Braunschweig. Auch Teile des Ex-Truppenübungsplatzes Ehra-Lessien sind hochgradig munitionsbelastet. Die beteiligten Akteure feilen am Brandschutz.

Die Parallelen sind unverkennbar: Wie in Lübtheen handelt es sich um einen alten Truppenübungsplatz. Hier wie dort ist Munition im Boden. Hier wie dort stehen leicht brennbare Nadelbäume. Von allen Flächen in unserer Region ist der ehemalige Truppenübungsplatz Ehra-Lessien – von Gifhorn ebensoweit entfernt wie von Wolfsburg – wohl am ehesten mit dem Waldbrandgebiet in Mecklenburg-Vorpommern zu vergleichen.

Eine volle Woche hatte es gedauert, bis man das Feuer dort gelöscht hatte. Die Munition im Boden hatte die Löscharbeiten massiv erschwert. Teilweise konnte sich die Feuerwehr den Flammen nur bis auf einen Kilometer nähern. „Ich habe den Brand bei Lübtheen genau verfolgt“, sagt Manuela Peckmann. Sie ist Bürgermeisterin der Samtgemeinde Brome, in der ein Teil des Platzes von Ehra-Lessien liegt. „Ich dachte: O Gott, hoffentlich trifft uns das nicht auch irgendwann mal.“

294 Hektar des Areals sind hochgradig kampfmittelbelastet

Als die Bundeswehr den Truppenübungsplatz Ende 2013 räumte, wurde dieser nach Blindgängern abgesucht – allerdings nur oberflächlich. Munition unter der Erdoberfläche blieb zurück. Und je nach Ort sind die Belastungen sehr unterschiedlich. Konkrete Angaben zur Menge der Kampfmittel seien aber kaum möglich, schreibt die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (Bima), der das Areal gehört, auf eine Anfrage unserer Zeitung.

Nutzung durch Wehrmacht und Bundeswehr

Laut Bima unternahm die Bundeswehr 2011 jedoch einen Versuch, die Risiken durch Kampfmittel auf dem Gelände zu rekonstruieren, das seit 1936 schon der Luftwaffe der Wehrmacht als Bombenabwurf- und Schießplatz diente. Nach dem Krieg wurden hier bis 1956 Granaten, Sprengköpfe von V2-Raketen und sonstige Munitionsfunde – meist unsachgemäß – gesprengt. Ab 1956 nutzte die Bundeswehr das Areal für ihren Übungsbetrieb. Aus dem erstellten Bericht geht hervor, dass rund 662 Hektar des Geländes sehr gering, 663 gering und 294 Hektar hoch kampfmittelbelastet sind.

Chemische Kampfstoffe wurden entsorgt

Letztere Flächen, die mit dem Munitionsbelastungsgrad „C“ eingestuft wurden, sind laut Bundeswehr-Richtlinien aufgrund der Kampfmittelrisiken zu sperren. Im Gelände von Ehra-Lessien befinden sich laut Bima: Wurfgranaten, Panzerfäuste, Minen, Handgranaten und Handwaffenmunition. Chemische Kampfstoffe aus Wehrmachtsbeständen, die sich hier ebenfalls befanden, seien noch zur Zeit der Nutzung durch die Bundeswehr entsorgt worden.

Von den Größenordnungen, die in Medienberichten über den Lübtheen-Brand zitiert wurden – in einem ARD-Bericht war von einer Belastung von 45,5 Tonnen Kampfmitteln pro Hektar die Rede – ist Ehra-Lessien laut Bima weit entfernt. Im Rahmen der jüngsten technischen Erkundungen zu den Kampfmittelrisiken auf der Liegenschaft von November 2018 bis März 2019 seien auf über 240 repräsentativ angelegten Testfeldern „in keinem einzigen Fall auch nur annähernd so hohe Belastungen festgestellt“ worden, schreibt die Bundesbehörde.

