Wolfsburg. Die SWR-Behauptung bezüglich der weiterhin manipulierten Abgas-Software birgt jede Menge Zündstoff.

Die Reaktion des VW-Sprechers, dass es nicht verboten sei, sogenannte Fahrkurven festzulegen, ist sicherlich nicht geeignet, verloren gegangenes Vertrauen zurück zu gewinnen...

Dies schreibt „Andy Anders“ auf unseren Internet-Seiten

Zum Thema recherchierten Andreas Schweiger und Alexander Klay

Der Chemiker und Abgas-Experte Axel Friedrich ist auf Volkswagen nicht gut zu sprechen. Friedrich war es, der 2015 den Abgas-Betrug mit aufgedeckt hat. Auch die aktuellen Vorwürfe gegen VW, in Diesel-Motoren des Typs EA288 unzulässige Software einzusetzen, sind nach seiner Einschätzung gedeckt, wie er unserer Zeitung sagte.

Dass Volkswagen die Berichte des SWR über den Einsatz einer Zykluserkennung und auch den Einsatz einer Abschalteinrichtung entschieden dementiert, lässt Friedrich kalt. „VW dementiert etwas, was gar nicht behauptet wird“, sagte er unserer Zeitung. Der Autobauer würde sich nur auf jüngere Motoren des genannten Typs beziehen. Die Vorwürfe bezögen sich hingegen auf EA288-Aggregate, die bis Mitte 2016 produziert worden seien.

Das wollte ein VW-Sprecher gegenüber unserer Zeitung so nicht stehen lassen. Nach seinen Angaben befindet sich in den neuesten Motoren keine Fahrkurvenerkennung, auch Zykluserkennung genannt. Dieses System kann unterscheiden, ob sich das Auto in einem Prüfzyklus befindet oder nicht.

In älteren Motoren könne zwar solch ein System verbaut sein. Das verstoße aber erst dann gegen Vorschriften, wenn es dazu eingesetzt werde, die Emissionsziele zu erreichen – wenn das System also manipuliert. Wie der Sprecher sagte, werde die Fahrkurvenerkennung aber nirgendwo zur Erreichung der zulässigen Abgaswerte eingesetzt. Ebenso gebe es in keinem Motor eine Abschalteinrichtung.

Mit der Entdeckung von Betrugsprogrammen bei der Abgasreinigung brach im September 2015 der Dieselskandal los. Im Zentrum: Der millionenfach verkaufte Dieselmotor EA189, der in den meisten Massenmodellen aus dem Volkswagen-Konzern steckte. Fast genau vier Jahre später gibt es nun erneut Wirbel um Dieselmotoren aus Wolfsburg. Diesmal unter Verdacht: der Nachfolger des Skandalmotors. Nach Recherchen des Senders SWR soll es auch beim Motor EA288 mit der aktuellen Abgasnorm Euro 6 unzulässige Manipulationen gegeben haben. Eine „Zykluserkennung“ stelle fest, ob sich das Auto gerade auf einem Prüfstand befinde. Das gehe aus internen VW-Dokumenten hervor.

Beim „Dieselskandal“ musste VW eingestehen, dass die Abgasreinigung bei manipulierten Motoren nur in solchen Situationen korrekt arbeitet. Im Normalbetrieb wird jedoch viel mehr Stickstoffdioxid (NOx) ausgestoßen als erlaubt. In einer technischen Beschreibung zu der aktuellen Motorengeneration sei laut SWR nun die Rede von „Nutzung und Erkennung“ des EU-Abgastests, um eine „Umschaltung der Rohemissionsbedatung streckengesteuert auszulösen“. Dies bedeute, so der Sender, es handele sich dabei um die gleiche Abgasmanipulation, die VW im September 2015 zugegeben hatte.

Das Kraftfahrt-Bundesamt – vor dem hier ein VW-Tiguan steht – hat keine eigenen Hinweise auf weitere Manipulationen.
Das Kraftfahrt-Bundesamt – vor dem hier ein VW-Tiguan steht – hat keine eigenen Hinweise auf weitere Manipulationen. © dpa | Carsten Rehder

Volkswagen tritt dieser Ansicht entschieden entgegen. Bereits im Herbst 2015 hatte VW die neue Motorengeneration untersuchen lassen. Damals war der Verdacht auf die Beeinflussung von Abgasdaten „nach gründlicher Prüfung“ entkräftet worden, heißt es.

