„Mit Diffamierung, Dämonisierung und Verboten löst man keine Zukunftsfragen. Viel sinnvoller ist es, die sachliche Debatte zu führen.“

Die Jagd nach dem Sündenbock ist die einfachste.Dwight D. Eisenhower

Ein furchtbarer Unfall erschüttert die Republik. Auch wenn er sich in Berlin ereignete, fühlte es sich auch für viele in unserer Region an, als sei er vor der eigenen Haustür geschehen.

Die Kollegen der „Berliner Morgenpost“ fassen zusammen: „Der tödliche Unfall ereignete sich am Freitagabend um 19.08 Uhr an der Invalidenstraße Ecke Ackerstraße in Berlin-Mitte. Ein Porsche SUV raste auf den Gehweg, erfasste dabei vier Fußgänger und schleuderte dann durch einen Zaun auf ein Baugrundstück. Bei dem Unfall wurden vier Menschen getötet und drei Personen verletzt. Unter den Toten sind ein drei Jahre alter Junge, dessen Großmutter (64) und zwei Männer (28 und 29). Die Mutter (38) und ihr Sohn (9) blieben körperlich unverletzt. In dem Porsche SUV saßen außer dem Fahrer (42) auch seine sechs Jahre alte Tochter und Mutter (67). Die Unfallursache ist noch unklar. Die Polizei schließt gesundheitliche Probleme des Fahrers nicht aus, möglicherweise hatte der 42-Jährige einen epileptischen Anfall.“

Anders als mit dieser klaren Sachlichkeit sollte man über einen grauenvollen Unfall nicht berichten. Dieselbe Tugend wäre auch der sich anschließenden politischen Debatte zu wünschen gewesen. Die Trauer um die Menschen, die der Unfall aus dem Leben gerissen hat, hatte wenig Platz; die Debatte tobte mit dem Bekanntwerden des Unglücks mit einer Heftigkeit, die die Frage aufwirft, ob Pietät dem kollektiven Vergessen anheim gefallen ist. Der stellvertretende Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Oliver Krischer, nahm die Todesfälle zum Anlass (oder Vorwand?) für die Forderung, große Geländewagen aus den Innenstädten nach Quote zu verbannen, der Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, Jürgen Resch, sekundiert: „Stadtpanzer raus aus unseren Städten.“ Ich finde es erstaunlich, dass er diesen Satz in TV-Kameras sprach, ohne rot zu werden. Ein Panzer ist gebaut, um Krieg zu führen, der Panzerfahrer führt eine Waffe. Die Gleichsetzung des Porsche mit einem Panzer impliziert, ein SUV-Fahrer sei in kriegerischer Absicht unterwegs. Es ist damit der massivste mögliche Beitrag zur Entsachlichung einer Diskussion.

Bis heute kann niemand sagen, warum der Geländewagen über den Gehsteig fuhr. Der Fahrer schweigt. Im Rechtsstaat darf er das; gegen ihn wird wegen fahrlässiger Tötung ermittelt, wie in solchen Fällen üblich. Die Polizei hört rund 50 Zeugen, wertet das Dashcam-Video eines Taxifahrers aus. Nach wie vor schließt sie ein gesundheitliches Problem des Fahrers nicht aus.

Angesichts der ohnehin grassierenden Pietätlosigkeit fällt die folgende Frage schwer. Aber sie muss gestellt werden. Wäre der Unfall anders verlaufen, wenn statt des Porsche ein bei Umweltaktivisten wohlgelittener, elektrisch Fahrender Tesla oder ein braves Familienauto wie der VW Passat verwickelt gewesen wäre? Zweifel sind angebracht. „Man kann nicht einfach sagen: SUV ist grundsätzlich gefährlicher als ein Polo oder als ein Smart“, sagt jedenfalls der Unfallforscher Siegfried Brockmann, der für den Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft arbeitet und die Schadensmeldungen der Versicherer kennt.

Man hat den Eindruck, das Unglück werde als Kulisse missbraucht. Der Unfallwagen ist ein Porsche Macan, knapp fünf Meter lang, zwei Meter breit, leer fast
1,8 Tonnen schwer, Preis ab knapp 60.000 Euro. Ein Statussymbol. Autofans sagen, das Fahrzeug sei eine besonders gelungene Verbindung von exklusiver Sportlichkeit und Alltagsnutzen. Für andere verkörpert er ein Feindbild, das mit allen Mitteln bekämpft wird.

Um nicht falsch verstanden zu werden: Man darf sich Gedanken machen, ob Autos fast zwei Tonnen wiegen müssen und unendliche Leistungsreserven brauchen, zumal in den Innenstädten unserer Großstädte. Dort ist Stop-and-go der Normalfall, dort erscheint die Massivität gerade der geländegängigen Modell als absurd.

Regulatorische Eingriffe des Staates sind grundsätzlich möglich. Aber sie sollten in Ruhe und mit validen Argumenten diskutiert werden, nicht mit Totschlagvokabeln vom Typ „Stadtpanzer“.

Tatsache ist, dass immer mehr Autokäufer sich für geländewagenartige Modelle entscheiden. Die Autoindustrie zwingt ja niemanden, zum Beispiel statt einem Golf den Tiguan aus den Türmen der „Autostadt“ zu fahren. Die SUVs auf deutschen Straßen sind das Resultat einer freien Kaufentscheidung von Bürgerinnen und Bürgern. Die zunehmend radikale Öko-Debatte geht an dieser simplen Tatsache erstaunlich nonchalant vorbei.

Mit Diffamierung, Dämonisierung und Verboten löst man keine Zukunftsfragen, man vergiftet lediglich das Diskussionsklima. Viel sinnvoller ist es, die sachliche Debatte zu führen und dabei die Kräfte der Marktwirtschaft zu nutzen. Führende Köpfe der Autoindustrie scheinen dazu bereit zu sein. Bei der IAA zeigte vor allem Volkswagen, dass man die Umweltherausforderung anzunehmen bereit ist. Bisher allerdings sind Gesprächspartner rar, deren Argumentation mehr als Schwarz und Weiß zu bieten hat. VW-Chef Herbert Diess, der an riskanten öffentlichen Auftritten Gefallen zu finden scheint, ließ sich diese Woche auf ein Streitgespräch mit der militanten Öko-Aktivistin ein, die sich hinter dem Pseudonym Tina Velo verbirgt wie die Anti-Atom-Demonstranten früherer Jahre hinterm Palästinensertuch. Frau Velo hält die Autoindustrie für „hochgradig kriminell“, für ein „mafiös gestricktes Konglomerat“. Diess nahm es gelassen und wagte ehrliche Antworten. Etwa die, dass die hohen Verkaufserlöse der Boliden die Autoindustrie überhaupt erst in die Lage versetzen, in umweltfreundliche Modelle zu investieren. Das schmeckt nicht jedem, entspricht aber wirtschaftlicher Logik.

Bei allem notwendigen Nachdenken über die klimaneutrale Mobilität wird es wichtig sein, die Gesetze der Ökonomie zu achten. Angesichts der lustvollen Demontage der Autoindustrie – für die sie manches Werkzeug lieferte – muss daran erinnert werden, dass der Wohlstand in Deutschland von der Autobranche maßgeblich abhängt. Dies zu ignorieren, wäre unverantwortlich.