Waldumbau soll ein Übergreifen der Flammen auf Baumwipfel verhindern

Samtgemeindebürgermeisterin Manuela Peckmann hofft trotzdem inständig, dass auf dem Gelände kein Brand entsteht, der sich groß ausdehnt. „Eine Bekämpfung wäre für die Freiwilligen Feuerwehren nur von sicheren Punkten aus möglich.“ Das bedeute, erklärt sie, dass man, wie bei Lübtheen, das Feuer an dafür vorgesehenen Schneisen auf sich zubrennen lassen müsse, während man gleichzeitig einen Streifen mit Wasser kühle und befeuchte. „Aber selbst auf die sicheren Wege schickt man seine ehrenamtlichen Feuerwehrleute nur ungern.“ Aufgrund der trockenen Witterung besteht dieses Jahr erhöhtes Waldbrandrisiko – auch in Ehra-Lessien.

Arbeit am Brandschutzkonzept

Aufgrund der Gefahren auf dem Platz trifft die Bima besondere Vorkehrungen: „Wir arbeiten mit unserem vor Ort zuständigen Bundesforstbetrieb eng mit den Gefahrenabwehrbehörden des Landes zusammen und stimmen mit diesen ein Waldbrandschutzkonzept ab“, heißt es in ihrer Antwort an unsere Zeitung. Zu diesem Konzept gehört auch, dass „seit vielen Jahren“, wie Manuela Peckmann berichtet, der Wald auf dem Gelände „umgebaut“ wird. Dies geschieht etwa durch sogenannte „Laubunterpflanzung“, also durch neues Strauchwerk, das ein Übergreifen der Flammen vom Waldboden auf die Wipfel der Nadelbäume verhindern soll.

Hubschrauber und Waldbrand-Löschfahrzeuge

Außerdem ist in dem Konzept die Infrastruktur für den Einsatz von Rettungsdiensten, Löschkräften und Ordnungsdiensten festgeschrieben. Hierzu gehören laut Bima ein spezielles Wegenetz, Brandschutzstreifen, Sammelplätze, Rettungs- und Meldepunkte, Hubschrauberlandeplätze sowie Löschwasserentnahmestellen. „Dort“, so die Bima, „können die Einsatzkräfte gefahrlos agieren“. Letztere, versichert Peckmann, seien in die besonderen Verhältnisse vor Ort eingewiesen.

Um den Brandschutz auf dem Platz fortzuentwickeln, haben die beteiligten Akteure – die Bima, Vertreter des Landes, des Landkreises, der Gemeinden und der Feuerwehr – eine Arbeitsgruppe gebildet, die regelmäßig tagt. Voraussetzung dafür, dass diese vorankommt, ist, dass die betreffenden Flächen – etwa das Wegenetz – von Munition geräumt sind.

Kampfmittelsuche an „strategisch wichtigen Stellen“

Bürgermeisterin Peckmann, die in dem Gremium mitarbeitet, berichtet, die Suche und Räumung von Kampfstoffen „an strategisch wichtigen Stellen“ würden seit geraumer Zeit „sukzessive durchgeführt“. Für die Bima sind diese Arbeiten mit erheblichen Kosten verbunden. Ob sich das aufs Tempo auswirke? „Die Bemühungen dauern an“, antwortet sie lapidar.

Sollte es trotz aller Vorkehrungen zu einem Brand kommen, würden gepanzerte Fahrzeuge und Fluggerät, wie es nur der Bund hat, benötigt, um den Brand im belasteten Gelände effektiv zu bekämpfen. So war es auch in Lübtheen, weiß Jürgen Ehlers, Regierungsbrandmeister der Polizeidirektion Braunschweig und Vizepräsident des Landesfeuerwehrverbands Niedersachsen. Auch er ist überzeugt, dass die Feuerwehren bestmöglich auf einen möglichen Einsatz in Ehra-Lessien vorbereitet sind. Sorgen macht er sich allerdings in puncto Verfügbarkeit von Löschhubschraubern. Dass die Bundeswehr nicht mehr wie früher stark in der Fläche vertreten ist, wirke sich „dramatisch“ auf die schnelle Verfügbarkeit der Helikopter aus. Außerdem dauere es länger als früher, bis die Hilfe bereitstehe. „Wir brauchen die Hubschrauber von Bundeswehr und Bundespolizei – und zwar als planbare Größe“, betont der Brandschützer.

