Braunschweig. Speditionsverbände fordern tausende neuer Lkw-Parkplätze an Autobahnen. Das Verkehrsministerium in Hannover erwidert: Es wird seit Jahren gebaut.

Warum gibt es dieses Problem so nicht in den europäischen Nachbarländern?

Das fragt Carsten Bode auf den Facebook-Seiten unserer Zeitung

Zu dem Thema recherchierte Dirk Breyvogel

Die Parkplatznot für Lkw-Fahrer entlang deutscher Autobahnen beschäftigt offenbar viele. Unzählige Fragen und Kommentare von Lesern trafen in der Redaktion ein, einige schickten selbst aufgenommene Bilder von wildparkenden Lastwagen, andere wie Jürgen Winter weisen uns auf die Notlage vieler Fahrer hin. Er schreibt: „Es ist eine Frage der Strecke. Die A2 ist besonders belastet. Wenn man abends mal durch das Shopping- und Industriegebiet Stederdorf oder die Braunschweiger Straße fährt, sieht man Unmengen von Lkw, vor allem aus dem östlichen Ausland. Wo sollen sie auch hin in ihrer Not! Wir als Bevölkerung verlangen immer frische Waren und ein immer währendes Angebot von Dingen, die Unternehmen wollen aber an der kostenintensiven Lagerhaltung sparen.“

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© Jürgen Runo

Die vorangestellte Frage des Lesers, warum Deutschland hier ein negatives Alleinstellungsmerkmal besitzt, ist für den verkehrspolitischen Sprecher der Grünen-Landtagsfraktion, Detlev Schulz-Hendel, leicht zu erklären. Der Oppositionspolitiker im Landtag kritisiert die „seit Jahren vertane Chance, die verkehrspolitische Wende in Deutschland einzuleiten“. Dafür trage laut Schulz-Hendel auch das niedersächsische Wirtschaftsministerium seit Jahren eine Mitverantwortung. „Wir als Grüne sehen zwar die Nöte der Transportbranche und teilen die Sicherheitsbedenken, die durch fehlende Parkplätze entlang deutscher Autobahnen entstehen. Unser Schluss, der daraus gezogen werden muss, ist aber ein anderer. Deutschland muss es schaffen, den Güterverkehr endlich stärker auf die Schiene zu bekommen.“

Schulz-Hendel verweist auf Zahlen aus der Schweiz und Österreich. Der Anteil des Güterverkehres auf der Schiene betrage in diesen Ländern zwischen 37 und 41 Prozent. „In Deutschland liegt der Anteil bei etwa 17 Prozent. Das macht sehr deutlich, dass seitens des Bundesverkehrsministeriums und der Bahn jahrelange Versäumnisse dazu geführt haben, dass wir mit der Verlagerung der Güter auf die Schiene im europäischen Vergleich hinten an stehen.“

Kurzfristig, auch um die Gefahr von Unfällen durch wildparkende Lkw zu verringern, müsste unter anderem mit Hilfe digitaler Leitsysteme die bestehenden Stellplatzkapazitäten besser genutzt werden. „Mit Blick auf die Digitalisierung im Verkehrswesen müssten wir im Jahr 2019 eigentlich viel weiter sein“, kritisiert Schulz-Hendel. Projekte wie das sogenannte Kolonnen- beziehungsweise Kompaktparken, das auf der bayerischen Raststätte Jura-West an der A3 zwischen Nürnberg und Regensburg getestet wird, müssten gefördert und ausgeweitet werden. Hier haben Lastwagen-Fahrer in Echtzeit die Möglichkeit, digital die Auslastungskapazitäten zu verfolgen. „Mittels dynamischer Anzeigen werden in freien Parkstandsreihen Abfahrtszeiten für Kurz- und Langzeitparker angeboten. Füllt sich der Parkbereich, wird das Angebot auf die am stärksten nachgefragten Abfahrtszeiten konzentriert. Ankommende Fahrer entscheiden anhand ihrer geplanten Abfahrtszeit und ihrer Fahrzeuglänge selbst, wo sie parken. Detektoren erkennen die vollständige Belegung einer Parkstandsreihe“, heißt es auf der Internet-Seite des Unternehmens, dass die neue Technik installiert hat. Es verspricht: „Durch das Kompaktparken können deutlich mehr Parkmöglichkeiten – circa 50 Prozent mehr Parkstände – auf der vorhandenen Verkehrsfläche auf Rastplätzen geschaffen werden.“ Auch an der Rastanlage Breisgau in Baden-Württemberg wird ein Modell getestet. Die dort eingesetzte „Laserscan-Technologie“ erfasst die freien Plätze und stellt sie für suchende Fahrer online.

