Braunschweig. Die Ungewissheit störte die Braunschweigerin: „Ich weiß immer noch nicht, ob der Brexit tatsächlich kommt.“

Ich wollte mich eigentlich schon vor 20 Jahren einbürgern lassen. Der drohende Brexit gab dann den Ausschlag.

Das bemerkt die gebürtige Schottin Jane Henke aus Braunschweig.

Zum Thema recherchierte Andre Dolle.

Als die Schottin Jane Lindsay und der Braunschweiger Volker Henke sich 1974 im Jugoslawien-Urlaub kennenlernten, war Großbritannien gerade mal ein Jahr lang Mitglied der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, dem Vorläufer der Europäischen Union. Schon damals gab es erste Verstimmungen, die Anfang der 1980er Jahre im Briten-Rabatt auf Beitragszahlungen mündeten.

Aus dem Urlaubsflirt zwischen der Schottin aus einer Kleinstadt unweit von Glasgow und dem Braunschweiger entwickelte sich eine mittlerweile 42 Jahre andauernde Ehe. Seitdem wohnt das Paar in Braunschweig. Die Beziehung der Briten zur EU aber blieb schwierig – die Mitgliedschaft steht vor dem Aus.

Jane Henke spielte seit 20 Jahren mit dem Gedanken, sich einbürgern zu lassen. Sie ist „sehr gut integriert“, wie sie selbst sagt. Der britische Akzent ist immer noch deutlich zu hören. Die 68-Jährige engagiert sich in der Kirche, in der Deutsch-Englischen Gesellschaft Braunschweig, gibt zweimal pro Woche Englisch-Kurse an der Volkshochschule in Wolfsburg. Zu kompliziert, zu umfangreich seien die Formulare für die Einbürgerung gewesen. Das schreckte ab.

Eine Art Erweckungserlebnis war das Brexit-Referendum. Die Henkes waren damals mal wieder in der alten Heimat von Jane Henke zu Besuch. „Wir haben mit großem Staunen die Brexit-Kampagne miterlebt. All die Lügen über den angeblich ausgearbeiteten Plan für den Austritt und die wöchentlichen 350 Millionen Pfund, die dann zusätzlich für das Gesundheitssystem zur Verfügung stehen sollten. Heute wissen wir es besser“, sagt sie. „Lahm“ seien deutsche Medien im Gegensatz zu den vielen britischen Boulevardblättern, die so viel Stimmung machten. „Ich hätte mir mehr Gegengewicht gewünscht“, so Jane Henke.

„Das Referendum war der letzte Auslöser“, sagt sie. Am 8. Februar 2017 erhielt Jane Henke die Einbürgerungsurkunde aus den Händen von Braunschweigs Oberbürgermeister Ulrich Markurth im Roten Saal des Schlosses. Braunschweigs Bundestagsabgeordneter Carsten Müller (CDU) war auch anwesend, erzählt Jane Henke. „Freunde kamen zur Unterstützung. Es war ein sehr schöner Tag.“ Seitdem hat sie die doppelte Staatsbürgerschaft. Satte 255 Euro kostete die Einbürgerung. Eigentlich wären noch 25 Euro für den Einbürgerungs- und 164 Euro Euro für den Sprachtest fällig gewesen. „Ich wohne seit mehr als 42 Jahren in Braunschweig. Die Stadt war so nett und hat mir die Tests erlassen“, sagt sie.

Kommt der harte Brexit ohne Übergangsphase, würde sie sich wohl entscheiden müssen. Jane Henke: „Dann steht für mich fest: Ich würde ganz allein die deutsche Staatsbürgerschaft nehmen.“

Doch Jane Henke hängt natürlich immer noch an ihrer alten Heimat. „In meiner Familie, bei meinen Freunden vor Ort hat es viel Streit, viele Diskussionen gegeben. Doch die Mehrheit aus meinem schottischen Umfeld ist beziehungsweise war gegen den Brexit. Vor allem gegen den ungeregelten.“ Es stört sie, dass die meisten ausschließlich über die gewalttätigen Konflikte sprechen, die zwischen der Republik Irland und Nordirland wieder aufbrechen könnten, sollte es wieder eine harte Grenze geben. „Aber da sind auch noch die Schotten, die Waliser.“ Ihre Hoffnungen, dass der Brexit doch noch abgewendet werden kann, setzt sie in die schottischen Konservativen.

Der neue Premierminister Boris Johnson reiste als eine seiner ersten Amtshandlungen nach Schottland, um den vielen Brexit-Skeptikern dort 300 Millionen Pfund zu versprechen. „Die Schotten haben ihn abblitzen lassen und gesagt, dass sie doppelt so viel an Fördergeld aus der EU erhalten“, erzählt Jane Henke etwas schadenfroh. Ihre Augen blitzen dabei ein wenig.

Ihr Mann Volker Henke ist ebenso emotional bei der Sache. Über Boris Johnson sagt er nur: „Bei dem kriege ich so einen Hals!“ Er möge Großbritannien und vor allem Schottland unheimlich gerne, sagt er. Er habe während der Ehe mit einer Schottin auch ein großes Verständnis für die Briten entwickelt. „Seit dem Brexit-Referendum ist aber etwas hochgekommen, dass ich nicht verstehen kann, nicht einordnen kann. Die Briten ziehen sich schmollend in ihre Ecke zurück. Das ist nicht gut.“

So sieht es auch seine Frau. Sie hofft immer noch, doch diese Ungewissheit stört sie: „Ich weiß immer noch nicht, ob der Brexit tatsächlich kommt.“