Gelingt es Greta und ihren Fans, einen Wandel hin zu mehr Nachhaltigkeit in Gang zu bringen? Beim Bau des nächsten Windparks oder der nächsten Stromtrasse wird es sich zeigen.

„Wir haben die Erde nicht von unseren Vorfahren geerbt, wir haben sie von unseren Kindern geliehen.“
Sitting Bull (1831-1890),
Häuptling der Hunkpapa-Sioux

Dem oben zitierten legendären Häuptling Sitting Bull war sehr bewusst, wie entscheidend die natürlichen Lebensgrundlagen für den Fortbestand seines Volkes sein würden. Letztlich war es nicht die US-Kavallerie, die den stolzen Stamm der Sioux zur Kapitulation zwang. Es waren die Büffeljäger. Als in den 1870er Jahren der Bison nahezu ausgerottet war, war das Schicksal der Prairie-Indianer besiegelt: ohne Bisonfleisch, -felle, -häute und -knochen gab es weder Nahrung noch Kleidung, Zelte und Pfeilspitzen.

Sitting Bulls Weisheit des Naturmenschen erschließt sich den „Zivilisierten“ erst nach und nach. Für viele Nutznießer unseres – gewiss hart erarbeiteten – Wohlstands sind Nachhaltigkeit, Umwelt- und Klimaschutz zweitrangig. Ändert sich das gerade? Verschieben sich die Gewichte von Raubbau und Konsum zu Verzicht zugunsten des Klimas und der Umwelt? Zwei Schlagzeilen der Woche legen dies nahe.

Da ist die schwedische Klima-Aktivistin Greta Thunberg, die gerade mit einer Segelyacht den Atlantik überquert, um bei der UN-Klimakonferenz in New York zu sprechen. Ein Jahr nach ihrem ersten „skolstrejk“ ist die 16-Jährige längst zur Ikone der Klimaschutzbewegung geworden, gefeiert in Sozialen Netzwerken und Massenmedien. Greta erfüllt gleich mehrere Nachrichtenfaktoren: Schulstreiks polarisieren und sind ziviler Ungehorsam. Die noch so kindlich wirkende Jugendliche mit den langen Zöpfen fragt Abgeordnete vor dem Parlament einfach direkt: „Warum tut ihr nichts?“ Das ist mutig – und so entwaffnend.

Außerdem passen bei ihr – zumindest auf den ersten Blick – Worte und Taten zusammen. Politikern werfen wir oft vor, dass sie nach Wahlen anders handeln, als sie es im Wahlkampf versprochen haben. Greta erscheint dagegen sehr authentisch. Nun lässt sie sich also zwei Wochen über den rauen Atlantik schippern, statt acht Stunden im Flugzeug zu sitzen. Zwar verbrennt eine Segelyacht kein Kerosin, doch nach Gretas Ankunft fliegen Mitarbeiter ihres Oldenburger Skippers Boris Herrmann in die USA, um die Yacht zurückzuholen. Zudem reisten Journalisten aus aller Welt nach Plymouth, um von Gretas Abreise zu berichten. „Klimaneutral“ kann das alles nicht sein.

Ist die Atlantiküberquerung vielleicht ohnehin nur eine ganz abgezockte PR-Masche? Bereits im Winter gab es Vorwürfe, hinter Greta Thunberg stehe der schwedische Unternehmer Ingmar Rentzhog. Tatsächlich nutzte Rentzhog die Aktivistin als Testimonial für sein Start-Up, eine Social-Media-Plattform für Umweltschutzinteressierte. Inzwischen distanzierte sich Greta von dieser Kampagne. Der schwedische Journalist Andreas Henriksson sagte dem „Focus“: „Nein, sie ist kein PR-Produkt. Sie glaubt wirklich an das, was sie macht. Sie ist sie selbst. Sie ist ein Phänomen.“

Dem „Phänomen“ folgen auf Instagram, Facebook und Twitter mehr als 4,5 Millionen Menschen. Gretas Eltern, die Opernsängerin Malena Ernman und der Schauspieler Svante Thunberg, wissen sehr genau, wie Öffentlichkeit im Social-Media-Zeitalter funktioniert. Sie müssen sich fragen, wie viel Wirbel für ihre Tochter verkraftbar ist. Greta leidet unter dem Asperger-Syndrom, einer Variante des Autismus. Und neben Bewunderung zieht ihr Engagement auch hasserfüllte Kommentare in den Sozialen Netzwerken auf sich. Dort wird die 16-Jährige dann als #klimagretel verunglimpft, die uns das Autofahren, Urlaubsflüge, geheizte Stuben und Fleischkonsum vermiesen wolle. Schon warnt der CDU-Bundestagsabgeordnete Patrick Sensburg vor Greta: „Wer Angst schürt und die Gesellschaft spaltet, erreicht selten Gutes!“ Das stimmt, gilt aber auch für jene, die einfach weitermachen wie bisher.

Insofern waren die etwa 30 Klimaaktivisten, die am Dienstag in Wolfsburg einen Autozug voller Neuwagen blockierten und sich in der Autostadt an die Decke hängten, wohl an der falschen Adresse. Man kann Volkswagen manches vorwerfen, doch untätig ist der Konzern beim Klimaschutz nicht (mehr). Den in der Strategie 2025 verankerten radikalen Schwenk zur E-Mobilität halten manche Beobachter angesichts der vielen Probleme bei Batterien und Lade-Infrastruktur eher für existenzgefährdend. In jedem Fall war den Klimaaktivisten öffentliche Aufmerksamkeit gewiss, denn natürlich ist Wolfsburg das Symbol der deutschen Automobilindustrie. Den Initiatoren war die Macht der Bilder sehr bewusst -- ebenso wie Greta um die Macht der Bilder weiß.

Auch Landesumweltminister Olaf Lies (SPD) versuchte sich diese Woche mit einer Öko-Inszenierung. Er ließ in Hannover Fotos schwer geschädigter Wälder an die Wand werfen, um dann offensiv einen früheren Kohleausstieg zu fordern. Natürlich steht es nach zwei extrem trockenen Sommern nicht gut um den deutschen Wald, doch hier ging es wohl eher um ein anderes Signal: Ich (Lies) mache jetzt wieder Umweltpolitik und wechsle nicht als Lobbyist in die Energiewirtschaft.

Von solchen Inszenierungen haben viele Wähler die Nase voll. Sie spüren, dass es diesen Klimawandel wirklich gibt: verdorrte Gärten und Felder, Baumskelette, Waldbrände, Stürme, Starkregen, … Jüngst bekannte Angela Merkel in einem Interview, Greta und die protestierenden Schüler hätten ihr Kabinett dazu gebracht, „entschlossener an die Sache heranzugehen“. Vielleicht waren es aber auch nur die Umfrage-Höhenflüge der Grünen.

Der Politikwissenschaftler Claus Leggewie ist jedenfalls froh, dass es über „scheinbar apokalyptische Figuren wie Greta Thunberg einen Aufstand der jungen Generation gibt“. Die Situation erinnere ihn an die 60er Jahre. Sind Greta und ihre Fans wirklich die neuen 68er? Gelingt es ihnen, einen gesellschaftlichen Wandel hin zu mehr Nachhaltigkeit in Gang zu bringen? Beim Bau des nächsten Windparks oder der nächsten Stromtrasse wird es sich zeigen. Bislang galt dann immer das St.-Florians-Prinzip: Erneuerbare Energien? Klar! Aber nicht vor meiner Haustür! Es bleibt kompliziert mit den Worten und Taten.