Auch das zuständige Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) hat keine eigenen Hinweise auf weitere mögliche Manipulationen bei EA288-Dieselmotoren von Volkswagen. Wie unsere Redaktion erfuhr, bewertet das KBA die aktuellen Vorwürfe als „nicht neu“. Dies teilte das KBA dem Bundesverkehrsministerium mit. Das Kraftfahrt-Bundesamt habe „zu diesen Modellen bereits in 2016 eigene Messungen, Untersuchungen und Analysen durchgeführt. Unzulässige Abschalteinrichtungen konnten dabei nicht festgestellt werden und zwar auch nicht in Gestalt einer unzulässigen Zykluserkennung“.

Sollte sich der Verdacht gegen Volkswagen jedoch verhärten, so wäre dies laut dem Automobilexperten Ferdinand Dudenhöffer ein „Riesenskandal“. Der Professor der Universität Duisburg-Essen sagte unserer Redaktion: „Es handelt sich um Vermutungen, die auf internen Unterlagen beruhen. Man sollte sehr vorsichtig sein, solche Vermutungen anzustellen und große Konzerne zu beschuldigen, ohne die Details zu kennen.“ Sollte der SWR-Bericht zutreffen, wäre laut Dudenhöffer die „Glaubwürdigkeit, die sich VW wieder aufgebaut hat“ dahin und damit auch die „Aussagen rund um die Elektromobilität, wie sie VW jüngst auf der IAA getroffen hat.“

Professor Stefan Bratzel, der das Auto-Institut der Fachhochschule in Bergisch-Gladbach leitet, gab sich gegenüber unserer Zeitung zurückhaltend: „Es ist schwer vorstellbar, dass Volkswagen nach der Aufdeckung des Abgas-Skandals Anweisungen gegeben hat, erneut eine betrügerische Software einzusetzen.“

Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH), fordert die Autobranche auf, die Fakten auf den Tisch zu legen: Wann wird bei Dieselmotoren die Abgasreinigung abgeschaltet – bei welchen Temperaturen, Lenkmanövern oder Geschwindigkeiten. „Wir weisen seit vier Jahren darauf hin: Abschalteinrichtungen betreffen alle Dieselmotoren aller Hersteller, ausdrücklich auch mit Euro-6-Motor“, sagt Resch. Die Umwelthilfe hat nach eigenen Angaben über 1500 eigene Messungen an Dieselfahrzeugen vorgenommen und hat Diesel-Fahrverbote in immer mehr deutschen Städten wegen zu hoher Stickoxid-Werte in der Luft erstritten. Der Dieselskandal hatte den damaligen Konzernchef Martin Winterkorn im Herbst 2015 seinen Job gekostet. Gegen ihn und weitere Manager laufen Ermittlungen, etwa bei der Staatsanwaltschaft Braunschweig. Auch der Vorstandsvorsitzende der Konzerntochter Audi musste seinen Posten räumen, nachdem er im Juni 2018 verhaftet wurde und vier Monate lang wegen Verdunkelungsgefahr in Untersuchungshaft saß. Winterkorns Nachfolger Matthias Müller leitete bei VW einen Wandel zur Elektromobilität ein und übergab sein Amt 2018 an den heutigen Vorstandschef Herbert Diess.

Die Folgen des Abgasbetrugs sind eine große Last für den Autohersteller. Bis Ende 2018 hat er VW rund 27 Milliarden Euro gekostet – für Strafzahlungen, den Rückkauf von Fahrzeugen und Schadenersatz, insbesondere in den USA. Fürs laufende Jahr rechnet man in Wolfsburg mit weiteren Kosten von 5,5 Milliarden Euro. VW ist bislang der einzige Hersteller, der Manipulationen bei der Abgasreinigung bei seiner Motorengeneration EA189 eingestanden hat. Staatliche Untersuchungen und angeordnete Rückrufaktionen bei anderen Autobauern nähern jedoch den Verdacht, dass auch sie womöglich illegale Abschalteinrichtungen eingesetzt haben.