ am jüdischen Mahnmal der Stadt Blumen nieder. Für heute ist in Wolfenbüttel eine Solidaritätsveranstaltung geplant, am Samstag lädt das Braunschweiger „Bündnis gegen Rechts“ zu einer Kundgebung auf dem Kohlmarkt.

Niedersachsens Justizministerin Barbara Havliza (CDU) hält den Schutz von Gebäuden, sei es von Behörden oder religiösen Einrichtungen, für verbesserungswürdig. „Nach solchen Vorkommnissen wie in Halle ist es noch wichtiger zu sagen: Wir müssen mehr tun. Das zeigt, dass wir an keiner Stelle davor gefeit sind, dass sich Menschen mit abstrusen Gedanken aufmachen und in Gebäude eindringen. Wir brauchen Sicherheitskontrollen an allen Gerichtsgebäuden. Wir müssen alle viel wachsamer werden“, sagte sie anlässlich eines Besuch des Amtsgerichtes in Wolfenbüttel.

Für den Braunschweiger Landesbischof Christoph Meyns ist Solidarität mit der jüdischen Gemeinde in Deutschland ebenso ein Gebot der Stunde wie die Auseinandersetzung mit immer stärker werdenden rechtsextremen Tendenzen in der Gesellschaft. Rechtsextremismus biete laut Meyns den „Nährboden für Antisemitismus“. „Der Anschlag von Halle hat mich entsetzt. Er zeigt in drastischer Weise, dass der Antisemitismus nach wie vor ein großes Problem in unserer Gesellschaft ist. Wir alle müssen uns der Erkenntnis stellen, dass der Antisemitismus Teil unseres kulturellen Erbes und nach wie vor weit verbreitet ist. Der unverminderte Kampf dagegen ist deshalb umso dringender und notwendiger.“ Die Kirche habe sich im Laufe ihrer Geschichte schuldig gemacht, indem sie antisemitische Einstellungen vertreten und gefördert habe.

Muslime: Weckruf für alle

Solidaritätsbekundungen für die Opfer von Halle kam auch von muslimischen Verbänden in Niedersachsen. Halle müsse ein „Weckruf für alle“ sein, schrieb der Zentralrat der Muslime in einer Pressemitteilung. „Wir stehen mit allen Menschen guten Willens zu unserer Verantwortung für unsere von ethnischer und religiösen Vielfalt geprägten Gesellschaft. Diese Vielfalt gegen die Hassprediger, die bereits in unsere Parlamente eingezogen sind, zu schützen und zu verteidigen, wird größer und muss von mehreren Schultern getragen werden“, heißt es dort.

Rifat Fersahoglu-Weber, Vorstandsvorsitzender des Awo-Bezirksverbandes Braunschweig, zeigte sich in einer Stellungnahme erschüttert über die Tat. „Es ist abscheulich, dass Rechtsradikale in Deutschland wieder Synagogen stürmen und jüdische Menschen töten wollen. Wer bei dieser entsetzlichen Gewalttat von Alarmsignalen und Einzeltätern spricht, ignoriert oder verharmlost, was seit langem offensichtlich ist: Rechte Hetzer und Gewalttäter agieren immer unverfrorener gegen unser friedliches Zusammenleben.“

Doris Schröder-Köpf, Landesbeauftragte in Niedersachsen für Migration und Teilhabe, warnte ebenfalls davor, den Angriff zu verharmlosen. Als Reaktion darauf verlangte sie, Verfassungsfeinde aus Beamtenverhältnissen zu entlassen. „Vor allem an Schulen, bei der Polizei oder in der Bundeswehr.“

Die AfD-Fraktion im niedersächsischen Landtag forderte eine Verfolgung antisemitischer Übergriffe und zielt dabei auf den Anteil muslimischer Straftäter ab. „Laut zuständiger Staatsanwaltschaft bestünden keine Haftgründe gegen einen Syrer, der in Berlin mit einem Messer und unter „Fuck Israel“-Rufen in eine Synagoge eindringen wollte. Aber gerade hier an dieser Stelle darf der Rechtsstaat nicht versagen“, erklärte der Landtagsabgeordnete Jens Ahrends.

Beauftragter für Niedersachsen?

Niedersachsen will offenbar noch 2019 einen eigenen Antisemitismus-Beauftragten benennen. „Es gibt den Wunsch, dass das kommt“, sagte ein Sprecher des Justizministeriums unserer Zeitung. Die Abstimmungen dazu seien „in der finalen Phase“. Justizministerin Havliza war bereits für die Landesregierung damit beauftragt worden, ein Konzept für ein solches Amt sowie für eine Meldestelle für antisemitische Vorfälle zu entwerfen.

Schon im Frühjahr 2018 hatte Niedersachsens Landtagspräsidentin Gabriele Andretta (SPD) mehr Anstrengungen im Kampf gegen Antisemitismus gefordert. Andretta hatte sich ausdrücklich für einen eigenen Beauftragten ausgesprochen. Innerhalb der jüdischen Gemeinden war das Beauftragten-Modell zunächst umstritten. Michael Fürst, Landesverbandsvorsitzender der Jüdischen Gemeinden von Niedersachsen, hatte dann aber sein Einverständnis signalisiert.

Hier lesen Sie wie die jüdischen Gemeinden in Niedersachsen ihre Sicherheitslage einschätzen.