Braunschweig. Dietmar Schilff, Landesvorsitzender der Polizeigewerkschaft Niedersachsen, berichtet über Nachwuchssorgen und marode Dienstwachen.

Übergriffe auf Beamte, Dienste in maroden Polizeiwachen, mehr Arbeit und zu wenig Personal: so sieht der berufliche Alltag vieler Polizisten derzeit in Niedersachsen aus. Davon berichtet Dietmar Schilff, Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei in Niedersachsen (GdP), der die Interessen der Beschäftigten in der Polizei vertritt. Über das Ansehen des Berufes in der Bevölkerung und eine schnellere Abwicklung von Straftaten sprach der Gewerkschafter im Interview mit Chefredakteur Armin Maus

Polizisten und Notärzte werden bei Einsätzen angegriffen. Man hat den Eindruck, dass es einen gewissen Teil der Gesellschaft gibt, der glaubt, für ihn gelten Regeln nicht. Wie erleben sie das?

Diese Erfahrung machen wir auch. Die Kollegen auf der Straße kümmern sich um ein Unfallopfer und sehen, dass Schaulustige ihre Handys herausholen. Das ist respektlos. Dazu kommen Angriffe gegenüber Einsatzkräften, die erschreckend sind. Wir haben zehn Jahre lang gefordert, einen Paragrafen einzuführen, damit die Angreifer auf Vollstreckungsbeamte bestraft werden können. Seit einem Jahr ist der Paragraph 114 im Strafgesetzbuch verankert. Jetzt muss die Justiz diesen mit Leben füllen. Die Täter müssen merken, dass sie etwas Unrechtes getan haben. Es geht hier nicht um eine Doppelbestrafung des Täters. Es geht hier nicht „nur“ um Körperverletzung, sondern um den Angriff auf den Polizisten. Ein Angriff auf einen Polizisten, ist ein Angriff auf die Demokratie.

...und wie sieht die Situation bei besonders schweren Delikten aus?

Bei Schwersttätern muss man auch mal sagen „er fährt dann einfach auch mal ein“, also wird in Haft genommen. Der Paragraph ist zum Schutz für Polizisten und Rettungskräfte gedacht.

Herr Schilff, in Niedersachsen gibt es den Versuch durch ein beschleunigtes Verfahren auch „durchreisende Straftäter“ besser zu fassen, die sich sonst durch Flucht der Bestrafung entziehen können. Was bedeutet das für die Polizei?

Dieser Weg ist richtig. Justizministerin Barabara Havliza muss dafür die gesetzliche Grundlage schaffen. Wir sind sehr interessiert daran, was in dem Gesetzentwurf drin stehen wird. Wir merken, dass Straftäter schnell zur Verantwortung gezogen werden müssen, die Strafe muss auf den Fuß folgen. Besonders auch dann, wenn respektlos gegenüber den Kollegen vorgegangen wird. Es gibt Täter, die nicht mehr wissen, wofür sie angeklagt wurden, weil die Tat mehr als ein Jahr zurück liegt. Der Vorschlag eines beschleunigten Verfahrens ist richtig. Es kann doch nicht sein, dass ein „reisender Täter“ nicht angeklagt wird, nur weil die halbjährige Anklagefrist zu Ende geht.

Man kann also mit einem konsequenten Eingreifen Straftaten verhindern?

Ja, aber auch die Justiz braucht dafür mehr Personal. Wenn beispielsweise 2500 Verfahren von häuslicher Gewalt vorliegen, dann müssen diese abgearbeitet werden. Bei neuen Gesetzten- wie etwa bei dem Gewaltschutzgesetzt- muss daran gedacht werden, dass sich die Zahl der Verfahren erhöht. Das wiederum bedeutet, dass mehr Personal benötigt wird.

Nicht nur die Zahl der Angriffe gegenüber Polizisten steigen. Auch die Internetkriminalität ist ein wachsender Bereich. Die Ausstattung der Polizei war bislang ein Problem. Ist das noch immer so?

Ja, das ist immer noch ein Problem. Wir brauchen Fachleute aus den Hochschulen und eine bessere Bezahlung des Personals. Auch die Ausstattung könnte besser sein. Im Haushaltsansatz für 2020 sind für die niedersächsische Polizei 17 Millionen gefordert worden, wir sollen aber, wenn es nach der Landesregierung geht, nur 7 Millionen zur Verfügung gestellt bekommen. Das kritisieren wir massiv und führen dazu intensive Gespräche mit den Parlamentariern, damit sie sich bei den Haushaltsberatungen im Landtag dafür einsetzten, dass die Polizei mehr finanzielle Möglichkeiten erhält.

Sieben Millionen Euro sind nicht viel, wenn man bedenkt, wofür sie bei der Polizei eingesetzt werden müssen. Wie kann das reichen?