Auch bei der Ausstattung der Feuerwehren mit Waldbrand-Löschfahrzeugen sieht Ehlers Defizite.Die Unimogs der Gemeindefeuerwehren stammten überwiegend noch als den siebziger Jahren. Er wünscht sich, dass das Land die Anschaffung neuer Fahrzeuge mindestens bezuschusst – wenn nicht ganz übernimmt. „Das wäre nur recht und billig. Schließlich bedienen sich die Landesbehörden im Katastrophenfall auch dieser Fahrzeuge.“

Eine komplette Räumung des Areals ist praktisch unmöglich

„Mit so einem Gelände, wie wir es hier haben, kann man schlicht nicht zufrieden sein“, fasst Bürgermeisterin Manuela Peckmann ihren Blick auf das mit Kampfmitteln belastete Areal in ihrer Kommune zusammen. Dennoch habe man einiges erreicht. „Ich weiß von anderen Ex-Truppenübungsplätzen, da ist noch gar nichts passiert, dagegen wurde hier schon viel getan“, sagt sie und lobt die Zusammenarbeit mit dem zuständigen Bima-Förster. Man müsse aber realistisch bleiben. Die Gefahr sei nicht gebannt. „Alte Munition kann hochfrieren und kommt so wieder an die Oberfläche. Und solange Kampfmittel da sind, können diese auch explodieren.“ Das Gelände in absehbarer Zeit komplett zu säubern, sei angesichts der Fläche und des Ausmaßes der Munitionsbelastung praktisch unmöglich.

Brandschützer Ehlers fordert trotzdem, das Ziel einer vollständigen Räumung nicht aus den Augen zu verlieren. „Natürlich halten wir das für dringend notwendig, auch wenn es immense Kapazitäten erfordert. Aus unserer Sicht sollte das eine Selbstverständlichkeit sein. Das bestätigt Ihnen jeder Feuerwehrmann.“ Zwar räumt Ehlers ein, die Brandschützer hätten schon von Berufs wegen einen besonders kritischen Blick auf Gefahren, „aber wir können uns mit der rechtlichen Situation hier nicht zufrieden geben.“

Bürgermeisterin Peckmann: kein Streitthema

Glücklich ist Manuela Peckmann darüber , wie die Gemeinde und ihre Bewohner mit dem explosiven Erbe im Boden umgehen. Dieses sei bis heute kein Streitthema, weil die Verwaltung immer transparent informiert und für Vertrauen in der Bevölkerung gesorgt habe. Im November 2015 wurden Flüchtlinge auf dem Gelände der ehemaligen Kaserne einquartiert – zeitweilig 800, heute sind es noch rund 200. Befürchtungen, die Zugewanderten würden sich womöglich sorglos verhalten und das Sperrgelände betreten, hätten sich nicht bestätigt, sagt Peckmann. Derzeit prüft die Volkswagen AG, einen Teil des Ex-Truppenübungsplatzes zu kaufen, um ihr benachbartes Auto-Testgelände zu erweitern.

Sperrung des Geländes unzureichend?

Bis auf absehbare Zeit allerdings bleibt das Gelände gesperrt. Grundlage ist eine entsprechende Verordnung des Landkreises. Die stark belasteten Bereiche sind eingezäunt, ansonsten weisen Schilder am Rand des Geländes darauf hin, dass das Betreten verboten ist und Lebensgefahr besteht. Jürgen Ehlers bezweifelt, dass diese Vorkehrungen ausreichen. „Die Gefahren sind schlicht da. Ein Zaun alleine reicht da nicht aus.“ In der Regel, so Ehlers, dauere es nicht lange, bis erste Löcher entstehen und Unbefugte sich Zutritt verschaffen: „Das beruht doch auf Erfahrungswerten.“ Bürgermeisterin Manuela Peckmann hingegen sagt: „Wenn man lesen kann und will, ist man geschützt. Vor Personen, die das Gelände wider besseres Wissen betreten wollen, ist ein Schutz aber schwerlich möglich.“