Eine flexiblere Nutzung der begrenzten Parkplatzkapazitäten fordern auch Leser wie Jürgen Kirchmann aus Lehre. Er moniert, dass an der Anlage Uhry an der A2 im Kreis Helmstedt Lkw-Fahrer in den Abendstunden gezwungen würden, an den Seitenstreifen der Auf- und Abfahrten ihr Fahrzeug abzustellen, während Pkw-Parkplätze stundenlang verwaist seien. Bilder, die Kirchmann unserer Zeitung schickte, belegen das. Er fordert von den politisch Verantwortlichen, dass die Zahl der Pkw-Stellplätze gerade in den kritischen Nachtzeiten zugunsten von mehr Platz für Lastwagen reduziert werden muss.

Das niedersächsische Verkehrsministerium weist die Kritik des Grünen-Politikers Schulz-Hendel zurück. Nach Angaben einer Sprecherin seien allein in der Region Braunschweig seit 2008 rund 500 zusätzliche Lkw-Stellplätze entstanden, etwa 600 weitere seien aktuell in Planung. Man setzte zudem auf die Digitalisierung der Parkplatzsuche und der sich im Test befindlichen „telematischen Systeme“. Damit sei die Hoffnung verbunden, so das Ministerium, dass freie Plätze auf Rastanlagen künftig optimaler ausgenutzt werden könnten.

Im Jahr 2014 hatte eine vom Bund in Auftrag gegebene Studie (Deges-Studie) für Niedersachsen einen Fehlbestand von knapp 1000 Plätzen errechnet. Besonders problematisch offenbarte sich die Situation zum Zeitpunkt der Erhebung an den „bewirtschafteten Rastanlagen“ (siehe Grafik). Das von Vize-Regierungschef Bernd Althusmann (CDU) geführte Ministerium erklärt, dass man sich der zum Teil kritischen Parkplatzsituation für LKW-Fahrer bewusst sei. Man unternehme landesweit viel, um diese Situation zu verbessern. „So sind seit 2009 rund 2.950 zusätzliche Lkw-Parkstände auf Rastanlagen und privaten Autohöfen in Niedersachsen gebaut worden, wodurch die Parkplatzsituation bereits entschärft werden konnte. Nach den aktuellen Planungen sollen bis 2025 weitere 1.800 Lkw-Parkplätze gebaut werden – insbesondere an den stark befahrenen Autobahnen A1, A2 und A7“, heißt es in einer schriftlichen Stellungnahme.

Den Vorwurf, die verkehrspolitische Wende verschlafen zu haben, will Althusmann nicht stehen lassen. Mit Blick auf die stärkere Nutzung des Schienen-Gütertransports in der Schweiz oder Österreich, erklärt sein Ministerium, dass von der Anzahl der transportierten Güter nicht automatisch ein Rückschluss auf die Verfügbarkeit und den Zugang zu Lkw-Stellplätzen gezogen werden könne. „Obwohl der Anteil der transportierten Güter auf der Schiene in Österreich und der Schweiz höher als in Deutschland ist, spielen für die Verfügbarkeit von Lkw-Stellplätzen auch andere Faktoren eine entscheidende Rolle. So müssen auch die Anzahl, die Lage und die Preise der öffentlichen Stellplätze in Österreich und der Schweiz mit betrachtet werden. Außerdem müssten für so einen Rückschluss die Lieferdistanzen, Ladezeiten oder Parkmöglichkeiten bei Firmen in den jeweiligen Ländern verglichen werden und wie groß der Bedarf an Lkw-Parkplätzen für den Transit-Verkehr ist.“

Weitere Zahlen des Ministeriums belegen, dass allein mit dem Bau der Rastanlagen Salzgitterhüttenblick und Herzogsberge an der A39 insgesamt 162 zusätzliche Plätze in unserer Region geschaffen wurden.

Schaut man auf bundesweite Zahlen wirkt das allerdings nur wie ein Tropfen auf dem heißen Stein. Der Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) schätzt, dass bundesweit bis zu 40.000 Brummi-Parkplätze fehlen. Auch die Stichproben-Zählung der Vereinigung deutscher Autohöfe (Veda) ermittelt in etwa diesen Bedarf. Nach Schätzung des BGL sind auf deutschen Straßen täglich rund 500.000 einheimische Lastwagen und mindestens 300.000 ausländische Fahrer unterwegs – Tendenz steigend. Der Bund müsse beim Stellplatzausbau endlich Gas geben.