In die Arbeit der Polizei muss investiert werden. Die Streifenwagen sind veraltet, Mieten sind erhöht worden und die Dolmetscherkosten steigen. Die Polizei-Fahrzeuge müssen gewartet werden und die Benzinpreise steigen. Wir sollen weniger Kilometer fahren und mehr Fußstreife gehen. Ein großes Problem sind vor allem die maroden Polizeiwachen. Alleine dafür werden mindestens 20 Millionen Euro benötigt. Im Prinzip muss dann wieder an anderer Stelle gespart werden.

Das alles ist eben mit sieben Millionen Euro nicht zu bezahlen. Vor allem die maroden Polizeiwachen sind ein großes Problem. In Querum wurde ein ehemaliges Flüchtlingsheim für die Polizei umfunktioniert. Dort sieht es unglaublich aus! Das ist aber nur die Spitze des Eisbergs. Beim Spezialeinsatzkommando in Hannover wurde die Dienstkleidung von Ratten angefressen. In Dienststellen riecht es nach Schimmel, geplatzte Leuchtstoffröhren mit bedenklichen Leuchtmitteln werden nicht sofort ausgetauscht. Das sind Fragen des Gesundheitsschutzes, die geklärt werden müssen. Es ist nicht jede Dienststelle betroffen, aber es gibt Wachen wie beispielsweise in Cuxhaven, in denen die Lage besonders dramatisch ist. Wenn die Dienststellen so aussehen, erfahren die Polizeibeamten keine Wertschätzung. Cuxhaven wird aber nun saniert.

Herr Schilff, wie attraktiv ist der Polizeidienst denn noch? Wie sieht die personelle Situation bei der Polizei aus? Im Handwerk kann ja derzeit nur höchstens jede zweite Stelle besetzt werden.

Trotz allem ist der öffentliche Dienst generell attraktiv. Die Polizei genießt in der Bevölkerung ein hohes Ansehen. Wir brauchen aber viele Bewerber, um eine Auswahl durchzuführen. In den vergangenen drei Jahren haben wir 1250 Menschen zusätzlich über die Pensionierung hinaus eingestellt. nach dem dreijährigen Studium unterstützen sie den Polizeidienst. Dazu kommen noch 250 tarifbeschäftigte Angestellte, die in 2018 für bestimmte Bereiche eingestellt wurden. Die Forderungen der Gewerkschaften wurden positiv umgesetzt.

Der öffentliche Dienst bietet eine gewisse Sicherheit. Wie zufrieden sind Sie mit dem Personal, dass am Ende des Auswahlprozesses in die Ausbildung startet?

Ich bin zufrieden. Nach der Ausbildung müssen die Beschäftigten dienstliche Erfahrung sammeln und sich einbringen. Nach drei Jahren kann man die ausgebildeten Polizisten nicht sofort in allen schwierigen Situationen einsetzen, aber die Polizisten sind sehr motiviert und wollen etwas bewegen. Aber die Konkurrenz in anderen Bundesländern ist groß. In Niedersachsen sind wir immer noch im unteren Bereich der Bezahlung. Viele potenzielle Bewerber schauen, wie es in den anderen Bundesländern im Besoldungsvergleich aussieht. Bewerber schauen auch auf die Bundespolizei, dort bekommen Polizeibeamte 400 Euro mehr im Monat.

Wie ist die Situation in den andern Bundesländern bezüglich der Jahresleistungen und des Weihnachtsgeldes?

Niedersachsen ist eines der Bundesländer mit den geringsten Gehältern im Polizeidienst, schon 2005 wurde auch das Weihnachtsgeld abgeschafft. Nach der Ausbildung verdient ein Polizist etwa 2000 Euro netto, die Leistungsbeförderungen dauern viel zu lange und auch Nacht- und Sonntagsdienste werden in Niedersachsen zu gering vergütet. Die Arbeit der Polizei in Niedersachsen muss dringend besser bezahlt und auch mehr wertgeschätzt werden.

Es gibt also einen doppelten Abstand zu den anderen Bundesländern: die monatliche Besoldung und die Jahresleistungen sind ein Thema?

Natürlich, das hat selbst das Bundesverwaltungsgericht letztes Jahr festgestellt. Hier muss auch die Polizeizulage angesprochen werden. Durch die Föderalismusreform wurde die Ruhegehaltfähigkeit für Polizisten abgeschafft, dass heißt die Polizeizulage wurde bei der Berechnung des Ruhegehalts nicht mehr berücksichtigt, andere Bundesländer führen diese jetzt wieder ein und erhöhen sie. Der Nachwuchs orientiert sich an einer guten Bezahlung, aber auch an der Gesundheitsvorsorge und wie sich Familie und Beruf vereinbaren lassen.

Wir brauchen gutes Personal bei der Polizei und müssen schauen, wie sich das entwickelt. Der Beruf wird in der Bevölkerung sehr geschätzt und wir wollen, dass das in Zukunft so bleibt.